50 Indie-Geheimtipps, Teil 3: 1993-1996


Zehn Geheimtipps aus dem Genre Indie - die Alben wurden ausgewählt und besprochen von: Oliver Götz, Stephan Rehm und Jochen Overbeck.

Im Oktober-Heft 2010 haben wir die jeweils 50 besten, aber weitgehend unbekannten Alben aus den Genres Indie, Electro, Folk, Hip Hop und Avantgarde zusammenstellt. Das Indie-Genre macht den Anfang. Hier findet Ihr Teil drei der 50 Geheimtipps – zur Übersicht aller Indie-Geheimtipps geht es hier.

Den vollständigen Artikel können sich Nutzer unseres Archivs natürlich jederzeit ansehen.

Shrimp Boat – Cavale (1993)

Alles war ihnen recht: Bluegrass, Jazz, Countryrock. Doch der Erfolg mied Shrimp Boat ebenso konsequent wie diese den 4/4-Takt, gängige Rhythmen oder konventionelle Songstrukturen. Die (wenigen) Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch: Tortoise, Lambchop. Kurz nach dem Release trennte sich die Band. Sänger Sam Prekop und Schlagzeuger Eric Claridge gründeten anschließend die ihr Talent bündelnden The Sea And Cake.

Superchunk – On The Mouth (1993)

„(…) they are today considered one of indie rock’s definitive bands“, steht bei Wikipedia, verweislos. Solches lässt sich vielleicht über Pavement ohne Quellenangabe behaupten. Aber Superchunk? Da wäre interessant zu erfahren, wer da so considered. Dann wüsste man zumindest, wer diese High-Speed-Version der Pixies überhaupt kennt. ON THE MOUTH, ihr drittes Album, lebt von einer Sorglosigkeit und einem Übermut, wie sie wohl nur majorvertragslosen Menschen möglich sind. Vielleicht ist es also ganz gut, wenn nicht zu viele Leute diese Band als irgend etwas considern.

The Auteurs – New Wave (1993)

Wer Luke Haines‘ Rundumschlag „Bad Vibes – Britpop And My Part In Its Downfall“ gelesen hat, weiß: Zumindest der Auteurs-Frontmann hielt das Debüt seiner Band damals für ein Meisterwerk. Auch wenn es genau diese an Boshaftigkeit grenzende Arroganz war, die in den Folgejahren die Auteurs implodieren ließ: dem glamourös-dramatischen Kammerpop auf NEW WAVE steht sie so was von gut.

Kingmaker – Sleepwalking (1993)

Paul Heaton ist schuld. Der ehemalige Housemartin nannte Kingmaker „Mittelstandsposer“. Das brach der Band aus Heatons Heimatstadt Hull das Herz. Dabei hatte alles so aussichtsreich begonnen: Ihr Debüt EAT YOURSELF WHOLE schürte Hoffnungen, Kingmaker könnten die Band sein, die britische Gitarrenmusik im großen Stil wieder belebt. Der Top-15-Erfolg von SLEEPWALKING mit seiner tollen Mitspring-Leadsingle „Armchair Anarchist“ schien die Hoffnung zu bestätigen. Doch dann kam Paul Heaton und hat alles kaputt gemacht.

Red House Painters – Red House Painters (1993)

Angesichts des ersten Studioalbums seiner Band lief Mark Kozelek beinahe über: 14 Songs in 75 Minuten, die CD randvoll. Dabei schien Enthusiasmus seine erste Regung nicht zu sein. 14 Songs – und alles Balladen. Kozelek, ein Nick-Drake-Jünger und Schützling von Mark Eitzel, fleht um Anerkennung und Liebe. Manche der Balladen wachsen sich in rauschhaften Instrumentalschleifen allmählich zu Rocksongs aus. Am Ende fällt aber doch alles auf das allertraurigste Individuum Kozelek zurück. Ein Meister des Sadcore.

Swell – 41 (1994)

Rick Rubin nahm die Band aus San Francisco für American Recordings unter Vertrag. Doch die Welt wollte nichts wissen von dieser Platte. Spinnt die Welt? Nein, sie ruht nur nicht in sich wie es 41 tut. Da kommt jemand die Treppe hoch, greift zur Stahlbesaiteten und dengelt drei Akkorde. Er singt, mit Staub auf der Stimme: „Don’t have a thing to share/ Won’t even comb my hair/ But in our room so nice/ This screwed up life and I – sit down“ Immer weiter schraddert die Stahlbesaitete, eine Slidegitarre malt die Schatten am Boden nach, das Schlagzeug klackert trocken Synkopen. Das hier könnte Noisepop sein. Aber Swell mögen nicht zu dollen Krach. Spaghettiwesternmusik? Alle Pferde lange tot. Und für Neo-Psychedelia meldet sich ihr Dealer zu selten. Später klingelt auf 41 ein Telefon. Sie lassen es klingeln.

Die Time Twisters – Girls, Gurus & Gitarren (1994)

Dass die Beschäftigung mit der Indie-Ursuppe um das Bad Salzuflener Label Fast Weltweit lohnt, dürfte bekannt sein. Neben dem durch Blogs fliegenden Material der Blumfeld-Vorgänger Bienenjäger sind vor allem die Time Twisters einer Betrachtung wert. Die spielen sich auf ihrem einzigen Album krachig und ohne Scheu durch 20 Stücke, irgendwo zwischen Surf, Beat und Powerpop. Durchaus eine Blaupause für das, womit später Superpunk Erfolg hatten.

Die Regierung – Unten (1994)

„Hey Corinna, was ist das für ein Leben/ Wir kriechen im Staub und wir schlafen im Regen. Aber alles was Du machst, ist so elegant“ – „Corinna“ ist der beste Song, den Tilman Rossmy jemals schrieb – und er ist einer der schönsten deutschsprachigen Songs der 90er-Jahre. Es war das vierte und letzte Album der Regierung, die schon während der Aufnahmen mit Chris von Rautenkranz (u.a. Blumfeld und Die Sterne) Auflösungserscheinungen zeig-te. Das ist schade, denn das Krachige und Ratlose, dass Stücke wie „Corinna“ oder „Runterbringer“ eben ausmachte, erreichte Rossmy nie wieder.

Air Miami – Me, Me, Me (1995)

Zehn Jahre überschaubarer Underground-Fame mit seiner Band Unrest, die ihrem minimalistischen Pop gern mit White Noise und allerhand Bleeps und Blops entgegensteuerten, waren dann auch mal gut. Sänger Mark Robinson und Bassistin Bridget Cross entschieden sich mit Air Miami für ein eher auf die Breite abzielendes Outfit. Das flotte „World Cup Fever“ wurde sogar ein kleiner Collegeradio-Hit.

The Olivia Tremor Control – Music From The Unrealized Film Script, Dusk At Cubist Castle (1996)

Das Projekt aus dem Elephant-6-Kollektiv biss mit seinem 27-Songs-Debüt nicht nur in den saftigen grünen Apfel, es verputzte ihn mit einem Happs: The Olivia Tremor Control lieferten viel mehr als eine weitere geschmackvolle Beatles-Hommage – sie waren die Beatles, ca. 1967/68. Allerdings mit der Freiheit, bar aller kommerziellen Erwartungen sich noch rückhaltloser in Experimente zu stürzen. Allein zehn krautige, ambiente, spinnerte Stücke über „Green Typewriters“ – wäre das nicht toll gewesen, John?