31 – Und Immer Noch Ein Idol!


Warum hören die alten Bands nicht auf? Wie der ME darüber klagte, staunte und eines Tages gerade die Oldies als Interviewpartner zu schätzen lernte.

Als die größte Rockband der 70er-Jahre, Led Zeppelin, im Sommer 1980 auf Tour durch Deutschland ging, war sie eine alte Band. Eine zwölf Jahre alte Band. Sehr viel älter sollte sie auch nicht mehr werden. Drei Monate vor seinem Tod, am 27. Juni 1980, kippte ihr Schlagzeuger John Bonham bei einem Konzert in der Nürnberger Messehalle A nach drei Songs von seinem Hocker und erklomm ihn nicht mehr. Der MUSIKEXPRESS berichtete darüber im August. Auch darüber, wie Tourveranstalter Fritz Rau noch versuchte, alle Gerüchte um Bonhams Drogenprobleme in den Wind zu schlagen: „Blödsinn! Er hat einen Kreislaufkollaps gehabt. Durch einen Durchfallhatte er alle Mineralien und alle Flüssigkeit verloren und ist völlig geschwächt auf die Bühne gegangen. Und bei seinem Schlagzeugstil dauerte es ganze zwölf Minuten, bis er zusammenbrach…“

Zwölf Jahre wurde die Hardbluesrock-Legende alt. Wie gesagt: 1980 waren zwölf Jahre eine bedenklich lange Zeit. Denn sollte die Rockmusik nicht ein Privileg der Jugend sein? Nein, wir meinen damit nicht das tobende, Jeans abwetzende und Bierdosen exende Publikum – sondern die Rocker auf der ausführenden Seite. Oder war das 1980 längst schon zu romantisch gedacht?

Der ME ]edenfalls konnte oder wollte seine Verwunderung nicht verbergen, über die Beobachtungen, die er bei den Zeppelin-Konzerten in Juni gemacht hatte – und notierte, gleich im Vorspann: „Dass die ,Alten‘ zu Led Zep gehen würden, wenn ihre Heroen nach über sieben Jahren wieder mal in Deutschland sind, war zu erwarten. Dass aber noch mehr Vierzehn- bis Achtzehnjährige die Riesenhalle füllten, damit hatte kaum jemand gerechnet. Zumal der Plattenverkauf nicht gerade hoch ist. Kennen die Jungen Plant & Co. aus den Plattenschränken der Eltern?“

Zum Vergleich: Die britische ME-Redaktions-wie-Leser- Lieblingsband Radiohead wurde vor 23 Jahren gegründet. (Man traut sich gar nicht fragen: Wer unter unseren Lesern kennt sie aus den Plattenschränken der Eltern?) Die White Stripes sind heute genau so alt wie ihre Ahnen, Led Zep, wurden. Mando Diao feiern 2011 ihren zwölften Geburtstag, Bloc Party ein Jahr früher. Und Metallica, immer noch das Allergrößte für Bierdoscn exende Jugendliche, kamen bereits 1981 überein, dass es im Heavy Metal mehr geben muss als Dosenbier. Interessant wäre es zu erfahren, wie der gemeine Rockjournalist der 70er, der argwöhnisch das Ergrauen seiner Helden beäugende MUSIKEX-PRESS das heutige Treiben kommentieren würde, bei dem Musiker jede Altersgrenze vom besten Familiengründungsalter über die Midlife Crisis bis hin zur Pensionierung reißen. Der noch bevor Punk den bilderstürmenden Eindruck erweckte, alles Alte in der Rockmusik müsse regelmäßig wegrevolutioniert werden, über Mick Jagger schrieb: “ Nun ist er schon 31 Jahre alt und immer noch eines der größten Popidole unserer Zeit. “ (12/1974) Der ME sollte Jagger noch fürchten lernen! Fürchten und schätzen. Denn Interviews mit ihm (und auch mit Keith Richards) wurden zur Konstante unserer Magazingeschichte -und nichtzuletzt gerade in eher ereignisarmen Jahren nur zu gerne geführt – gekauft – gelesen. Und auch wenn die Platten der in die Jahre gekommenen Musiker nicht eben interessanter wurden, hattensiedochoft Interessantes zu erzählen. Nicht zuletzt über das Verhältnis Alter vs. Rock. So wie David Bowie, der im Juni-ME 1983 erklärte: „Du musst irgendwann einmal eine Entscheidung treffen und den Nervenkitzel, die Panik und die Verzweiflung eines Teenagers hinter dir lassen. Du musst dir im Klaren darüber werden, dass es nichts Schlimmes ist, 36 Jahre alt zu sein. Und dass du der Welt immer noch was zu sagen hast. Und zwar für andere 36-Jährige. Man muss lernen, sich in dieser neuen Situation wohlzufühlcn. Denn wenn du das nicht tust, wirst du dein ganzes Lehen lang nach Strohhalmen im Wind greifen. Und wirst dein ganzes Leben lang den zornigen jungen Mann spielen.“

Bowie dürfte ziemlich beruhigt gewesen sein und begann vielleicht genau an jenem Tag sich „wohlzufühlen“, als er feststellen durfte: Es gibt sie da draußen, die 36-Jährigen, denen er etwas vorspielen darf. Sie haben Familien gegründet, stecken vielleicht gerade in der Midlife Crisis und hören ihm aber möglicherweise trotzdem noch zu, wenn sie schon die Rente erreicht haben. Gealtert wird auf beiden Seiten. On an on.