5 Fragen An Juli Zeh
Die Autorin und frischgebackene Schallplattenkünstlerin über ihre Zusammenarbeit mit der Band Slut, den Glauben an den "mündigen Bürger", das 'Recht auf Selbstmord' und den Staat als Organismus.
1.
Du hast zusammen mit der Band Slut deinen Roman „Corpus Delicti“ in ein Hörwerk mit Musik gewandelt. Nun hat so ein Text ja seinen eigenen Sprachrhythmus, seine eigene Melodie. Geht die nicht unter, wenn Musik nun Rhythmus und Melodie bestimmt?
Das ist bei unserer Zusammenarbeit teils teils. An manchen Stellen ist das absolut so. Was ich aber aufregend und schön finde. An anderen Stellen ist es wieder so, dass der Text im Vordergrund steht. Wir haben versucht, Text und Musik gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Ich bin ja auch nicht so ein Autor, der jeden Satz, den er schreibt, als Heiligtum ansieht, das nicht verändert werden darf. Ich finde es ja gerade schön, dass der Text lebt. Und die Musik gibt dem ganzen quasi eine zweite Seele. Wir haben meinen Text für dieses Projekt wirklich komplett demontiert und nur die Stellen ausgesucht, die uns für die Zusammenarbeic tauglich erschienen. Was wir nicht wollten, war die Geschichte nachzuerzählen. Wir haben vielmehr Wert gelegt auf die Figurencharakterisieru ng und auf die Erschaffung von Klangräumen, die in dem Buch ja gar nicht vorkamen. Dafür haben wir auf andere Inhalte verzichtet und sogar das Ende verändert.
2.
Die subjektive Wirklichkeit steht in deinem Roman einer allgemeinen Wirklichkeit gegenüber. Was ist Wirklichkeit für dich?
Ich glaube, dass sich die Wirklichkeit, in der sich Menschen bewegen, übers Geistige konstituiert. Und dass wir uns niemals einigen können auf einen objektiven gemeinsamen Nenner. Darum glaube ich auch, dass Wirklichkeit per se etwas Subjektives ist. Daher rührt auch mein Misstrauen gegen jede Art von Postulation objektiver Wahrheiten.Es gibt nichts Subjektiveres als Kunst. Und was wir gerade nicht tun, ist Handlungsanweisungen geben. Slut und ich bieten Kunst an, die unterhaltend ist, aber auch politisch erlebt werden kann. Das hängt davon ab, wie der Mensch sie rezipiert. Wir bieten nur etwas an, und wenn wer nicht mitkriegt, dass das was mit Politik zu tun hat, dann bin ich auch nicht sauer. Wir richten uns schließlich an erwachsene Menschen, an mündige Bürger, die selber denken.
3.
Woher nimmst du diese mündigen Bürger? Adorno sagt, die Demokratie braucht den mündigen Bürger, den es aber per se nicht gibt. Weil Mündigkeit kein einmalig zu erreichender Status ist, sondern ein fortwährender Prozess, der jederzeit auch wieder in die Unmündigkeit führen kann.
Dass das so ist, erleben wir derzeit nur zu deutlich. Der mündige Bürger ist tatsächlich eine Zielvorstellung. Nichts, was man voraussetzen kann. Aber man braucht den Glauben daran. Und ich habe diesen Glauben. Das hat was mit einem Menschenbild zu tun: Hält man den Menschen für blöd und gefährlich und aggressiv – vereinfacht gesagt wie in so einer Thomas-Hobbes’sehen Version, wo man den Staat allein schon braucht, um die Bestien voneinander zu trennen? Oder geht man davon aus, dass der Mensch grundsätzlich ein soziales Wesen ist, empathisch und vernunftbegabt? Und dass man den Menschen auch auf dieser Ebene ansprechen sollte? Dass unsere Gesellschaft dazu neigt, den mündigen Bürger zwar vorauszusetzen, aber nicht anzustreben, beweist schon unsere Bildungspolitik. Wenn wir das nach wie vor als eines unserer höchsten Ziele ansähen, gäbe es keine Studiengebühren und wir würden mehr Geld in die Schulen investieren. Dann würden wir sagen: Bildung ist das wichtigste, und wir sind auch bereit, dafür Geld auszugeben. Ohne Bildung ist es schwierig, selbst zu denken.
4.
Statt Bildungspolitik dominiert derzeit eine „Gesundheitspolitik“ und eine „Sicherheitspolitik“ die Diskussion, was du in deinem Roman angreifst. Warum?
Weil ich auch ein Recht auf Selbstmord habe, was in der Gesundheitspolitik nicht vorgesehen ist. Und weil hier Kosten aufgewogen werden, die etwa ein Raucher die Versicherung kostet. Demnach dürfte man aber auch keine Verkehrsunfallsopfer behandeln, weil die sich ja auch wissentlich einer überhöhten Gefahr ausgeliefert haben.
Außerdem benutzen wir Gesundheit ja auch als Metapher. Dann ist Gesundheit eben nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Wir betrachten auch unseren Staat als einen Organismus, der gesund sein muss und sich nicht infiltrieren darf mit Viren. Terroristischen Zellen zum Beispiel, die bekämpft gehören. Dafür werden Maßnahmen getroffen, die nachweislich nichts bringen, aber die Privatsphäre aller Bürger stören. Nimm zum Beispiel die Kameraüberwachung, die alle fordern, wenn wer auf einem U-Bahn-Gleis zusammengeschlagen wurde. Übrigens trotz der dort gegebenen Kameras.
5.
Laut Text entziehst du einer Gesellschaft dein Vertrauen, die eher der DNS eines Menschen glaubt als dessen Worten. Aber will man mit der DNS-Forschung nicht gegen die Verlogenheiten von Menschen angehen?
Mit dem Argument kannst du auch die Folter rechtfertigen. Nach dem Motto: Wenn die Menschen nicht bereit sind, uns freiwillig die Wahrheit zu sagen, müssen wir sie mit anderen Mitteln dazu zwingen.