35 Prozent Stolz, jetzt!


"„Lebt denn der alte Holzmichl noch?" Es könnte sein, dass 2004 nur diese Frage abschließend geklärt wurde. Man darf sich Ende des Jahres schon fragen: Müssen wir so viel über Politik reden, wo wir doch Pop meinen? Müssen wir wohl. Über die Radioquote, deutsche „Heimatmusik" Rock gegen Bush, Pop nach Wir sind Helden. Es gab 2004 aber auch Musik, die war einfach nur: gut. Ein Rückblick auf 34 Seiten.

Was wurde über Pop geredet 2004. Das Thema, das bis vorgestern noch fest in der Hand von uns – und noch ein paar Nischenfeuilletonisten, abgelegenen Thekenrunden und eingeschworenen Internetforen – schien, wurde auf die Tagesordnungen der großen Politik entführt. Sogar Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) redete mit, aber auch Theaterkririker, Fotografen, Autoren etc. – Leute also, denen man bisher nur Kenntnisse und Interessen auf höchstens verwandten Gebieten zu attestieren vermochte.Tatsächlich wurde auch gar nicht über Pop geredet, sondern über ein Wirtschafts- und Kulturgut, einen Identifikationsstifter auf „nationaler“ Ebene sogar. Gewichte also, die der Pop gar nicht tragen kann. Keine zwei Takte weit. Kein Wunder, dass im Austausch der mit Bedeutungen randvoll geladenen Argumente von ihm selbst schnell nichts mehr übrigblieb. Macht aber nichts. Die Wahrheit ist nämlich: Die Popmusik war fast allen, die da wieder trommelten für eine Quote für deutsche Musik im Radio, völlig egal. Aber um ein Fazit vorwegzunehmen – so viel wissen wir nach 50 Jahren Rock und Pop ganz sicher: Der Musik ihrerseits ist all dieses Gerede auch nicht weniger als das: völlig egal. Oder wie es die Plattenfirma vonTomte, Kettcar und Co., Grand Hotel van Cleef, in ihrer Stellungnahme „gegen eine Quote für deutsche Musik im Radio“ formulierte: „Bei Musik geht es uns um Kunst! Kunst sollte man weder verordnen nochforcieren. Kunst geht ihren eigenen Weg.“

Dennoch lohnt der (Rück-)Blick auf die (bei Drucklegung noch nicht beendete) Quotendiskussion, weil sie zeigt, welche Motive die Pop-Lobbyisten bewegen und wie Politik anno 2004 funktioniert. Tatsächlich startete die jüngste Initiative für eine Radioquote nach französischem Vorbild (eingeführt 1994 und ökonomisch erfolgreich) im Spätsommer auf beachtlich breiter Ebene. Neben in Zielgruppen-Brocken aus Granit festgefressenen Altrockern wie Maffay und Lindenberg marschierten auch jüngere Musikanten wie Smudo, Xavier Naidoo und Jan Eißfeldt (ausgerechneter: eben noch linksradikal, plötzlich popnational) auf. Und da sich auch nicht nur PRbemühte Hinterbänklerzum Fototermin bei Peritionsübergabe (500 Künstler-Unterschriften diesmal!) einfanden, sondern Vollmer, Thierse und ein paar Politpromis mehr zu Bedenkenträgern im Namen des deutsehen Pop gemausert hatten, kam Wind in die Sache. Der blies den Quoten-Dreimaster (Musikanten/Musikwirtschaft/Politik) bis in den Hafen einer Anhörung von Kulturausschuss und der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ im Bundestag als Popkomm-Rahmenprogramm. Das Ziel: ein Gesetz, das öffentlich-rechtliche Radiosender dazu verdonnert, 35 Prozent ihres Programms mit deutschsprachiger Musik zu gestalten – die Hälfte davon muss aus „Neuerscheinungen von Nachwuchskünstlern“ bestehen. Das ursprüngliche Ziel, nicht nur deutschsprachigen, sondern allen deutschen Produktionen einen solchen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, war leider verbaut: Dies lässt das EU-Recht nicht zu.

Den Quoten-Befürwortern kam diese Brüsseler Beschränkung womöglich gar nicht unrecht: Mit der deutschen Sprache (ist gleich: deutsche Identität – ist gleich: Statement gegen den nicht enden wollenden amerikanischen Kulturimperialismus kommt gleich: gut im derzeit angesagten Antiamerikanismus etc.) flössen ihnen wenigstens noch ein paar halbgare kulturpolitische Argumente zu. Denn ansonsten hatten sie herzlich wenig aus ihrem Säckchen zu schütteln. Kaum mehrals dies: „Unsgeht es darum, deutschen Künstlern überhaupt wieder eine Chance auf dem Musikmarkt zu geben“, wie Frau Vollmer feststellte. Dass sich gerade Ende September 2004 acht deutsche Künstler und Bands in den Top Ten tummelten und 2003 mit 55 Prozent deutschen Produktionen in den Singlecharts ein weiterer Rekord eingestellt wurde (und dass diese Zahlen eben nichts – weder über Qualität noch über den „deutschen Kulturwert“ der dort gelisteten Titel – sagten), hatte man der engagierten Bundestagsvizepräsidentin offensichtlich vorenthalten. Wohlweislich, denn in Regie und Souffleurkasten des neuen Quoten-Theaters saß die Plattenindustrie, die von ihrem Berliner Nachbarn Bundesregierung Beistand einforderte. Ja, sie beherrschte nun endlich ihr Lobbyistenhandwerk.

Dass dieses Quoten-Theater trotz hohen Unterhaltungswertes als Lustspiel nicht taugte, lag eben daran, dass es von M enschen inszeniert wurde, denen nichts zu perfide zu sein scheint: Sie sind die Vertreter einer Industrie, „die ihre Weltstars hegt und ihre deutschen Stars missachtet, aber eine Radioquote fordert, um die eigenen Versäumnisse zu kompensieren „, wie ihnen Michael Pilz am 28. September 2004 in der „Welt“ hinter die Ohren schrieb. Doch bevor sich einer unter ihnen an die eigene Nase fasst, forciert er lieber mit der Geste des ewig Gerechten die Beschneidung von Konsumentenrechten, die härtere Bestrafung von Schwarzbrennern – und dichtet die eigene, rein ökonomische Krise in eine allgemeine Popmusik-Krise um. Eine Lüge, wie nicht nur in der „Zeit“ nachzulesen war: „Seit Jahren erlebt Musik aus Deutschland einen kleinen, aber beständigen Boom. Dass er sich nicht im gewünschten Ausmaß in den Sendern abbildet, hat mit Problemen der Plattenindustrie zu tun- der Einheitsbrei der Hitparaden spiegelt die Mutlosigkeit der Gesamtbranche -, aber auch mit dem Bedeutungsverlust des Radios als geschmacksbildendes Medium.“ (ThomasGross am 7. Oktober2004)

Dass dem unseligen Schauspiel mit solcherlei Klarstellungen jedoch kein schnelles Ende zu bereiten war, liegt daran, dass seit der letzten Radioquoten-Debatte eine besondere Komponente an Gewicht gewonnen hat: Das Verhältnis zur eigenen Nation „entspannt sich“. Und wer mit neuem Stolz, historisch endlich nicht mehr so schwer beladen, hoffentlich bald ganz frei von Scham und Kram, neues Selbstwertgefühl schöpft, hat schließlich auch ein Radioprogramm verdient, das diese neue Identität abbildet: 35 gesetzlich garantierte Prozent deutsch – so viel Nationalbewusstsein muss doch 60 Jahre später wenigstens drin sein! Die Ursachen für den Ruf nach der eigenen Nation als Heimat, Schlupfloch, angesagtem Großraumclub liegen auf der Hand: So wie die Zeit (unter Mithilfe von Politik, Medien usw.) die Greuel der nationalsozialistischen Vergangenheit immer weiter und weiter relativiert, so steigt mit der steifen Brise der Krise im Gesicht gleichzeitig der Bedarf nach Sicherheit und Verlässlichkeit. In Auflösung befindliche Familienmodelle; Sozialstaat und Wirtschaft machen sich dünne – Fernreiseziel: „Globalisierung“; „islamistische Terror“; und der Konsum ist ja auch nichtmehr ein so verlässlicher Tröster. Nur: Irgendwo muss man doch hin! Sich verstecken. Ducken. Kuscheln.

In Brandenburg und Sachsen schlug bei den Landtagswahlen im September bei vielen Menschen diese Angst vor all dem, was man nicht in den Griff bekommt und worum sich „der Staat“ auch immer weniger kümmern mag, einmal mehr in Ablehnung, Trotz und Hass um: Sie wählten NPD und DVU. Dies fanden jene Politiker in der breiig-breiten „Mitte“ nur füi ein paar Kurzinterviews bedenklich: Es ist ja nur ein Symptom, ein Protest mit dem Stimmzettel, Schnupfen im rechten Nasenloch. Das geht vorbei. Auf der anderen, gemäßigteren und politisch über ein bisschen Aktionismus hinaus nur wenig motivierten Seite hat sich jedoch gezeigt, dass sich inzwischen eine Art „Pop-oder Lifestyle-Nationalismus“ emanzipiert hat, der in seinem frischen Sprießen zuerst einmal nichtviel mehr will als Selbstbewusstsein tanken an der schwarz-rot-goldenen Tankstelle. Der durchaus auch provozieren mag, ein bisschen wenigstens, hier, wo es noch geht – mit punkigen, also ehemals linken Gesten gepaart mit nationalistischen Slogans. Die Berliner Band Mia machte dies im Sommer 2003 mit ihrer Liebeshymne an das Vaterland („Es ist was es ist“) so naiv wie geschäftstüchtig vor und bekam postwendend Aufmerksamkeit in Form von Entrüstung geschenkt. Bundesadler-auf-T-Shirt-Designer, Twen-Infotainment-Magazin-Kolumnisten und andere Westentaschen-Rebellen zogen mit und nach. Und siehe da: Ein Jahr später, 2004, hat nun auch der Mainstream begriffen, dass darin ein Trend versteckt sein könnte, der einen großen Teil dieses so hoffnungslos in Nischennerds und Hardcore-Individualisten aufgespaltene Volk zu vereinen vermag. Daist ein Bedürfnis, und das geht so: „Wir wollen endlich wir sein können!“-eine Nation, ein Volk (und das auch zwischen den internationalen Fußball-Turnieren, die zuletzt auch nur noch Frust brachten). Mit allen Selbstbeschränkungen, die dieser Wunsch letztlich mit sich bringt. „Wir sind wir“ – ein pathetischer Mainstream -Dancefloor-Fluter von Peter Heppner (Wolfsheim) und Paul van Dyke brachte diesen kleinen gemeinsamen Nenner auf den Punkt. Das Video zum somit nachgereichten Song zum Wirtschaftswunder/ Fußballwunder-Film „Das Wunder von Bern“ zeigte Deutschland in Trümmern, im Wiederaufbau, beim Mauerfall, ein Land mit Nehmerqualitäten also. Dazu sang Heppner. „Wir sind wir! Wir stehen hier! Aufgeteilt, besiegt und doch. Schließlich leben wir ja noch.“ Nationale Durchhalteparolen für 1945, für 1961, für 2004.

Später in diesem Jahr würde uns Produzent Bernd Eichinger eröffnen, es sei jetzt erst möglich geworden, den Dämon Hitler in Charakter-Close-Ups in den letzten Tagen seines fürchterlichen Wirkens zu zeigen: „Der Untergang“ – draußen das Volk, im Bunker der Verführer. Filme über die Nazi-Herrschaft und ihre Konsequenzen im Persönlichen und Privaten haben Konjunktur. Man hat das Gefühl, in der Aufarbeitung sollen Fortschritte gemacht, neue Wege gegangen werden – doch findet sich ein neuer Reim auf die Geschichte im Kammerspiel von Charakterdarstellern?

Zumindest lässt sich über diese Filme konstruktiver diskutieren als über Pop in Deutschland. In der einst eindeutig politisch links geprägten Sparte wurden in diesem Jahr immer weitere Gräben aufgerissen, und Bands mussten sich zum Teil schon dafür verantworten, dass sie auf Compilations vertreten waren, die Künstler und Bands aus Deutschland versammelten nicht mehr. Andererseits gab und gibt es immer mehr Musiker, die bewusst mit diesem „neuen Heimatgefühl“ kokettieren und die von einer links codierten Popkultur nichts wissen wollen, sollte auch nur ein ideeller Gedanke ihrem Erfolg im Weg stehen. Vor allem einige der Hamburger Bands, die in den goern fast alleine für progressive Musik mit deutschen Texten standen, sprachen sich vehement gegen solche Anbiederei aus. Blumfeld taten dies – einmal und dann nicht wieder – in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage (www.blumfeld.de), die in ihrem scharfen und unversöhnlichen Ton für besonders viel Aufmerksamkeit sorgte: „Dass Künstler und Künstlerinnen damit auch die eigene Kunst verraten, kann und solljede(r) mit sich selbst ausmachen.“

Vorzuwerfen ist solchen „überzeugten Opportunisten“ sicherlich nicht ihre politische Gesinnung. Doch legt ihr massives Auftreten in diesen Tagen die Vermutung nahe, dass immer mehr Nachwuchsbands quasi vorformariert und gleichsam höchst „flexibel“ im Sinne heutiger Arbeitsmarktanforderungen in Probekellern an Formaten feilen und Bewerbungsmappen vollsingen, wo ihre Vorgänger einfach noch Musik machten. So viel ist sicher: Homecasting is killing music! Womöglich steckt der Pop ja doch in der Krise. Doch was wir in dieser Situation zuletzt brauchen könnten, wäre wieder der Bock als Gärtner.

PERFEKTE WELLE Im Windschatten von Wir sind Helden, die 2003 DIE Erfolgsgeschichte der deutschen Popmusik der letzten Jahre schrieben, schaffte es Juli aus Gießen an die Spitze der Hitpa-1 ade. Sängerin Eva Briegel spricht über ihren Ritt auf der“.Perfekten Welle“.

Wie oft wurdet ihr schon mit den Helden verglichen?

Anfangs war es sehr häufig, bis die Journalisten dazu übergegangen sind, uns dieselben Fragen, nur anders verpackt, zu stellen. Noch mehr als uns mit den Helden zu vergleichen, wurden wir nach dem ganzen „Deutsch-Ding“ gefragt. Irgendwie sind wir dann dazu übergegangen, zu anderen Bands nichts mehrzu sagen.

Vor einigen Jahren fandet ihr es selbst noch uncool, deutsch zu singen. Inzwischen ist deutschsprachige Popmusik konsensfähig geworden…

Einerseits bekommt man dadurch viel mehr Chancen. Andererseits wird man ständig verglichen und als Abfallprodukt von Wir sind Helden oder als von der Plattenfirma gecasteter Act hingestellt, der nur auf der Welle mitschwimmt. Das ärgert uns ein bisschen, schließlich gibt es uns schon ewig, seit drei Jahren singen und texten wir auf deutsch. Da waren die Helden und Mia noch nicht ansatzweise auf dem Schirm.

Achtet ihr darauf, euch von den anderen abzuheben?

Musikalisch nicht: Wir haben unseren eigenen Stil. Allerdings schaue ich darauf, dass ich nicht die gleiche Frisur oderT-Shirts wie Steffi von Silbermond trage. Das war schon ein kleiner Schock für mich, als die Helden rauskamen. Ich hatte eine ähnliche Frisur wie Judith, sehe ihr ähnlich, und wir machen beide Musik auf deutsch. Doch alleine hätten wir den Boom ja niemals auslösen können, da bin ich mir sicher.

FRIEDERIKE BAUS (das vollständige Interview gibt es im Internet unter www.musikexpress.de)