Einer muss schließlich die Party feiern
Ted Gaier zur Rückkehr von Deutschlands erstem "Berufsjugendlichen" Udo Lindenberg.
Es lässt sich nicht mehr leugnen: Udo is back. Auf den Titelblättern der Umsonstmagazine, auf Plakatwänden, bei „Wetten dass…?“ und in den Charts, wo er dieser Tage zum ersten Mal überhaupt mit einem Album auf Platz eins gelandet ist. Eigentlich ist Udo alle paar Jahre mal wieder zurück gewesen, nur diesmal kommt er mit einer Platte um die Ecke, die zum ersten Mal seit Dekaden eine Brücke zum Udo der 70er Jahre schlägt. Zu jener freigeistigen, oft auch zarten Type, die Leuten wie mir im Alter zwischen 13 und 15 ein eigentümliches Gefühl von Komplizenschaft vermittelte.
Zwar beweihräuchern die Texte, wie zuletzt eigentlich immer, vor allem das eigene Durchhalten und das Ein-schwieriger-Typ-Sein, aber ich gebe zu: Irgendwie berührt mich der Klang dieser brüchigen, vertrauten Stimme. Vermutlich ist es Produzent Andreas Herbig und den mitwirkenden Songschreiberlnnen (u.a. Annette Humpe und Helge Schneider) und Musikerinnen dieser Platte zu verdanken, dass aus stark wie zwei so etwas wie ein Alterswerk geworden ist. Anders als auf den letzten gefühlten 30 Lindenbergplatten wird diesmal nicht das ganze Sammelsurium aus Kalauern und egomanischen Befindlichkeiten in einen imaginierten modernen Sound gestopft und rausgehauen. Es scheint, als hätten sich die Verantwortlichen überlegt, was denn einen echten Udo ausmacht und wie so was glaubwürdig klingen kann. Herausgekommen sind Songs auf klassischer 70er-Jahre-Rock-Basis, in deren Zentrum Lindenbergs Stimme mit ihrem ganzen biografischen Gewicht steht. Klingt schlimm, funktioniert aber, weil dezent gemacht und größtenteils eben nicht von 70er-Jahre-Rockern eingespielt.
Wie gesagt, bei den Texten darf man nicht so genau hinhören. Bei „Ganz anders“ zum Beispiel: Da besiegeln Lindenberg und Jan Delay ihre prächtige Männerfreundschaft auf Cheftum-Basis und mokieren sich hamburgisch ironisch darüber, dass man sie ernst nimmt für den Quatsch den s sie so verzapfen. Aber lassen wir das. Selbststilisierung und Männerbild deutscher Populärmusiker und die Tendenz, sich gegenseitig die Eier zu schaukeln, wären Stoff für eine Doktorarbeit, die endlich mal jemand schreiben soll.
Anders als oft behauptet, war Lindenberg nicht der erste der die deutsche Sprache in die Rockmusik einführte. Aber er war der Einzige, den man damit im Radio hören konnte und dessen einzigartiger Jargon Mofa-Rocker und Gymnasiasten gleichermaßen ansprach. Eine Art Doktor Sommer in crazy, der unseren Teeniealltag vertonte und uns an seiner kindlichen Vorstellung von großer, weiter Rock’n’Roll-Welt teilhaben ließ. Während er immer mehr zu Deutschlands erstem Berufsjugendlichen wurde und als Mittdreißiger in Texten und Talkshows erklärte, was die Jugend so denkt, vollzog sich politisch und ästhetisch ein Paradigmenwechsel, der ihn und seine Rolle überflüssig machte. Punk und die verschiedenen Spielarten von New Wave erweiterten den Umgang mit der deutschen Sprache in alle Richtungen. Von überaffirmativ, nihilistisch und hyperpathetisch bis hin zu unversöhnlichem Hass war alles möglich, wenn nur endlich Schluss war mit zurückgelehnter Kalauersprache und sozialarbeiterhafter Entfremdungsopferrhetorik. Der Soundtrack zu den Häuserkämpfen Anfang der 80er klang anders als „Wenn man draußen wieder mit voller Gewalt gegen kalte Mauern knallt, kommt das Fieber…“. Peinlichkeiten wie die Antikriegsschnulze „Wozu sind Kriege da?“ („Herr Präsident, ich bin jetzt zehn Jahre alt und ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald“) ließen Lindenberg den letzten Coolness-Bonus verspielen, verankerten ihn aber umso mehr im Mainstream.
Seit Ende der 80er kennt man Lindenberg vor allem als „den mit dem Hut“. Als skurriles Klatschspaltenfossil, Durchhalteparolendrescher, glaubhaften Vertreter eines barocken Rock’n’Roll-Lifestyles und mythische Vaterfigur des deutschen Rock. Seine Songs traten in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr in den Hintergrund. Wie groß die Diskrepanz zwischen dem konsequent verrücktgebliebenen Paaardie-Udo und seiner Anhängerschaft ist, konnte ich vor fünf Jahren anlässlich des „30 Jahre Panikorchester“-Konzerts in der Hamburger Color Line Arena beobachten. Während sich Udo auf der Bühne mit schrill-tristen Promivögeln wie Ben Becker, Benjamin Stuckrad-Barre und Nina Hagen feierte, bestand das Publikum fast ausschließlich aus den ergrauten Mittelscheitel-Föhnfrisurenträgerlnnen vom Cover der 1979er Platte livehaftig. Leute, die im Werberjargon zynisch „Loser“ und „Normalos“ genannt werden und für die, wie es mir scheinen wollte, Lindenberg und die irgendwie freiheitlich gemeinten Botschaften seiner Songs letztlich Nostalgie und Erinnerung an eine ferne, verschlossene Jugend sind. Aber diese Arbeitsteilung ist ja genau das Prinzip von Lindenbergs aufgeklärt absolutistischer Panik-Präsidentschaft: Einer muss schließlich – stellvertretend für die anderen – die Party feiern. Gerade lese ich in der Morgenpost eine Grußbotschaft des Regenten an sein Volk: „Ich sehe diesen Hype als Auftrag tausendprozentig weiterzupowern und im Rocktober bei der Tour für meine Fans eine Riesenshow auf die Bühne zu stellen.“
In diesem Sinne: „Komm, hau rein das Ding“, wie Udo zum Beginn des „Ganz anders“-Songs nuschelt.
www.udo-lindenberg.de
Ted Gaier, Jahrgang 1964, ist Autor, Texter, Musiker, Film- und Theaterschaffender und seit 1984 Mitglied der Goldenen Zitronen. Er lebt in Hamburg.