5 Dinge, die wir auf dem People-Festival 2018 gelernt haben


Auch, wenn einen nicht jede Performance überzeugte, regte das Wochenende an, zu hinterfragen, wie man Musik wahrnimmt – und dazu, Musik mal wieder neugierig wie ein Kind zu hören. Unterwegs beim PEOPLE-Festival im Funkhaus Berlin.

Kein Standard-Festival-Futter, keine Headliner: So in etwa ließe sich das Konzept des People-Festivals zusammenfassen, das vom 18. bis 19. August im Berliner Funkhaus stattfand. Justin Vernon, bekannt als Bon Iver, und Aaron Dessner von The National kuratierten und veranstalteten das Festival gemeinsam mit den Berliner Hoteliers Nadine und Tom Michelberger. Eine Woche lang hatten über 160 Künstler – vom Rapper Chefket bis zu Beiruts Zach Gordon – im Funkhaus zusammen geprobt und improvisiert, um dem Publikum schließlich die Ergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren. Wir waren dort.

1. Es ist gar nicht so leicht, sich auf einem Musikfestival auf die Musik zu konzentrieren.

Beim People-Festival musste man tun, was einem auf Festivals selten gelingt: pünktlich sein. Statt mit Bier in der Hand von Bühne zu Bühne zu schlurfen, unachtsam zu lauschen, weiterzuziehen oder aber gar nicht erst stehenzubleiben, wenn einem der Name auf der Setlist nicht passt, findet man sich hier einmal pro Stunde am Eingang zu einem der Studios ein. Wer spielen wird, erfahren die Zuschauer erst bei Konzertbeginn. Wenn die Künstler also die Bühne betreten, sind alle Synapsen auf Empfang gestellt: Ist das da tatsächlich Casper Clausen von Efterklang, der wie ein Wahnsinniger vor- und zurückwippt, während der Produzent zu seiner Linken eine mächtige Wall of Sound errichtet? Wer ist diese irre Vokalistin am Klavier? Und wird Kurt Wagner von Lambchop wirklich die ganze Session lang vor seinem Laptop sitzen, ohne uns auch nur ein Wort seiner sonoren Stimme hören zu lassen? (Wird er.) Subtrahiert man von einem Festival die großen Namen und die eigenen Erwartungen, bleibt: die Musik. Sich ganz allein auf die zu fokussieren, ist ein ungewöhnliches, ein schönes Erlebnis.

2. Wir sind stärker auf Headliner fokussiert, als wir glauben.

Arcade Fire, Poliça, Mouse on Mars: Das People-Festival versammelte die Mitglieder einiger Superbands der Indie-, Folk- und Elektronikszene, der Neuen und Klassischen Musik – nur wusste man nicht zwingend, mit wem man es zu tun hatte. Auf der Website zum Festival tauchte kein Bandname auf, dafür die Namen aller teilnehmenden Künstler in alphabetischer Reihenfolge. Der Gedanke: Branchen-Fixsterne wie Bon Iver sollen beim People-Festival nicht stärker im Vordergrund stehen als Musiker mit 600 Klicks auf YouTube. Keiner soll hier Star sein – oder aber: Alle sollen Stars sein. Und das macht einen zuerst ein wenig rasend.

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Schließlich sind Festivals eine gute Möglichkeit, in kurzer Zeit möglichst viele Acts auf der persönlichen To-Do-Liste abzuhaken. Und überhaupt: Hat man hier nicht auch gezahlt, um Feist zu sehen? Lässt man sich aber ein auf den Gedanken, hier nicht auf Headliner-Jagd zu gehen, erwarten einen wunderbare Momente. An einem Klavier, das im Außenbereich nahe der Spree aufgestellt ist, nehmen im Laufe des Tages sowohl Profi- als auch Hobbymusiker Platz; und als am Samstagabend die letzten Töne des fiebrigen Konzerts von Big Red Machine, dem gemeinsamen Projekt von Justin Vernon und Aaron Dessner, verklungen sind, findet sich eine Gruppe zum spontanen Singalong zusammen. Der Kreis wird größer, die Schar lauter, irgendwann liegt man sich in den Armen. Ob wohl ein Bandmitglied unter den Euphorisierten ist? Am Ende ziemlich egal.

3. Das Funkhaus ist eine Location, die alles erlaubt: von Klassik-Session bis Punkrock.

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Doch, dieser Ort macht ehrfürchtig. Der Stuck an der Decke, und dann dieser Geruch, wie man ihn nur aus in die Jahre gekommenen Gebäuden in Ostdeutschland kennt. Ist das Bohnerwachs und altes Holz? Manche Studios des Funkhauses im Berliner Ortsteil Schöneweide gleichen kleinen Zeitkapseln in allen Brauntönen dieser Welt, andere sind opulent wie das „Studio 1“ mit seiner kolossalen Konzertorgel und der kreisrunden Scheinwerferkonstruktion, die aus der Mitte des Raumes heraus alles in gelbwarmes Licht taucht.

Die ehemaligen Aufnahmestudios des DDR-Rundfunks wurden von den Klangarchitekten jener Zeit so entworfen, dass sie noch heute Maßstäbe in Sachen Akustik setzen. In diesen Hallen funktioniert eigentlich alles: A-Cappella-Harmoniegesang und Gitarrenfolk, AutoTune-Experimente und ein Dracula-rot-beleuchtetes, zehnminütiges Noise-Stück, das nur aus einer Note besteht. Und wenn das Berliner Kollektiv Stargaze zur Kammermusik-Sessions anhebt, begleitet von einer Tanzperformance zwischen Ballett und Modern Dance, klingt das ebenso erhaben, wie wenn die Sängerin Shara Nova von My Brightest Diamond eine vibrierende Soul-Rock-Performance auf die Bühne bringt. Herrlich dabei, wie Nova mit der weihevollen Atmosphäre des Hauses bricht: Mit ihrer feuerroten Haartolle fegt sie durch das Studio, bevor sie – sacht, aber bestimmt – alle Noten- und Mikrofonständer auf den Boden legt, quasi ein kleines Schlachtfeld hinterlässt. Punkrock in den hohen Hallen.

4. Es kann frustrierend sein, nicht zu bekommen, was man will. Und fantastisch.

Gerade war er noch da gewesen. Mit einer roten Gitarre in der Hand hatte man Aaron Dessner durch den Eingang zum Studio flitzen sehen, vorbei an den dutzenden Gästen, die auf den Einlass warteten. Ob hinter einer der beiden Holztüren Dessners Band The National Aufstellung genommen hat, um ihren schwermütigen Indierock in einer intimen Session zu präsentieren? Es herrschte Unklarheit, bis die Scheinwerfer im Raum auf eine schmale Frau am Klavier gerichtet werden: Kristín Anna Valtýsdóttir ist ihr Name. Kein The-National-Rock erklingt, dafür Valtýsdóttirs außerweltliche, wie hochgepitcht wirkende Stimme, während die Percussions ihres Mitmusikers an rasselnde Verließketten denken lassen. Die klaustrophobische, verstörende Performance behagt nicht allen: Manche verlassen den Raum, wer bleibt, scheint hypnotisiert. Ein Spannungsverhältnis, das sich durch den Tag zieht: Hier bekommt keiner, was er will – was für Unmut, aber auch magische Momente sorgt.

5. Ein ungewöhnliches Festival macht nicht nur das Publikum glücklich, sondern auch die Künstler.

Wer in den Tagen vor dem großen Wochenende durchs Funkhaus streifte, schaute in die Gesichter von Künstlern, die ganz und gar gelöst wirkten. Und es ist ja auch verständlich: Statt das übliche Festivalprogramm abzuliefern, durften die Musiker hier experimentieren, basteln, herumspinnen. Auch zur den Performances am Wochenende kam jeder, wie es ihm passte: Greg Saunier von Deerhoof taucht mit Blumenschlapphut und einem Hippieshirt, das er an den Ärmeln in Fetzen geschnitten hat, wie ein Kobold in verschiedensten Performances auf; Justin Vernon trägt Hawaiihemd, und circa jeder dritte Musiker tappt barfuß durchs Funkhaus.

Das Wochenende fühlte sich schließlich ein wenig an, als habe man Zutritt zu einer großen Generalprobe unter guten Bekannten oder Freunden bekommen. Auch, weil in den Studios vieles darauf hinwies, dass hier eine Art musikalischer Fluxus entsteht: Nichts ist ganz fertig, nichts zu Ende inszeniert. Wer sich in den Studios umschaut, findet Hinweise auf die Prozesshaftigkeit des Unterfangens: Zettel mit handschriftlichen Notizen liegen auf dem Boden, in der Ecke stehen Instrumente, die nun doch nicht genutzt werden. Auch, wenn einen nicht jede Performance überzeugte, regte das Wochenende doch an, zu hinterfragen, wie man Musik wahrnimmt. Und vor allem: dazu, Musik mal wieder neugierig wie ein Kind zu hören.

People-Festival 2018 – Videos:

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