„Keine Unterhosen Werfen, Bitte!“
Elly Jackson, Sängerin des britischen Projekts LA ROUX, entwickelt sich zu einem der Pop-Phänomene des Jahres. „Ich fühle mich belästigt‘) gesteht sie nun in Manchester.
„Ein Mädchen hat mir einfach seine Titten gezeigt – was soll denn das? „, beschwert sich Elly Jackson. Sie hat die Kapuze einer bademantelgroßen Jacke auf dem Kopf und kauert auf einer Holzbank an der kalten, weißen Wand der Garderobe in der Manchester Academy. „Wahrscheinlich soll das eine positive Reaktion sein, oder? Aber wohl ist mir dabei nicht.“ Der Vorfall – nicht der erste und nicht der letzte dieser Art – ereignete sich im April in Toronto, als sich La Roux nach der Show ihren Weg von der Bühne zum Backstagebereich bahnten. „Ich musste durch die Leute, und da steht dieses Mädchen und sagt: ‚Ich werde dir jetzt meine Titten zeigen.‘ Und ich so: ‚Könntest du das bitte lassen ?! Ich will sie nicht sehen. Echt nicht.‘ Und ‚ Woah! ‚ hab ich sie auch schon vor der Nase…“
Die blasse 21-Jährige macht kein Theater, wenn sie solche Geschichten erzählt. Die komplette halbe Stunde, in der wir uns über ihre Musik, ihren plötzlichen Erfolg und dessen Nebenwirkungen unterhalten, bleibt sie – die Füße schräg an sich gezogen, die Hände meist an einer ihrer vielen Halsketten – fast völlig unbewegt. Kein Echauffieren, keine großen Gesten. Lediglich ihr Blick wird bei manchen Themen stechend. „Letztens hat mir eine ihre Unterhose auf die Bühne geworfen“, sagt sie und legt den Kopf zurück an die Wand. “ Wie kommst du auf die Idee, dass ich deine Unterhose will? Ich bin auch nicht lesbisch – was nicht heißt, dass es einen Unterschied machen würde, wenn sich Jungs so aufführen. Ich fühle mich da belästigt.“ Die tiefe Falte auf ihrer Stirn (die auch auf der Bühne immer wieder von der Anspannung zeugt, die sie als frischgebackener Popstar noch empfindet), löst sich in einem kurzen Lachen auf. „Es ist schon komisch, wenn du mit acht Jahren oder so siehst, wie Mädchen ihre Unterhosen bei Take That auf die Bühne werfen, und plötzlich passiert dir das auch. Du denkst dir, wie bitte, ist das dein Ernst? Aber so ist das Musikbusiness. Es ist völlig egal, wer du bist: Irgendjemand wird dich anhimmeln, auch wenn du aussiehst wie ein Hund, haha!“
Elly Jackson hat nicht viel mit einem Hund gemein – bis auf, wenn man so will, die kühle Schnauze. “ Ich bekomme ständig Arger, weil ich nicht diplomatisch bin. Wenn einem jemand eine Frage stellt, ist es eigentlich ganz normal, dass man – ohne Gefühle zu verletzen-so ehrlich wie möglich antwortet, oder? Bei mir schließen Leute aber offenbar daraus, dass ich entweder naiv oder ein Arschloch bin.“ Klare Worte sind im Gute-Laune-Journalismus der Unterhaltungsmedien nicht immer erwünscht. Dass Elly zudem mit einer Gesangsstimme gesegnet ist, die besonders in der Kopflage durch Mark und Bein geht, hat es ihr in den Mainstream-Medien ebenfalls nicht leicht gemacht. Die BBC zum Beispiel nahm die ersten La-Roux-Singles nicht ins Radioprogramm. „Ich weiß nicht genau, woran es gelegen hat“, überlegt Elly. “ Es ist sicher nicht nur die Stimme. Die Musik ist generell nicht besonders geeignet als Hintergrundbeschallung – und leider macht das ja den Großteil im Radio aus. Ich hab mit einigen Moderatoren geredet: Neue Songs werden einer Testgruppe vorgespielt – ein lächerliches Verfahren. Ich weiß nicht, was so schlimm daran ist, wenn mal ein Lied kommt, das Leute nicht mögen. Zerfällt die BBC dann zu Staub? Sie wollen unter allen Umständen vermeiden, dass jemand abschaltet. Aber dass ich sofort abschalte, wenn Scouting For Girls im Radio kommt, macht ihnen offenbar nichts aus. So ganz begreife ich das nicht.“
La Roux kamen durch die Hintertür: Die von dem französischen Label Kitsune veröffentlichten Songs „Quicksand“ und „Bulletproof“ entwickelten sich zu Clubhits; als dann „In For The Kill“ tatsächlich ohne flächendeckenden Radiosupport die englischen Top 10 erreichte, gab auch die BBC ihren Widerstand auf – La Roux entwickelte sich zu einem Pop-Phänomen. Die einprägsamen, tanzbaren Songs im 80er-Jahre-Sounddesign treffen den Nerv einer erstaunlich breiten und heterogenen Gruppe: Als La Roux als Headliner der NME-Tour in Manchester auftreten, finden sich im Publikum viele Studenten, ein paar schwule und lesbische Pärchen, einige Pop-Interessierte/-Intellektuelle zwischen 30 und 50 und, in den ersten Reihen, hysterische Teenager. Elly Jacksons androgyne Gesichtszüge, ihre helle Haut und der rote Schopf, den sie auf der Bühne wie eine Antenne aufstellt, ergeben einen beinahe ikonischen Look, der Mädchen in einem gewissen Alter den Verstand zu rauben scheint. Ihre Performance ist in den wenigen Monaten, die Elly Jackson auf der Bühne steht, bereits erstaunlich souverän geworden. Die wenigen Fehler und Unstimmigkeiten (bei „In For The Kill“ setzt kurz der Beat aus, an anderen Stellen wirkt sie mitten im Song abwesend) verzeiht ihr das Publikum gerne. Dem Gesang fehlt in unteren Bereichen zwar bisweilen ein wenig Druck, in hohen Lagen aber ist die Wirkung enorm.
Tatsächlich besitzt Ellys Stimme eine so extreme Markanz, dass ihre Herausforderung in den nächsten Jahren sein wird, auf „In For The Kill“ nicht den Overkill folgen zu lassen. Dabei ist es gar nicht ein möglicher Backlash, der La Roux Sorgen bereitet („Eine Stimme verändert sich mit der Zeit. Ich werde neue Techniken ausprobieren. Und schau Bowie an, auf welch unterschiedliche Weise er seine Stimme einsetzt …“), sondern die Konstanz beim Songwriting. „Es würde mich nicht wundern, wenn unsere zweite Platte nicht mehr ganz so gut wie die erste wird“, sagt Elly Jackson ernst. „Es ist sehr schwer, ein Debüt zu toppen. Beim ersten Mal bist du unglaublich leidenschaftlich: Du hast kein Geld, platzt fast vor Motivation und willst es der ganzen Welt zeigen. Und dann hast du’s der Welt ja gezeigt.“
Auch wenn der Ehrgeiz nicht mehr so groß ist – der Wille, den nächsten Schritt zu gehen, ist da. Und obwohl Elly Jackson mit dem Debüt LA KOUX das Interesse der internationalen Elektropop-Prominenz geweckt hat, entstehen die neuen Songs wieder mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Ben Langmaid. „Ich hab M.I.A. getroffen, das beeindruckt mich überhaupt nicht. Neulich auch Lady Gaga„, berichtet Elly und parodiert deren amerikanischen Akzent:
„Sie hat gesagt:, Oh, du wirst all diese dope Produzenten treffen und mit ihnen arbeiten.‘ Nein! Werde ich nicht! Die Leute vergessen, wie gute Musik entsteht: Gewöhnlich wird sie von zwei Menschen gemacht, die sich gut kennen und bei denen die Chemie stimmt. Und Ben weiß Sachen von mir, die ich sicher niemand sonst erzählen werde. Außerdem will ich nicht so eine Künstlerin sein, die sich nach dem ersten Album verpisst und mit Jay-Z arbeitet. Das bringt doch nichts.“
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