Man könnte mal wieder Nena verbieten: Paulas Popwoche im Überblick
Paula Irmschler über Pop und 9/11, Kevin can f**k himself und die Vengaboys.
Doku der Woche: „Wendepunkt: 9/11 und der Krieg gegen den Terror“
Es wird immer als erstes gefragt, wo man gewesen sei, als es passierte. Wo wird man schon gewesen sein? Entweder vorm Fernseher, in New York oder noch nicht am Leben. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gingen die Bilder um die Welt, immer wieder, ich kenne sie alle. Dachte ich zumindest. In der jetzt auf Netflix veröffentlichten Doku sind ein paar dabei, die ich noch nie gesehen habe. Unter anderem weil der Anschlag hier ausführlicher kontextualisiert wurde als meist. Es gibt ein Vorher und ein Nachher, es gibt Ausgeglichenheit und Differenzierungen und es gibt Dinge, die offen gelassen werden müssen. Nachdem jetzt zwei Jahrzehnte lang die Schuldigen entweder hier oder da ausgemacht und anhand dieser Entscheidungen die Geschichte erzählt wurde, hält sich die fünfteilige Doku streng an Fakten, inszeniert nichts übertrieben dramatisch, sondern bleibt schlicht und chronologisch. Dabei geht es um die Entstehung von Al Qaida, die Rolle der USA dabei, deren politischen Versäumnisse später, die Entstehung von Guantanamo und die Kriege im Irak und Afghanistan – bis zum kürzlichen Abzug der Truppen.
Jetzt, 20 Jahre nach 9/11, scheint die öffentliche Wahrnehmung generell differenzierter zu sein. Beim Gedenken in diesem Jahr gab es zumindest weniger ausschließlich Antiamerikanismus oder kompromisslosen Patriotismus. Vielleicht kann man es so stinkeinfach aufs Wesentliche bringen wie der Regisseur Zack Bornstein:
Popgeschichte der Woche: 9/11
Also, ich war am 11. September 2001 vor dem Fernseher und checkte kaum, was da los war. Ein Hochhaus stürzte ein und dann ein zweites, böse Leute steckten dahinter. Ich kannte die „Zwillingstürme“ nicht, aber ich kannte das World Trade Center, weil es davon auch eins in meiner Stadt gab, das würde es hoffentlich nicht auch erwischen, weil dort war die Stadtbibliothek, in der ich mir immer CDs besorgte. Aber dass den ganzen Tag und am nächsten Tag Sondersendungen auf allen Kanälen kamen und auch die Heinis von VIVA bedröppelt in die „Cam“ guckten, machte mir natürlich schon bewusst, dass was Großes, Wichtiges, besonders Schlimmes und die Weltveränderndes passiert war. Sie hämmerten es einem ununterbrochen ein. Das Ende. Der Anfang. Jetzt wird dieses und jenes passieren. Die Welt wird nie wieder dieselbe sein. Viele andere Millennials erzählen heute, wie einschneidend das gewesen war, ihre Kindheit sei geendet und sie hätten da zum ersten Mal was ganz Großes gespürt (Gewicht der Welt usw.) Ich glaube, die Wahrheit ist, dass es uns halt tagelang via Fernseher eingehämmert wurde und wir das nicht einfach so von selbst wussten.
Meine Welt war noch dieselbe, ehrlich gesagt. In der Schule regten wir uns auf, dass wegen dem Sonderprogramm die Folge von „Dragon Ball Z“ ausgefallen war, die im Übrigen in der nächsten Woche auch nicht nachgereicht wurde. Kinder sind nicht sooo klug.
Hier bin ich noch mal in mein BRAVO-Archiv gestiegen. Vollkommen irre, vor allem der Artikel über Jeanette Biedermann.
Es war eine interessante Zeit für Nachwendekinder. Einerseits schworen uns die Medien, die wir den ganzen Tag konsumierten auf ein WIR ein, auf das es jetzt ankäme, weil es war ja ein Angriff auf uns und unsere Werte. Amerika lag nebenan, das war das Land mit den Filmen, Serien und der Mukke. Außerhalb unserer Kinderzimmer hieß es aber, die Amis hätten das ohnehin mal verdient und wir sorgten uns, dass unsere Brüder, Väter oder was jetzt in einen Krieg müssten. Dann brach bald die Zeit an, wo einem die Amistars erklärten, dass Bush ein Schwein ist und da man dann so richtig in der Pubertät und so ein bisschen links wurde, fand man das jetzt auch. FCK BSH!!!, zierte die Federmappe. Die große Abrechnung mit dem „American Idiot“ (Green Day) folgte. P!NKs Song zum Beispiel war zwar schlimm, aber nicht so schlimm wie damals Enya.
Gut ist zum Beispiel der New Yorker Rapper Heems. Er veröffentlichte auf seinem 2015er-Album EAT PRAY THUG den Song „Flag Shopping“, in dem er die Zeit nach 9/11 für sich und seine muslimisch gelesene Community rekapituliert, in der es ständig galt, sich zu beweisen, während das natürlich nie ausreichte.
„We sad like they sad
But now we buy they flags
Spying on our Muslim brother
While staring at our mother“
Und dann gab es noch das „Clear Channel memorandum“ … Die Radiokanalkette „Clear Channel Communications“ (1200 Sender in 47 US-Bundesstaaten, heute iHeartMedia) gab eine Liste raus von über 150 Songs, die nach 9/11 nicht mehr gespielt werden sollten, weil sie „lyrisch fragwürdig“ seien. Guckt man sie sich an, merkt man, die Interpretation ist wild: Entweder waren sie wohl zu antiamerikanisch, handelten zu sehr vom Frieden oder es kam einfach nur irgendwas mit Fliegen oder Ausländern darin vor. Dabei sind zum Beispiel John Lennons „Imagine“, Bangles’ „Walk Like An Egyptian“ (!!!), Nenas „99 Luftballons“, alle Rage-Against-the-Machine-Songs, Zombies’ „She’s Not There“ und Alanis Morissettes „Ironic“. Ich komme nicht umhin, mir vorzustellen, wie die Mitarbeiter*innen von „Clear Channel Communications“ die Liste zusammengestellt haben. Halt so, wie wenn man selbst mit Leuten zusammensitzt und Einfälle zu einem Thema zusammen schmeißt und es irgendwann richtig albern wird.
Hier ist die Verbotsliste in fast vollständig:
Serie der Woche: „Kevin can f**k himself“
Die Idee hinter dieser Serie ist richtig gut, genial sogar. Wir werden ins übliche 80er/90er/00er-Setting von Sitcoms geworfen: Dicker Mann und normschöne Frau (sie sollen gleich alt sein, aber es ist offensichtlich, dass sie von einer jüngeren gespielt wird) sind miteinander verheiratet. Er ist ein tollpatschiger, blöder, ulkiger, egoistischer Typ, der mit Kumpels Bier trinkt, Sport guckt, seine Frau missachtet und am laufenden Band Scheiße labert und baut. Er wird so harmlos erzählt, dass die Zuschauer*innen mit ihm sympathisieren. Sie ist die durchaus starke Frau, deren Tun sich aber nur um das des Typen dreht und die hinter ihm die Scheiße hinterhertragen muss, während sich ihre Träume immer wieder verschieben und auflösen, ihm zuliebe. Sein (Eric Petersen als Kevin) Tun hat in dieser Serie aber richtige Konsequenzen. Die sehen wir plötzlich, und zwar indem wir ihr (Annie Murphy als Allison) folgen, was sich schon sehr ungewöhnlich anfühlt. Normalerweise verschwindet die Frau hinter der Schwingtür, oft genervt, und das war’s. Hier sind wir bei ihr und aus den grellen Sitcomfarben werden düstere, eher wie in einer Crimeserie. Zwischen diesen beiden Modes wechselt die Serie dann immer. Sobald Kevin, um den sich alles dreht, den Raum betritt, wird’s bunt.
Die Vorbilder der bunten Episoden liegen auf der Hand: „Everybody Loves Raymond“, „King Of Queens“, „Kevin Can Wait“, „Married With Children“ oder „Home Improvement“ waren hier eindeutig die Vorbilder. Die Serie könnte ohne die düsteren Passagen genau so funktionieren wie die Sitcoms mit denen wir aufgewachsen sind. Aber sie stellen genau diese Selbstverständlichkeiten in Frage. Warum haben wir solange diese schrecklichen Manchild-Typen abgekultet, warum verklären wir sie bis heute?
Nach „Kevin can f**k himself“ (ja, es ist eine direkte Anspielung auf „Kevin Can Wait“) wird das wohl nicht mehr passieren. Allison hat nämlich die Schnauze voll und tut sich mit ihrer Nachbarin Patty (Mary Hollis Inboden), die bisher lieber one of the boys sein wollte und sich zusammen mit Kevin und seiner Gang über Allison lustig machte, zusammen. Nachdem Patty Allison nämlich aufklärte, dass Kevin das ganze Geld der beiden lieber für sich ausgibt, als auf ein gemeinsames neues Haus zu sparen, will Allison ihn jetzt umbringen – und Patty wird zur Komplizin. Die Beziehung zwischen den Frauen ist dabei das eigentlich Spannende und sie wird im Laufe der Serie immer wichtiger.
Die Serie macht aber auch etwas wütend: Man fragt sich die ganze Zeit, warum verlässt Allison Kevin nicht? Wieso ist sie mit ihm zusammen? Wer ist sie denn wirklich? Wo will sie hin, wer will sie sein? Es dreht sich so quasi trotzdem alles um den Mann, auch wenn es jetzt um den Hass auf ihn geht. Aber so führt einem die Serie ziemlich exakt vor, was man sich bei all den ollen Sitcoms nie gefragt hat. WHY HIM??? Und einiges wird hoffentlich noch in der zweiten Staffel passieren, die bereits angekündigt wurde.
Video der Woche: Vengaboys – „1999“
Retrofeelings 10 000: Das Cover des 2018er-Hits von Charli XCX und Troye Sivan ist eines dieser full-circle-Phänomene, die es ab und an braucht. Weil man den Vengaboys die Sehnsucht nach 1999 viel mehr abnimmt. Da war die Welt ja noch angeblich in Ordnung, sagen zumindest die Leute im Fernsehen & Co.:
Lied der Woche: Bleach Lab – „Talk It Out“
Unnormal schönes, melancholisches Indie-Lied, das mir letztens auf die Bluetooth-Box gespült wurde, während ich auf den Klempner wartete, der dann nicht kam. Aber dann konnte ich mich aufs Bett legen und das Lied genießen und danach noch alles andere von der Band anhören und mich jetzt aufs Album freuen.
Band der Woche: Sprints
Wie toll sind die? Sie kommen aus Dublin, sind lustig und frech und ihre bisherigen Songs klingen herrlich nach Ausprobiererei: mal Postpunk, mal Pop, mal Indiegedöns. Das wird bestimmt noch super mit denen, vor allem wo es jetzt doch wieder Festivals gibt.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.