7 Auf Der Gästeliste
AUF DER GÄSTE LISTE Texte Jochen Overbeck SIMIAN MOBILE DISCO haben für ihr zweites Album den halben Indie-Kosmos eingeladen. Trotzdem legen Jas Shaw und James Ford Wert darauf, dass sie selbst mehr so Techno sind.
Einmal wissen Jas Shaw und James Ford nicht genau, was sie sagen sollen. So etwas gibt es in Interviews natürlich öfter. Aber dass es ausgerechnet dann passiert, wenn es um die Geburtsstunde der eigenen Band geht, das ist ungewöhnlich. Jas Shaw nennt als Moment hierfür die erste schriftliche Niederlegung des Namens Simian Mobile Disco auf einem Tonträger – geschehen 2003, als die Plattenfirma zur Single-Veröffentlichung des Simian-Hits „Never Be Alone“ noch eine B-Seite benötigte und die beiden unter jenem Moniker einen Remix zusammenkloppten. James Ford sieht die Ursprünge von Simian Mobile Disco hingegen in einem Nebenjob, den Simian auf einer US-Tournee erledigten: “ Nach unseren Konzerten legten wir noch fast jeden Abend auf Aftershow-Partys auf – wir bekamen meistens 50 Dollar oder so, bar auf die Hand.“ Eines dürfte auf jeden Fall klar sein: Dass aus diesem Remix- beziehungsweise DJ-Ding irgendwann einer der beliebtesten Clubmusik-Acts Großbritanniens wird, war nicht ihr Plan und hat viel mit Zufällen zu tun – zum Beispiel damit, dass die Justice-Adaption von erwähntem „Never Be Alone“ unter dem Titel „We Are Your Friends“ mit einem Vorlauf von drei Jahren plötzlich durch die Decke ging. Hätten die beiden Briten das alles vorher gewusst, hätten sie vermutlich vor allem eines getan: ihren Namen geändert. Über den fluchen sie nämlich heute noch, weil er dafür sorgt, dass sie ihre eigene Vergangenheit mit sich herumschleppen wie ein Wanderer seinen Rucksack. Aber nun ist es, wie es ist: Jas Shaw (der große Blonde) und James Ford (der lustig gelockte Zeitgeist-Produzent) sitzen in einem Berliner Hotelzimmer und erzählen vom zweiten Album von Simian Mobile Disco: TEMPOKARY PLEASURE. Davon, dass der Weg zur Platte kein leichter war (siehe ME 8/2009), aber auch davon, dass man hinter dein zweiten Album des Duos kein Konzept vermuten dürfe. Der Gedanke ist nämlich gar nicht so abwegig – auf sieben der elf Tracks haben Gaststars die Vocals übernommen, unter anderem sind Gruff Rhys von den Super Furry Ammals, Yeasayer-Mann Chris Keating, Beth Ditto von Gossip, Alexis Taylor von Hot Chip und das Avantgarde-Elektropop-Duo Telepathc zu hören. Zwei dieser Beiträge heben Shaw und Ford besonders hervor. Zum einen die Young Fathers. Die kamen mit dem Nachtzug aus Schottland – direkt von einem Auftritt. Im Zug hatte das aktuell fürchterlich angesagte Rap-/Dub-/Powerpop-Trio schon ein paar Zeilen geschrieben, den Rest erledigten sie innerhalb weniger Stunden und düsten dann wieder davon. Eine beeindruckend ergebnisorientierte und vor allem überzeugende Arbeit, die dem eigentlich nicht unbedingt als Albumtrack geplanten „Turn Up The Dia!“ seinen Stammplatz auf TEMPORARY PLEASURE sicherte. MitJamieLide.il (singt „Off The Map“) war’s indes am lustigsten. Der stellte Bedingungen.
Shaw muss immer noch lachen, wenn er vom Studiobesuch des Kanadiers erzählt: „Ersagte, er würde nur mitmachen, wenn er so viele Effekte auf seine Stimme legen dürfe, wieerwolle. Sostand er also da und sang und war die ganze Zeit über an den Knöpfchen irgendwelcher Stimmeffektgeräte zu Gange. Wirklich ein wunderbares Bild.“
So eine lange Gästeliste ist eine Ansage, die ein bisschen an die Glitzerwelt des US-HipHop mit ihren teuer eingekauften Features erinnert. Die Unterschiede dazu versucht Jas Shaw auf den Punkt zu bringen, sie sind ihm wichtig: „Auf unserem Album singen nur Leute, die wir über wenigstens eine Ecke kennen. Es sind im Prinzip die Typen, die du jeden Sommer triffst, wenn du auf den großen Festivals spielst. Einige sind Freunde geworden, und ich weiter auf Seite 44
denke, das hört man auch. Das ist bei den HipHop- undR’n’B-Stars völlig anders. Die kaufen ihre Spuren bei irgendeinem Top-Ten-Rapper und bekommen dann inspirationslose B-Ware geschickt. Das ist in etwa so kreativ wie der Einbau eines Waschbeckens. Das machen wir erst, wenn uns überhaupt nichts mehr einfällt. „
Das Prinzip hinter dem Album sei ein anderes: raus aus der Disco, zumindest ein paar Schritte, rein ins Songwriting.
„All die Leute, die du auf unserer Platte hörst, sind da nicht nurwegen ihrer Stimmen. Es sind Künstler, die wirklich großartige Songs schreiben und die genau das hier tun“.
sagt Shaw. Dass sie ein gutes
Dutzend De- mos durch die
Welt schickten, sei allerdings eher der Ratlosigkeit während des Aufnahmeprozesses geschuldet gewesen:
„Drei, vier Songs mit Gast-Vocals – der Rest Instrumentals. Das war der Plan.“
Denn SMD plötzlich über das Lied an sich und damit als Popband zu rezipieren, das wäre den beiden doch nicht so recht. Immerhin fühlten sie sich damals in eben so einer Band, Simian, nie richtig wohl, wie Jas erzählt. „Das mit Simian war eine schwierige Sache. Wir kamen uns immer ein bisschen wie Blender vor, weil es diese klassischen Band-Eigenschaften bei uns nicht gab. Wir waren keine Kumpels, sondern vier Typen, die etwas im Studio aufnahmen und dann live rekonstruieren mussten. Und das klappte immer nur so mittelgut.“
Unangenehme Pflichterfüllung, von der sich die beiden emanzipiert haben. Konzerte sind eher Variationen auf das Albumma44 Musikexpress
terial. Das ist aber auch schade, denn so verschenken die beiden die ein oder andere Chance: So wäre auf dem Melt-Festival Mitte Juli z. B. ein Gastspiel von Beth Ditto möglich gewesen – Gossip standen dort auch auf dem Programm. Aber nein. James Ford lacht, es kön nte Verlegenheit sein: “ Es ist für uns extrem schwierig, Sänger in unsere Shows einzubinden. Das liegt vor allem daran, dass wir so faul sind. Wir proben viel zu selten, sodass jeder Gig anders läuft. Außerdem haben wir gerade mit den neuen Songs genug zu tun.
dauerte ewig, bis wir ‚Audacity Of Huge‘ so weit hatten, dass es ins Liveset passte.“
Dabei versuchen SMD, die Sache mit den Konzerten dieses Jahr ohnehin etwas kleiner zu halten. „Wir sitzen gerade nebenher an den Aufnahmen für ein Album, das wir im Winter veröffentlichen wollen – eine Technoversion der neuen Platte, für die wir ein paar Dinge verwenden wollen, die bei der Produktion rausfielen“, erzählt Ford – und es klingt so, als wolle er damit die Verortung der Band betonen. Das sei für sie eine hübsche Abwechslung, zumal es von TEMPORARY PI.EASURE nicht die klassische Remix-Variante geben wird, wie sie ATTACK DECAY SUSTA1N RELEASE (2007) im vergangenen Jahr nachgeschoben wurde. „Ich glaube nicht, dass man diesem Album damit einen großen Gefallen tun würde“, sagt Ford. Das wäre auch eine Respektlosigkeit gegenüber den Gastvokalisten: „Deren Gesang zu zerhacken, fände ich frech, auch weil wir damit die Texte zerstören würden.“
Auch die eigene Remixtätigkeit soll wieder aufgenommen werden. “ Wir haben ewig nichts mehr gemacht, seit über einem Jahr“, sagt Ford. Lust hätten sie durchaus. „Wir haben zuletzt viel aufgelegt. Und dabei möchte man natürlich auch ah und zu etwas Eigenes spielen, was mit den Songs von unserem neuen A Ibum nicht so gut funktioniert.“ Die Bearbeitung von Fremdmaterial geht den beiden leicht von der Hand: „Wir tun so, als ob wir einen eigenen Track schreiben würden. Nur nehmen wir eine fremde Idee, eine fremde Melodie, eine fremde Basslinie als Grundlage. Spätestens nach einem Tag ist das Ding im Kasten.“
Dafür sei es umso wichtiger, sowohl bei Remixen als auch bei neuen Songs, nach Fertigstellung alles noch ein wenig liegen lassen. „Man braucht noch einmal eine Zeitspanne, in der man den Song wie ein ganz normaler Hörer anhören kann, das ist das Geheimnis. Aber zu lange darf man sich auch nicht damit beschäftigen. Wenn du zu langsam arbeitest, verlierst du das Ziel aus dem Auge. Diese Bands, die monatelang an einem Song schrauben, habe ich noch nie verstanden.“