Auf der Suche nach Zärtlichkeit
Dem Pariser Sebastien Tellier liegt "die Seele Frankreichs am Herzen". Und merke: Es ist nie zu früh, über"Sexüaliti"zu reden.
„Oh, bonjour, es ist sehr heiß in Berlin, mon dieu!“ Der junge Mann sitzt in einem blau-weißgestreiften Marc-Jacobs-Hemd, rot-weiß gepunktetem Paul-Smith-Seidenschal und hellgelben Hosen in der Morgensonne dieses Frühsommertags in Berlin. Während er seine Augen mit einer großen Sonnenbrille schützt, hängen die langen Haare vom Kopf über seinem Gesicht, und erste Schweißperlen kullern von der blanken Halbglatze über seine Stirn. Sebastien Tellier ist kein Pop-Prinz im herkömmlichen Sinne. Vielmehr erinnert er an den jungen Gerard Depardieu, sans die markante Nase. Er trägt Vollbart und einen dicken, extravaganten Goldring sowie eine Uhr mit Diamanten im Ziffernblatt. „Et non“, fährt erfort und nippt am Cafe au Lait, „es ist niemals zu früh, um über Sexüaliti zu reden.“
Franzosen. Ihre sprich wörtliche Sinnlichkeit brachte der französischen Lebensart Weltruhm ein, und mit Monsieur Tellierfindet sie einen modernen Vertreter. Unter lautem Protest von Alain Joyandet, Frankreichs Staatssekretär für Zusammenarbeit und Frankophonie, erleben wir die unverhoffte Auferstehung des amoureux transi Francais, des klischeemäßigen schüchtern-verliebten Franzosen, im globalen Gewand. Tellier vertrat Ende Mai Frankreich beim Eurovision Song Contest in Belgrad mit seiner Single“Divine“. Die Nominierung Telliers hatte im Vorfeld zu heftigen Kontroversen im Land geführt, da „Divine“, ein größtenteils englischsprachiges Lied, nach Meinung vieler keinesfalls die Grande Nation würdig vertreten könne. Monsieur Joyandet äußerte sich in den Hauptnachrichten heftig gegen eine Teilnahme Telliers auf Englisch:“Wird jemandem die Ehre zuteil, Frankreich international zu vertreten, dann soll er es auf Französisch tun!“ Tellier zuckt mit den Schultern. Er glaube kaum, sagt er, dass der Eurovision Song Contest der richtige Ort für die Vermittlung wahrer französischer Kultur sei. Vielmehr sei ihm der“Geist und die Seele Frankreichs am Herzen gelegen“, die auf Englisch für jedermann verständlich besungen worden seien.
Der Geist Frankreichs ist eindeutig mit Tellier, der 1975 in Paris geboren wurde und dieser Tage mit sexuality sein drittes Studioalbum herausbringt. „Fantino“ vom ersten Album l’incroyable verite ist durch den Soundtrack von Sofia Coppolas „Lost in Translation“ bekannt geworden, sexuality wurde von Daft- Punk-Mitglied Guy-Manuel de Homem-Christo produziert und ist eine Sammlung von Songs über Sex, die musikalisch zwischen French Houseundtonal ausgedünnten Pri nee-Projekten der frühen8oer-Jahre ihr Zuhause findet, ohne dabei jemals Charme oder Eigenständigkeit einzubüßen. Warme, organische Songs wollte er seh reiben, sagt Tellier. Tatsächlich ist die Platte das Dokument einer Suche nach derZärtlichkeitim Electro- Pop. Sinnlichkeit fände sich schließlich auch in einer Harmoniefolge, nicht nureinem bestimmten Instrument odereinerStimme, versichert Tellier. Und auch die Romantikdarf bei diesem modernen französischen Herzensbrecher nicht zu kurz kommen-. „Ich schrieb das Album, als ich frisch uerliebt uiar und sowieso an nichts anderes als Sexüaliti denken konnte“, erzäh It Tellier, steckt sich die nächste Zigarette an, trinkt seinen Kaffee aus und rückt seine Sonnenbrille zurecht. „Das ist wie… merde, excuse moi, mein Englisch, sehr schlecht, merci und au reuo’ir“, sagt er zum Abschied. Welch moderner Franzose.“
www.sebastientellier.com