Blur: This Is A High


Selten war eine große Bandreunion so stimmig, so sympathisch und so künstlerisch wie personell notwendig: Blur stellen bei ihrer ersten großformatigen Comebackshow in Manchester den Song vor die Band.

Ausgerechnet Manchester. Ausgerechnet in der Höhle der Löwen, der Heimatstadt von Oasis, geht es über die Bühne: das erste, seinem Anlass in Größe entsprechende Reunionkonzert der Londoner Blur. Doch die Immer-mal-wieder-Erzrivalen aus dem Norden werden während des Gigs mit keinem Wort erwähnt. Das hier ist keine Invasion, keine Machtdemonstration, noch nicht mal eine Ohrfeige. Zum einen liegt die Wahl des Auftrittsorts in der Liebe der Band zu dieser Stadt („Als wir damals anfingen, gab es nur einen wirklichen coolen Ort für uns: Manchester“, schmeichelt Damon Albarn dem Publikum), zum anderen in der Liebe der Stadt zu dieser Band begründet: Über 20.000 Menschen füllen die Manchester Evening News Arena, und von der so oft beschworenen North-South-Divide ist hier nichts zu spüren.

Nach Höflichkeitsapplaus für die Vorbands Florence And The Machine und Klaxons reagiert die Menge bereits auf Blurs von Band eingespielte Intro-Musik, das Kirmes-Humpta-Instrumental „The Debt Collector“, wie die Bevökerung eines alle glücklich machenden idealen Staates auf ihre Nationalhymne. Dann schlurfen sie auf die Bühne: Albarn, Gitarrist Graham Coxon, Bassist Alex James und Schlagzeuger Dave Rowntree. Das Alter – Durchschnitt: 41,5 Jahre – hat es gut gemeint mit den in den 90ern mitunter wie eine Boygroup gefeierten Musikern: Albarn hat bis auf Geheimratsecken nichts von dem kahlen Schmerbauch, als der er jüngst in der Presse dargestellt wurde, Coxon könnte sich lediglich über einen Ansatz zum fliehenden Kinn beschweren, gut: Rowntree ist etwas in die Breite gegangen, aber der Schönheit des viel zu selten auf den Video-Bildschirmen gezeigten James konnte die Zeit nichts anhaben. Es ist ein surreal anmutender Moment, als die Band den ersten Song des Abends anstimmt, „She’s So High“. Man wusste ja, dass sie ihn spielen würden. Die Setlists der Warm-Up-Gigs, die den nun folgenden großen Sommerkonzerten (nach Manchester kommen in den nächsten Tagen und Wochen Headliner-Auftritte bei Glastonbury, „T In The Park“, dem Oxegen-Festival, sowie zwei Abende im Londoner Hyde Park) vorausgingen, sind dem Fan natürlich schon geläufig. Aber hey: Da steht sie, die künstlerisch wertvollste Band der Ära Britpop, und spielt ihre Debütsingle! Der Song ist gereift; er trägt die Erfahrungen von fast 20 Jahren in sich: die Erinnerungen an fünf aufeinander folgende Nr.-1-Alben im Vereinigten Königreich, an die unzähligen Auszeichnungen und Ehrungen, an den Abend, an dem „Song 2“ bei den „Simpsons“ gespielt und daraufhin zu einer der unverwüstlichsten Partyhymnen der kommenden Jahre wurde … und an das Zerwürfnis mit Coxon, nach dessen Ausstieg/ Rauswurf 2002 noch eine Platte als Trio und dann die – nunmehr beendete – fünfjährige Blur-Pause folgten. Erinnern wir uns ein wenig zurück, um die Bedeutung dieses Abends in Manchester besser einordnen zu können: Coxons Entfremdung von seinen Bandkollegen (und -freunden:in seiner Jugend kam Coxon jeden Freitagabend zum Essen ins Elternhaus seines Schulkumpels Albarn; zusammen mit James drückten die beiden die Uni-Bank)begann mit der Erfolgsexplosion der Band Mitte der 90er. Als sie 1995 das „Battle Of Britpop“ vorerst für sich entschieden und ihre Single „Country House“ vor der simultan veröffentlichten Konkurrenz in Form von Oasis‘ „Roll With It“ auf Platz 1 der UK-Charts landete, wollte sich Coxon während einer Feierlichkeit zum Anlass aus einem Fenster werfen. Den Lebensstil, den insbesondere Partylöwe James zu führen begann, verachtete er. Die Dekadenz und Selbstverliebtheit des Britpop widerten ihn an. Zu diesem Zeitpunkt hörte er längst den US-Alternativerock von Fugazi und Pavement. Bands, die nicht unbedingt auf den Szenepartys in Soho aufgelegt wurden, auf denen sich James und Albarn mit VIPs wie Helena Christensen und Damien Hirst amüsierten. Coxon verfiel dem Alkohol – erst zehn Jahre später, 2006, sollte er ihm abschwören, nahm mäßig erfolgreiche LoFi-Punkplatten auf, und konnte sich selbst dann nicht mehr vollauf für Blur begeistern, als die mit ihrem Sound Coxons Geschmack entgegenkamen und ihn auf der Single „Coffee & TV“ die Lead-Vocals übernehmen ließen. Obwohl Albarn laut William Orbit -Produzent von 13, dem letzten Album als Quartett -„mehr als fair“ mit Coxon umging, spielte der bei Proben absichtlich falsch, wurde im Rausch zunehmend aggressiv. Die Aufnahmen zu THINK TANK (2003) gerieten zum Fiasko. Die Sessions begannen an einem Montag, bereits am folgenden Donnerstag ließ sich Coxon in eine Entzugskhnik einweisen. Als Albarn dann noch Fatboy Slim als Co-Produzenten ins Studio holte, gab es für den Dance-Musik ohnehin skeptisch gegenüberstehenden Coxon kein Halten mehr. Eine Gitarrenspur im Schlusssong, dem verzweifelten „Battery In Your Leg“, blieb sein einziger Beitrag zu dem Album. Während Albarn in den nächsten Jahren mit Gorillaz erfolgreicher wurde, als er es mit Blur je hätte sein können, der bislang so feiersüchtige James mit seiner Frau aufs Land floh, um Käsebauer zu werden und Rowntree für die Labour Party in die Politik ging, nahm Coxon weiterhin eigenbrötlerische Soloplatten auf und spielte sie einem überschaubaren Publikum vor. Ab und an traf er seine Ex-Kollegen, Gespräche gingen allerdings nie über Smalltalk hinaus. Eine Rückkehr von Blurhielterfür zu riskant. Mit dem über sich hinaus wachsenden Erfolg von Albarn – neben Gorillaz unterhielt der auch noch eine namenlose Supergroup, die ihr Album THE G00D, THE BAD & THE QUEEN 2007 in die Bestenlisten der Kritiker schob erschien diese zudem immer unwahrscheinlicher. Im November 2008 dann die Sensation: Am Rande einer Aufführung seiner Oper „Monkey: Journey To The West“ verkündete Dämon Albarn die Reunion von Blur. Als Quartett. Einfach so. Man wolle ein wenig zusammen proben und sehen, ob das Spaß bringt bereits einen Monat darauf wurde die erste Show im Hyde Park für den Sommer 2009 angekündigt. Die war innerhalb von zwei Minuten ausverkauft; ein zweiter Abend war sofort gebucht. Nach einer Reihe von

Mini-Konzerten zum Aufwärmen u. a. in dem Venue in ihrer Heimatstadt Colchester, in dem sie einst ihren ersten Auftritthatten, sowie an ihrer alten Uni in London – spielen die kompletten Blur nun also zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren wieder vor einem Großpublikum. Auf „She’s So High“ folgt „Girls And Boys“, ihr anzüglicher Disco-Hit aus dem Jahr 1994. Die wenigen noch sitzenden Mancunians springen auf und die MEN-Arena verwandelt sich in einen Ibiza-Club. Jedes von Blurs sieben Studioalben wird berücksichtigt. Der Fokus liegt aber auf der mittleren Schaffensphase: Fünf Songs vom damals ignorierten, längst aber als Initialplatte des Britpop zu Ruhm gekommenen Zweitling MODERN LIFE IS RUBBISH von 1993. Stramme acht Songs vom Nachfolger und Durchbruch-Album PARKLIFE – für den Titelsong holt Albarn unvermittelt “ Ladies and Gentlemen, Mr. Phil Daniels!“auf die Bühne, den Schauspieler und Comedian, der schon im Original die Strophen sprechsang. Die Überraschung sitzt: Daniels wird umjubelt wie ein fünftes Bandmitglied.

Der andere emotionale Höhepunkt für die Fans ist die Darbietung von „Out Of Time“ – einst die erste Single ohne Coxon, jetzt mit ihm an der Gitarre. Selbstbewusst und ohne den look back in anger steht die Band zu allen Facetten ihrer Vergangenheit. Versöhnungsgesten bleiben aus; lediglich genaue Beobachter können eine kurze, aber niedliche Umarmung von Coxon und James nach dem zweiten Zugabenblock ausmachen.

It’s the song, not the singer.Und genau deswegen muss es ein weiteres Album geben. Um Geld kann es hier nicht gehen. Mit einer dritten Gorillaz-Platte hätte Albarn wohl mehr verdient, und das deutlich stressfreier. Doch es wäre keine Herausforderung gewesen. Diese Band hat es sich selten leicht gemacht. Immer wieder hat sie sich auf unbekanntem Terrain ins Abenteuer gestürzt. Nach dem Bestehen ihres größten Abenteuers, ihrem Überleben als Band, müsste sie der logische Schritt in die nächste Gefahrenzone wieder ins Studio führen. Wir erwarten dich, du künftige Platte des Monats!

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