50 Indie-Geheimtipps, Teil 1: 1969 – 1984


Zehn Geheimtipps aus dem Genre Indie - die Alben wurden ausgewählt und besprochen von: Oliver Götz, Stephan Rehm und Jochen Overbeck.

Gelangweilt von den immer gleichen Bestenlisten? Im Oktober-Heft 2010 haben wir die jeweils 50 besten, aber weitgehend unbekannten Alben aus den Genres Indie, Electro, Folk, Hip Hop und Avantgarde zusammenstellt. Das Indie-Genre macht den Anfang. Hier finden Sie die Texte zu den ersten zehn der 50 Geheimtipps, Teil zwei ist ebenfalls schon online.
Den vollständigen Artikel können sich Nutzer unseres Archivs natürlich jederzeit ansehen.

 

The Shaggs – Philosophy Of The World (1969)

„Besser als die Beatles“, jubelte Frank Zappa. Auch Kurt Cobain nannte dieses Chaos aus auf verstimmten Instrumenten gespielten Songs bar jeden Takts, von jeder Lehre abweichenden Gitarrenakkorden und kindlich aufrichtigen Texten als unschätzbaren Einfluss auf alternative Musik. Seit den nach einer damals angesagten Frisur benannten The Shaggs (drei, später vier Schwestern, deren Vater – darin einer Prophezeiung der Oma folgend, nach der die Mädels als Band zu Superstars werden würden – ihnen Instrumente in die Hände gedrückt hatte) musstest du nichts von Musik verstehen, um Musiker zu werden. Indie war geboren.

The Pop Group – Y (1979)

Die Band aus Bristol, vorschnell ins Ablagefach „geniale Dilletanten“ sortiert, musiziert nicht gegen Konventionen an. Sie ignoriert sie, denn ihre Musik soll ausdrücken, was selbst Punk und Postpunk nicht richtig ausdrücken konnten: Ekel, Angst, Schmerz. Thatcher: krank. Krieg: krank. Die Gesellschaft: krank. Wie hätten sie eine Platte machen können, für die Hoffnung besteht? Y ist ein dubbiges, dadaistisches, vor allem drastisches No-Wave-Manifest, das einem für Momente sogar die Orientierung raubt. Möglicherweise führt hier hindurch aber ein Weg zur Freiheit.

The Slits – Cut (1979)

Die Superstars der Nonstarszene, die Original Riot-Grrrls (trotz des DrummERs Budgie). Produzent Dennis Bovell, damals wichtige Figur der britischen Reggae- und Dubkultur, hatte zwar seine liebe Mühe, den ungestümen Sound der Londoner zu zähmen, doch das Ergebnis heiligte alle Mittel: Ein stark groovendes Meisterwerk, das die Engstirnigkeit des Punk aufhob und Reggae wachrüttelte – und mit „Typical Girls“ noch einen universellen Pophit abwarf. The Feelies Rhythms (1980) Oft wird diese Platte in der Wühlkiste mit Weezer verwechselt und schmunzelnd zurücksteckt. Ein Fehler! Dieser College-Rock vorwegnehmende New Wave darf sehr guten Gewissens eingepackt werden, ist man rockhistorisch am Ursprung etwa von R.E.M. interessiert. Trademark des Albums ist der direkte, klare Gitarrensound, den die Band erreichte, indem sie die Gitarrenspur direkt – ohne Umwege über Mikro oder Verstärker – ins Mischpult laufen ließ.

The Monochrome Set – Love Zombies (1980)

Für ihr zweites Album hatten die Nachfolger der B-Sides (Adam Ants Ex-Band) ihren quirligen Sound zwischen frühen Pink Floyd, „The Munsters“-Theme und ? And The Mysterians geglättet und so eine Art psychedelischen Jazz-Punk geschaffen. John Peel wurde nicht müde, das herausragende Kompositionstalent und den Wortwitz der Band um den indischen Sänger Bid zu huldigen.

Television Personalities – … And Don’t The Kids Just Love It (1981)

Ein sentimentaler kleiner Mann schaut aus dem Fenster auf die Welt und schreibt darüber Lieder. Der Postpunk kommt ihm gerade recht für seine Idee von Popmusik, denn die muss nur perfekt im Herzen sein. Seine große Liebe gehört dem (psychedelischen) Pop und der Popkultur der Sechziger. Es wird später noch einiges über die campen Lyrics und In-Jokes von Dan Treacy zu lesen geben, doch es sind seine Sehnsüchte und wie direkt er sie auf den Punkt, den Pop bringt, was dieses Debüt so einnehmend macht.

Josef K – The Only Fun In Town (1981)

Oft zitiert und als Einfluss von z.B. Franz Ferdinand genannt; angehört hat es sich trotzdem keiner. Oder gleich wieder die Segel gestrichen. Denn dieses Indie ist anders. Funky, aber auch ziemlich nervös. Der Sound dünn, die Songs nicht so vulgär prägnant. Gitarrenpopmusik, die ihren Akzent auf das „Pop“ legt und trotzdem mehrdeutig bleibt – damals, auf dem Postcard-Label, kriegten die das noch hin.

Associates – Sulk (1982)

Wer mit Green Day groß wurde, wechselte irgendwann zu den Sex Pistols. Wer sich seit Jahren fragt, womit man an die frühe Begeisterung für die Sisters Of Mercy niveauvoll anschließen kann: Hier, mit diesem schottischen Postpunk-Duo, dem mit ihrer dritten Platte SULK zumindest ein UK-Top-Ten-Erfolg vergönnt war. Sänger Billy Mackenzie und Soundmann Alan Rankine liefern sich darauf ein wahres Duell an Bombast, Tiefgang und Dramatik. Einmal scheint es, als könne die Opernstimme Mackenzies die Synthesizer-Architektur Rankines zum Einsturz bringen, dann rollt letzterer Mackenzie wieder in einen dicken Klangteppich ein. Der Reiz dieses Albums liegt natürlich im Unentschieden. Seinen eigentlichen Kampf, den gegen das Leben, sollte der unter Depressionen leidende Mackenzie 1997 verlieren. Er beging Selbstmord. Mit ihrer Version von „Gloomy Sunday“, „Ba De La Bap“ und insbesondere „Party Fears Two“ mit seinem markanten Synthieriff hinterließ der auf der Bühne alle Facetten theatralischer Flamboyanz bedienende Performer Kabinettstücke des Dark Wave.

Mission Of Burma – Vs. (1982)

Postpunk sollte weniger als Stilrichtung, sondern als eine Vielzahl von Bemühungen betrachtet werden, aus dem Punk die richtigen Lehren zu ziehen: Wie lässt sich diese Power über längere Distanzen bewahren, wie sich als Widerstandskraft intensivieren über den Moment des In-die-Fresse-Rotzens hinaus? VS., das Debüt des Quartetts aus Boston, gibt Antworten auf diese Fragen, die heute noch Gültigkeit haben.

Three Johns – Atom Drum Bop (1984)

Sänger John Hyatt, Gitarrist Jon Langford (Mitgründer der Mekons) und Bassist Phillip Brennan, den man einfach auch „John“ rief, verstanden sich nicht als „sozialistische Band, alle Bandmitglieder sind allerdings Sozialisten“. Ihr Debüt, geziert vom Zensur umgehenden Slogan „Rock’n’Roll Versus Thaatchiism“, war dennoch ein von linkspolitischen Ideen durchzogenes Punkrockbrett, dessen Ziel es war, dafür zu sorgen, dass Rock’n’Roll „The Devil’s Music“ bleibt.