Abhängen mit dem Sonnenkönig


Deck D’Arcy ist stinkig. Gerade war der Bassist mit seinen Kollegen von Phoenix in zugewucherten Brachen und zugemüllten Hinterhöfen Berlins unterwegs, auf der Suche nach einer Kulisse, um sich für diese Geschichte fotografieren zu lassen – und ist mit seinen schicken Slippern in Hundekacke gestiefelt. „Und überall liegt Scheiße“, hat Peter Fox in seinem Hit „Schwarz zu blau“ sehr richtig festgestellt:

„Man muss eigentlich schweben.“ Doch das Zitat kann den stilbewussten Franzosen nicht aufheitern. Deck D’Arcy schaut böse und humpelt ins Badezimmer. Den Kot und den Gestank loskriegen. Dabei ist Phoenix ganz bestimmt eine der wohlriechendsten Bands der Welt. Darüber sind sich Sänger Thomas Mars und die beiden Gitarristen Laurent Brancowitz und Christian Mazzalai vollkommen einig, während D’Arcy nebenan schwer zu übersetzende französische Flüche ausstößt. Phoenix sind nicht nur cool, sie duften auch so. Inoffiziell, versteht sich. Denn Musik klingt, kann sich anfühlen und sieht manchmal sogar nach irgendwas aus – aber riechen? Pink Floyd haben das mal probiert, als sie noch jung waren. Mit Rosenduftkanonen auf Konzerten. Ein Reinfall. Trotzdem ist es ein ergiebiges Gedankenspiel, über den „Odeur“ von Bands zu spekulieren. Motörhead riechen nach Leder, Bier und Motoröl. U2 nach dieser Ahnung von Klebstoff in den bunten Seiten von Hochglanzmagazincn. Und Phoenix? Nach Trockeneisnebel und Pfefferminze vielleicht, so ganz einig werden sie sich da nicht. Spannender ist dann eben doch die Frage, wonach Phoenix eigentlich klingen. Tatsächlich sorgte schon das Debüt von Phoenix, das 2000 erschienene UNITED, für Verwirrung. Schmierige E-Gitarrensoli gab’s da zu hören und Vocoderquatsch, ziemlich dicke Beats und vor allem: Songs, sehr, sehr gute Songs, so gute Songs, dass der Vergleich mit „Barry Manilow auf Speed“ nicht allzu abwegig schien. Ein Album mit seltsamer 80s-Schlagseite, ein beinahe an Toto erinnernder Hybrid aus Rock und Pop, erweitert um Soul, Funk und obskure Elektro-Einflüsse. Bis heute unübertroffen und einzigartig: die gut zehnminütige Prog-Funk-Fun-Mini-Oper „Funky Squaredance“, später von Roman Coppola mit einem ebenbürtig absurden Video versehen. UNITED hing allerdings nur so lange zwischen den Stilen und Zeiten, bis man einen Blick in die Bandgeschichte werfen konnte. Da stellte sich heraus, dass Laurent Brancowitz seine Gitarre in einer Band namens Darlin‘ gespielt hatte, zusammen mit Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, die bald mit Daft Punk für Furore sorgen sollten. Als auch noch durchsickerte, dass Phoenix als Backingband für einen Remixdes Air-Hits „Kelly Watch The Stars“ gedient hatten, konnte man die Nachtigall allmählich trapsen hören. Daher also die eigentümliche Beatlastigkeit, der seltsame Ansatz, der alles andere als rockistische, ironisch gebrochene Sound. Diese Band war eindeutig in dieselbe Schule gegangen wie die französischen Dance-Größen, neben Air beispielsweise Etienne de Crecy oder Alex Gopher. Buchstäblich auf dieselbe Schule, nicht sprichwörtlich. Produziert worden war UNITED von Philippe „Zdar“ Cerboneschi, Teil des French-House-Duos Cassius. Alles klar?

Alles klar machten Phoenix erst vier Jahre später auf AL-PHABKTICAL. .Ich glaube, UNITED war eher ein Insider-Ding“, sagt Sänger Thomas Mars und hat Recht: Das Album war, den offensichtlichen Hits „Too Young“ und „If I Ever Feel Better“ zum Trotz, ein Grower und erst dann in aller Munde, als mit ALPHABETICAL der stoisch durchpulsende, von allem Eighties-Schmock befreite Nachfolger erschien. Ein kleines Wunder von einem gut getarnten House-Album, von einer Band, die kein Projekt sein wollte und echte Songs lieferte. Mit W01.KGANG AMADEUS PHOENIX ist die Band erstmals wieder zum edlen Softeis-Sound der Anfangstage zurückgekehrt. Christian Mazzalai begründet das so: „Wir hatten wieder denselben Produzenten ¿wie bei UNITED, Philippe ,Zdar‘ Cerboneschi. Er bringt seinen ganz eigenen Geschmack ins Spiel und weiß ziemlich genau, was er will.“ „Er hat das erste Album produziert“, fügt Mazzalais Bruder Laurent Brancowitz hinzu, „und er war Hörer der beiden anderen Platten. Er sagte: ,Hey, ich liebe ALPHABETICAL, aber ihr müsst Folgendes anders machen …‘ Oder: IT’S NEVER BEEN LIKE THAT war toll, bis auf diese kleinen Fehler …‘ Zdar gab uns also ständig grünes oder eben rotes Licht. Klar war: Wir wollten einen elahorierteren Sound. ITS A’EVER BEEN … war rau und einfach. Wir sind zurückgekehrt zu unserer Liebe für Arrangements. Und was du auf dem neuen Album an elektronischen Finessen hörst, geht dabei fast alles auf Zdars Einflüsse zurück. „

Wo wir bei Finessen sind: Das ungewöhnliche, zweigeteilte semi-Instrumental „Love Like A Sunset“ ist zweifellos ein so intelligentes und zugleich warmes semi-elektronisches Instrumentalstück, dass es sogar auf Brian Enos legendärem ANOTHER GREEN WORLD nicht weiter auffallen würde. Nicht nur dass es im Mittelpunkt des Albums steht – es stand auch im Zentrum der Aufnahmen. Mazzalai: “ Es sollte das ultimative Stück zum Autofahren sein und eigentlich vollkommen ohne Stimme auskommen. Es war der erste Track, an dem wir gearbeitet haben, und es war auch der letzte. Insgesamt haben wir fast anderthalb Jahre dafür gebraucht, die vielen kleinen Teile und Gimmicks, aus denen er besteht, zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen. „

Ursprünglich sollte der Track mehr als 20 Minuten dauern und „als Überraschung“ am Ende des Album stehen, eben in der Tradition des „Funky Squaredance“: ein nicht zu klassifizierendes Stück Musik, das selbst nicht zu wissen scheint, wohin die Reise geht – bis sich am Ende doch alles harmonisch zusammenfügt. Laurent Brancowitz ist stolz auf die knapp sieben Minuten, die es aufs Album geschafft haben, aber: “ Eigentlich sind wir gescheitert, weil uns etwas viel Größeres, noch Dichteres vorschwebte.“

Trotzdem hat das, was ihr vorschwebte, die Band aus ihrer comfort zone in noch lange nicht ausgekundschaftete Elektrogefilde gelockt – wie es überhaupt an allen Ecken und Enden von liebevoll hingetupften Details nur so wimmelt.

B ei der vorherigen Platte, dem in Berlin aufgenommenen IT’S NEVER BEKN LIKE THAT, hatte die gleiche Suchbewegung noch in die umgekehrte Richtung geführt. Hin zu einem typischen, insgesamt rockigen, doch damit auch austauschbareren Sound. Genau genommen hatten sich Phoenix der anderen großen Indieband angenähert, die Dancemusic ähnlich ernst nimmt: Franz Ferdinand. Thomas Mars bedankt sich artig für den Vergleich, betont aber, dass die ja aus einer ganz anderen Ecke kämen: „Wir haben Franz Ferdinand einmal live gesehen, und mir blieb dabei der Mund offen stehen. Das sind echte Entertainer, und das meine ich im positiven Sinn.“

Den gravierenden Unterschied zur Konkurrenz – und, wenn man so will, das Alleinstellungsmerkmal von Phoenix – erläutert Deck D’Arcy denkbar knapp: „Wir haben keinen Schlagzeuger, das ist unser Vorteil. Das Problem mit einem Schlagzeuger ist, dass er meistens irgendwelche Muster oder Klischees spielt, die er gelernt hat, selbst wenn er noch so kreativ ist. Im Proberaum stellt sich daher immer so eine Art von Routine ein, die der Kreativität abträglich ist. “ Vielleicht ist es aber ja trotzdem keinZufall,dass Phoenixsich in ihrer Optik inzwischen an dem früher von Franz Ferdinand bevorzugten russischen Konstruktivismus orientieren. Das neue Coverartwork mit den drei Bomben im freien Fall, schwarz, rot und blau, pink unterlegt, ist pure Popart und zugleich: ein Witz. Auf der schwarzen Bombe prangt derTitel des Albums, für den die gleiche Diagnose gilt. WOLFGANG AMADEAS PHOENIX ist zwar ein Scherz, hat aber deutliche Bezüge zum Pop, gilt Mozart doch als der Prince der klassischen Musik. Deutlicher wird dieser lose rote Faden im Opener, der asymmetrisch rhythmisierten Single „Lisztomania“ mit seiner schönen Textzeile „from the mess to the masses“. Auch hier geht es um Popularität in einer ihrer ursprünglichen Formen, auch hier steckt im Kern ein Gag – und profundes musikhistorisches Wissen, schön bildungsbürgerhch abgetönt. Den Begriff der „Lisztomanie“ hat Heinrich Heine geprägt, ein Zeitgenosse des ungarischen Komponisten und Pianisten Franz Liszt, der als erster Popstar der Musikgeschichte gilt. Anders als Mozart, dessen Genius zu seinen Lebzeiten nur ein beschränktes Publikum fand, brachte Liszt speziell mit seinem Klavierspiel vor allem die Damenwelt in Verzückung und war einer der ersten Musiker, der im modernen Stil auf Tournee ging. „Leider“, sagt Deck D’Arcy, der selbst eine klassische Piano-Ausbildung genossen hat, „gibt es auch einen Film gleichen Namens“. Dieser „Lisztomania“ stammt von 1975, die Hauptrolle spielt Roger Daltrey, in einer Nebenrolle ist Ringo Starr als Papst zu bewundern – und die Musik stammt von Yes-Tastenmann Rick Wakeman. In Sachen Coolness wahrlich kein Vorbild für Phoenix, die denn auch eher am Phänomen des Stars „avant la lettre“ Gefallen gefunden haben: „Mir gefällt die Vorstellung, dass es so was schon anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeit gegeben hat“, sagt Thomas Mars. Er weist jeden Verdacht von sich, er würde damit seine eigene Rolle als Celebrity reflektieren: Er ist mit Sofia Coppola verheiratet, sie haben eine Tochter. Beeinflusst habe ihn vor allem der Roman „Der große Gatsby“ und die Vorstellung von einem Goldenen Zeitalter, das zur Neige geht. “ Ich meine, ivir hören alle auch Klassik. Vor allem Bach — aber einen Einfluss auf unsere Musik hat das nicht. Wir verwenden ja nicht einmal Streicher! „

s o ganz von der Hand zu weisen ist ein bestimmter barocker Einfluss allerdings nicht. Denn was Johann Sebastian Bach für die Musik war, das war das Schloss von Versailles für die Architektur: Barock in Vollendung. Dieser Hintergrund ist nicht unwesentlich zum Verständnis einer Band, deren Gründungsmitglieder, Söhne einflussreicher Banker, Künstler oder Hotelbesitzer, sich sämtlich im Lycee Hoche kennengelernt haben, einer edlen Schule in diesem ohnehin schon edlen Vorort von Paris – und im Schatten der marmorgewordenen Allmachtsfantasien des Sonnenkönigs, des barocken Prunkschlosses von Versailles.

„Der König hat, wenn man so will, das Abhängen erfunden. Damals hieß das noch Lustwandeln, aber seine Arbeitsweise deckt sich sozusagen mit unserer“, stellt D’Arcy fest, dessen Laune sich allmählich wieder gebessert hat. „Genau“, sagt Mazzalai, „wir jamjncn nicht. Es ist eher so, dass wir gemeinsam abhängen und auf eine Art Jagd gehen. Wir warten manchmal tagelang und lauern den guten Ideen auf, um sie dann aufzunehmen.“ „Wir mögen es, mit Ideen zu spielen“, präzisiert Brancowitz, „mit platonischen Ideen. Was du hörst, ist direkt und unverstellt von irgendwelchen Eitelkeiten. Deshalb spiele ich normalerweise keine Gitarrensoli, weil das so nach Musikern klingt, die sich ausdrücken wollen. Wir wollen uns nicht ausdrücken, sondern Ideen zum Ausdruck verhelfen. Es ist immer die Magie des Moments.“

Wobei sich die Band einer passenden Methode von Brian Eno befleißigte, das Maximum aus der eigenen Kreativität herauszuholen: „Slow preparation, fast execution“ – ausführliche Vorbereitung, blitzschnelle Ausführung. „Viele Musiker, die ich kenne, sind besessen von der Zeit als abstrakter Größe“, fügt Thomas Mars hinzu: „Vielleicht liegt es daran, dass diese Musiker ja nur Musik machen, also etwas sehr Flüchtiges und Ephemeres in die Welt setzen. Umso mehr müssen sie ihre Jugend feiern, die Jugend an sich in all ihrer Anmut. Und das geht nicht, ohne deren Vergänglichkeit mitzudenken.“

Beispiele finden sich von den bereits erwähnten Anfangstagen des Pop bis heute, wie Thomas Mars erläutert: „Ein gutes Beispiel dafür ist eben Franz Liszt, aber auch Peter Doherty, der ja über kaum etwas anderes singt als die Jugend. Echte Kunst wäre in diesem Zusammenhang einfach verlogen und penetrant ohne eine gewisse Melancholie. Das ist übrigens wirklich ein Aspekt, der uns mit dem Barock verbindet. Da geht es auch nicht nur um ausschweifende Formen und üppige Dekoration, sondern um die Tatsache, dass das Leben ein trauriger Ort ist und eben deswegen genossen werden muss. Wenn du so willst, ist Dance auch Barock. „

Dieses Bewusstsein für das feine Gleichgewicht aus Leichtigkeit und Trauer gehört nicht zu den einzigen Aspekten, die Phoenix mit ihren Kollegen von Air teilen. Am Anfang, als die ganze Band noch in einem Appartement wohnte, tauschten die Gruppen untereinander nicht nur ihr Equipment aus, sondern auch Musikschnipsel: „We used their samplers“, sagt Thomas Mars in seinem ziemlich süßen Englisch, das genau so klingt, wie man sich das von einem Englisch sprechenden Franzosen vorstellt: „Wie ühsd der somplehrs“.

Es ist tatsächlich dieses Ausspracheproblem, das zu Thomas Mars‘ leicht vcrnuscheltem Gesangsstil geführt hat. Je verwaschener er singt, desto weniger fällt auf, dass er das nicht in seiner Muttersprache tut. „Am Anfang wollte man uns überzeugen, doch besser auf Französisch zu singen“, erinnert er sich: „Mit Französisch, was ja offenbar manche Leute ganz liebenswert finden, hätten wir uns eine Nische erobern können. Eine Nische mehr nicht.“

Wie es aussieht, haben Phoenix inzwischen die Welt erobert. Und es ist, Ironie dieser Geschichte, diese eine Nische geblieben, in der ihre Kunst bis heute nicht so recht gewürdigt wird und Phoenix nicht den Superstar-Status innehaben, den sie als eine der coolsten Bands dieses Planeten verdienen: Frankreich.