The Clash


Vor 30 Jahren erschien das vielleicht wichtigste Doppelalbum der Rockhistorie - die mit ihm, je nach Standpunkt, endete oder ganz neu begann. Die Geschichte von London Calling ist Drama, Krimi und Legende, eine Geschichte von Drogen, Gewalt, Liebe, Verzweiflung, Wahnsinn und Revolution, die The Clash zur größten Rockband aller Zeiten machte - und sie auf lange Sicht zerstörte.

Es gibt einige Rockalben, die auch abseits der Musik die Welt verändert haben, aber wohl keines so gründlich wie LONDON CALLING (vielleicht noch die erste Elvis-LP, die das Cover zitiert). Und keines hat eine so abenteuerliche und signifikante Entstehungs- und Wirkungsgeschichte wie dieses, das der US-„Rolling Stone“, obwohl 1979 erschienen, zum größten Rockalbum der 80er ernannte. Fangen wir mal im Sommer 1974 an, mit einem Foto von Mick Jones: Da steht er mit wirrer Riesenmatte in Vorstadt-Mott-The-Hoople-Verkleidung und will ein Rocker sein. Joe Mellor alias Strummer holpert derweil mit der haarschuppenbestäubten Althippiekapelle 101ers durch Kneipen und Anarchohöhlen und verdient als Ersatz-Bob-Dylan in Fußgängerunterführungen ein paar Münzen dazu. Paul Simonon studiert Kunst, Topper Headon ernährt sich von Klein- und Mittelkriminalität, verprügelt jeden, den er für einen Trottel hält, und liebt Billy Cobham.

Die mittleren 70er sind eine traurige Zeit in London, wo sich in der lähmenden Katerstimmung nach dem Abnippein der in Koksstürmen und besoffenen Bisexorgien versunkenen Glamrockszene kaum jemand traut, irgendwas für neu, gar witzig zu halten. Aber unter den biergetränkten Holzbühnen, auf denen bärtige Pubrockmänner für nostalgischen Spaß sorgen, keimt eine wachsende Unzufriedenheit mit Musik und Welt, die sich in Flugblättern und Graffiti entlädt. Eines der legendärsten ziert Bretterzäune unter dem Westway, einer gigantischen Autobahnüberführung zwischen! Paddington und Kensington, die für die Geschichte von The Clash das prägendste Bauwerk ist. Mick Jones, der bei seiner Oma Stella in Shepherd’s Bush wohnt, sieht das monströse Ding bei jedem Blick aus dem Fenster, es begleitet seinen Alltag, seine Symbolik lädt den wütenden, träumenden Jungen mit Gefühlen, die er in Songklassiker pumpen wird, die mehr von London, seiner Realität und Mythologie erzählen als Regale voller Bücher. Ach so, das Graffito: „Same thing day after day

-Tube -Work – Diner – Work – Tube- Armchair- TV-Sleep – Tube – Work – How much more can you take? – One in ten go mad – One in five cracks up“ – ein situationistischer Slogan, der von 1968 übriggeblieben ist und nichts von seiner Aktualität verloren hat. Jones beschließt, aus dem Kreislauf der Lohnsklaverei und ihrer alltäglichen Demütigungen auszubrechen, gründet eine Band (nicht seine erste, aber die erste ernsthafte) mit dem provokanten Namen London SS. Es ist allerdings eher ein Workshop mit ständig wechselnden Teilnehmern, die sich später bei Generation X, Pretenders, Damned, Sex Pistols, Slits, Johnny Moped, PIL, 999, Siouxsie & The Banshees und anderen Punk-Vorreitern wiederfinden, jetzt aber noch orientierungslos herumirren, in besetzten Häusern wohnen, sich auf Straßenkrawallen treffen. Das Äußere spielt eine Hauptrolle: „Toofast to live“ steht auf dem T-Shirt, das Jones trägt, als er eines Tages einen noch viel cooler gekleideten Tvpen trifft und ihn fragt, ob er zufällig Klavier spielen könne. „Nein“, antwortet Bernie Rhodes, „aber ich mache diese T-Shirts.“ Er macht einiges mehr, ist so was wie der realpolitische Widerpart (und Partner) zu Malcolm McLarens spektakelorintiertem Situationismus. Und schon hat die fluktuierende Band einen Manager. Richtig spielen kann keiner, außer Drummer Topper Headon, der sich aber bald verabschiedet, weil ihm die Temptations als Aushilfs-Tourtrommler 50 Pfund die Woche bieten. Paul Simonon hat gelernt, wie man sich eine Gitarre dekorativ um den Hals hängt, aber einen Akkord bringt er nicht zustande; also steigt er auf Bass um, der hat nur vier Saiten. Irgendwann hat der Manager die Faxen satt und empfiehlt Mick, alle außer Paul rauszuwerfen und neue Leute zu suchen. Er hat die lOlers live gesehen und beschließt: Deren heiser bellender Aufstandsparolenschmied und Frontmann ist der Richtige. Joe Strummer lässt sich zu einer Probe einladen, erbittet Bedenkzeit, was abgelehnt wird. „Dass er überhaupt angetreten ist, war schon die Entscheidung“, sagt Simonon. „Das war der erste Tag von The Clash.“

Die Band probt in einem leerstehenden Kaufhaus („Rehearsal Rehearsals“ getauft), isst Mehl mit Wasser, hört obskure Reggaeplatten und diskutiert situationistische Strategien. Die Debatten haben nicht viel mit Musik zu tun. Als das Zentralkomitee zum Thema „Was tun, wenn wir Erfolg haben?“ tagt, träumt Trommler Terry Chimes von „einem Maserati“.

Das ist die Sprache des Klassenfeinds! Chimes wird wegen bourgeoiser Anwandlungen vergattert; weil er Selbstkritik verweigert, muss er gehen.

London’s Burning

Nach der Vertragsunterzeichnung mit CBS führt ein Sekretär des nicht unbedingt proletarischen Branchenriesen die vermeintlichen Punk-Rotznasen in ein leeres Sitzungszimmer und schärft dem Rädelsführer ein:

„Wenn die Typen was zertrümmern müssen, dann bitte hier drin, das ziehen wir dann von euren Einnahmen ab. Wir wollen nicht, dass Sekretärinnen vergewaltigt werden oder sonst irgendwas im Haus kaputt geht.“ Das Verhältnis der Angestellten zum Konzern wird sich in den nächsten Jahren nicht bessern. CBS schmiedet von Anfang an nicht nur Nägel zum Sarg der Band, sondern liefert auch das Holz und den Schreiner. Die „Anarchy In The UK“-Tour mit Sex Pistols, Damned und Johnny Thunders‘ Heartbreakers soll der Clash-Revolution zum Durchbruch verhelfen, aber von 30 gebuchten Konzerten bleiben nach dem TV-Skandal der Pistols nur acht übrig. Immerhin: Anfang 1977 gelten The Clash als „dritte Kraft“ des Punk, obwohl sie noch keine Platte draußen haben.

White Riot

Die Pressereaktionen sind vielversprechend: The Clash seien „die Art von Garagenband, die man schleunigst wieder in ihre Garage schaffen sollte, am besten bei laufendem Motor“, schreibt Lester Bangs im NME. The Clash antworten mit dem Song „Garageland“, der das Album beschließt und die unsterbliche Zeile enthält: „I don’t wanna know about what the rich are doing / I don’t wanna go to where the rieh are going.“

Ein frühes, typisches Beispiel für Strummers geniales Talent, Weltpolitik und Agitation an alltäglichen Kleinigkeiten aufzuhängen, aus zufällig gewählten Namen und Anekdoten Zusammenhänge zu konstruieren, die weit über 1977 und die britische Arbeiter- und Arbeitslosenklasse hinaus Wirkung entfalten. Nach einer Woche mit dem späteren Culture-Club-Schlagzeuger Jon Moss (der „zu sauber“ wirkt), trifft Mick Jones bei einem Kinks-Konzert im Rainbow seinen alten Freund Topper wieder, der diesmal Zeit hat und zum Rückgrat der Band wird, ohne das die weitere Entwicklung undenkbar wäre.

„Als ich dazukam, hassten Mick, Joe und Paul Funk, Jazz, überhaupt alles, was nicht Punkrock war“, erzählt Headon später. „Sie waren aber auf dem NME-Titel, deshalb dachte ich: Ich mache das ein Jahr lang mit, dann habe ich einen Namen und kann was richtig Musikalisches anfangen.“ Die neuen Kollegen erweisen sich jedoch als unerwartet neugierig – und als ideale Ergänzung. Toppers erste Platte mit The Clash, die am 23. September 1977 erschienene Single „Complete Control“ nennt US-Kulturkritiker Greil Marcus später „die beste Rock’n’Roll-Aufnahme aller Zeiten“. Jenseits der Musik bleiben die Slogans vorläufig ohne große Wirkung; die Auseinandersetzungen mit System und Staatsgewalt beschränken sich auf Scharmützel: Joe und Paul legen sich nach einem Konzert in Glasgow mit Saalordnern an und verbringen die Nacht im Knast, wo sie einen Teil ihres Publikums wiedertreffen und gemeinsam „The Prisoner“ singen. Einige Tage später bringt Topper ein Luftgewehr zu einer Fotosession mit, steigt aufs Dach und schießt auf Brieftauben. Die Polizei vermutet einen Terroranschlag, umstellt das Gebäude und nimmt die Band fest. Ein anderes Mal geht es um geklaute Kissen aus einem Hotelzimmer. Aber der Ärger steigert den Zusammenhalt, und so gehen The Clash als eine von ganz wenigen stabilen Bands aus der Ende 1977 zerfallenden Punkszene hervor.

Last Gang In Town Die bietet Anfang 1978 ein deprimierendes Bild: die Pistols in den USA havariert, Clubs geschlossen, der Geist von Aufbruch und Revolte verflogen und verweht. The Damned heißen The Doomed und wechseln täglich Musiker aus; The Jam liegen auf Eis, weil Paul Weller verliebt ist und keine Songs mehr schreiben mag; andere tauschen Gitarren gegen Synthesizer und proben die 80er. In der allgemeinen Verwirrung orientieren sich The Clash an der einzigen Szene, deren Verbindung zu Aufruhr und Widerstand ungebrochen ist: Reggae und Dub. Die Single „White Man In Hammersmith Palais“, eine bittere Abrechnung mit der gescheiteren Revolte und eine Vorahnung des „Winter of Discontent“, der den neoliberalen Kahlschlag des Thatcher-Regimes einleitet, ist ein Meisterwerk. Beim „Rock Against Racism“-Open-air agitieren The Clash als Headliner fast 100.000 Menschen, für einen kurzen Moment weht noch mal der heiße Wind des Sommers 1976 durch London. Aber das zweite, von Sandy Pearlman allzu rockig produzierte Album enttäuscht viele.

und dann eskalieren die Streitereien mit Bernie Rhodes, dem „seine“ Band zu systemkonform geworden ist. Als die Platte im November erscheint, ist Rhodes seit zwei Monaten arbeitsloser Inhaber leerstehender Übungsräume, und The Clash wagen den halsbrecherischen Versuch, sich selbst zu managen, in Person von Pauls Freundin, der Sixties-Frauenrechtlerin Caroline Coon.

GIVE EM ENOUGH ROPE erreicht Platz zwei der UK-Charts, eine US-Tournee mit dem grenzwertig unverschämten Motto „Pearl Harbour ’79“ (und Fifties-Legende Bo Diddley im Vorprogramm) verläuft erfreulich. Nach der Rückkehr Ende Februar wird jedoch klar, dass die Sache so einfach nicht ist: Der Wirrwarr von Verträgen, Verhandlungen, Terminen und sonstigen Nebentätigkeiten kostet Zeit und Nerven, die Schulden werden erdrückend, obdachlos ist die Band außerdem. Also werden die Roadies Johnny Green und Baker Glare losgeschickt, um einen Proberaum zu suchen, und finden eine ehemalige Gummifabrik in der Causton Street im Stadtteil Pimlico, in der Sportwägen aufgemotzt werden und zwei Räume leerstehen. Der verfallende Gebäudekomplex (heute steht dort eine Kirche, was ein grandioser Treppenwitz ist, wenn man bedenkt, dass Joe dort das unvergängliche Couplet schrieb: „But I believe in this, and it’s been tested by research / He wbo fucks nnns, will later join the cbitrch“) hat den Vorteil, dass dort niemand eine Band vermutet. Damit beginnt die fruchtbarste und glücklichste (oder: die einzig glückliche) Zeit im Leben von The Clash als Band. Vormittags trifft man sich auf dem Sportplatz einer Schule zum Fußballspielen, dann geht’s an die Arbeit. Die Songs, die im Mai und Juni 1979 in den „Vanilla Studios“ genannten Räumen entstehen, sind anders als die alten. Und zahlreich. Im Juni sagt Joe Strummer zu Charles Shaar Murray vom NME: „Stell dir vor, eine Band gebt her und macht eine 16-Spur-LP auf zwei TEAC-Tonbandgeräten. Das senkt den Faktor Studiokosten dramatisch. Du kannst auch heute noch eine LP für zwei oder drei Pfund verkaufen.“ Die Aussage ist nicht nur deshalb interessant, weil sie die „Value For Money“-Politik der Band widerspiegelt (und die über ihr schwebende Drohung, CBS könne keine Lust mehr haben, ein drittes Album der renitenten Aufrührer zu finanzieren, die sich standhaft der Kommerzialisierung verweigern – die verweigerte Finanzierung einer US-Tour im Juni, deren Absage Caroline Coon ihren Job kostet, ist ein deutliches Signal), sondern auch weil nun das Gerücht umgeht, The Clash würden ihre nächste Platte selbst produzieren und seien schon mitten dabei.

If Music Could Talk Das ist aber laut Mick Jones nur „ein Bluff, um die Plattenfirma zu verarschen“. Tatsächlich haben Johnny und Baker auf Empfehlung von Who-Tontechniker Bob Pridden von dessen Arbeitgebern zwei TEAC-Tonbandgeräte und ein kleines Mischpult gemietet, um die neuen Songs aufzunehmen, aber nur als Demos für den ins Auge gefassten Produzenten, der, so verlangt es CBS, „namhaft“ sein soll. Der Name, für den sich The Clash entscheiden, ist ein lautes „Fuck you!“ an die Firma und eine Rock’n’Roll-Legende:

Guy Stevens, der einst Micks Idole Mott The Hoople mit Parolen wie „Los, wir zünden das Studio an! Das wird uns zu noch größeren Taten inspirieren!“ zur flammenden Bande von übermütigen Irren machte, hat außerdem Free, Traffic und Spooky Tooth produziert, vor allem aber als DJ im „New Scene Club“ Anfang der 60er u. a. Beatles, Stones, Small Faces, The Who (die er entdeckt hat) und unzählige andere mit den Songs bekanntgemacht, die ihre ersten Platten füllten. Er gilt als unberechenbarer Wahnsinniger; in den letzten Jahren ist er in der Versenkung (und im Schnaps) verschwunden. Joe findet ihn in einem Pub in einer Seitenstraße der Oxford Street, zahlt seine Zeche und überredet ihn, sich wenigstens die neuen Demos anzuhören. Leider hat Stevens nicht mal einen Kassettenrekorder, Johnny Green kauft ihm einen – lässt das Ding aber mitsamt der einzigen vollständigen Kassette in der U-Bahn liegen. Die originalen „Vanilla Tapes“ geraten in Vergessenheit, bis sie Mick Jones 2004 bei einem Umzug wiederfindet. Aber Stevens kennt The Clash: 1976 war er schon mal bei einer Demosession für Polydor dabei, ist aber bald wieder abgedampft, genervt von den Label-Yuppies und weil es Demos in seiner Weltsicht sowieso nicht gibt.

Let’s Go Crazy Der Mann mit dem Riesenbart willigt ein, und Anfang August 1979 – drei Monate nach Thatchers Regierungsantritt, mit dem der Film „Rüde Boy“ endet – versammelt man sich in den Wessex-Studios in Highbury. Stevens‘ „Arbeitsweise“ brächte jede andere Band um den letzten Nerv. Er zertrümmert Möbel, während The Clash spielen, lässt Bänder laufen, ohne Bescheid zu geben, schüttet eine Zweiliterflasche Wein in den nagelneuen Flügel (weil Toningenieur Jerry Green kein Geld hat, um einen Taxifahrer zu bezahlen, den Stevens den ganzen Tag lang als „Helfer“ dabehalten hat – bei laufendem Taxameter) und Bier in den Fernseher, legt sich vor den Rolls von CBS-Boß Maurice Oberstein (bis der bestätigt, wie großartig die Aufnahmen sind), verschwindet, wenn ihm gerade danach ist. Stevens‘ Anteil an der Arbeit wird überschätzt: Er ist schwerer Alkoholiker, liegt bisweilen einfach in der Ecke oder säuft sich in derartige Zustände, dass er in einen Schrank gesperrt werden muss, und nach der Flügelepisode, die der Band eine immense Reinigungsrechnung einbringt, wird er heimgeschickt; seinen Platz am Mischpult übernehmen Studioinhaber Bill Price und Mick Jones, albums. Erstens: Es gibt kei

Aber für The Clash erweist sich der im Grunde seiner Seele liebenswerte Chaot (der am 29. August 1981 an einer Überdosis seines Entzugsmedikaments stirbt) als unschätzbare Quelle der Inspiration; er erweitert ihren musikalischen Horizont, führt sie an die Wurzeln dessen, was sie in den letzten drei Jahren versucht haben, trägt dazu bei, aus der ein- bis zweidimensionalen Punkband mit Reggae-Neigung die stärkste, überzeugendste, relevanteste Rock’n’Roll-Band ihrer Zeit zu machen. Die Hauptprobleme der Band im Sommer 1979 erweisen sich als Katalysatoren für die Entstehung eines Jahrhundertne Szene, kein aktuelles Genre mehr, dem sie angehören könnten. Punk ist lange vorbei, mit New Wave und Postpunk haben sie nichts am Hut, das befreit sie von Formaten und führt sie an die Quellen rebellischer Musik: nach Jamaika, zum Rockabilly der US-50er, auf die Baumwollfelder von Louisiana, zu den Ranters des englischen 17. Jahrhunderts. Zweitens: Sie haben kein Management, sind allen gängigen Strukturen des Popgeschäfts entfremdet und haben als Kindergärtner ausgerechnet den notorischsten Irren der ganzen Popwelt gewählt. Wie sollte da was anderes herauskommen als ein Meisterwerk oder ein völliges Fiasko? Der dritte Faktor ist die Zeit: Es sind gerade mal drei Jahre seit der ersten Probe vergangen – drei Jahre, in denen sich die Band um Welten weiterentwiekelt hat, mit einem derartigen Tempo, dass sie unmöglich merken kann, auf welch dünnem Seil sie tanzt. Nach Stevens‘ Abgang wird ernsthaft gearbeitet. Anfang September sind 18 Songs fertig, das Mischen übernimmt Bill Price alleine, weil The Clash am 8. in die USA müssen – dort hat sich das zweite Album ohne Promotion 200.000 Mal verkauft, was CBS dazu bringt, das Debüt nun doch zu veröffentlichen (allerdings mit anderem Tracklisting – in der „Village Voice“ nennt es Robert Chnstgau dennoch „das wahrscheinlich wichtigste Album, das je in Amerika erschienen ist“) und die Tournee zu finanzieren. Dass die überhaupt stattfinden kann, liegt auch an zwei Absagen: Ein Festival in Derry canceln The Clash, weil die Terrorgruppe Red Hand Commando gedroht hat, Joe Strummer zu erschießen (der als einziger gegen die Absage stimmt), und die Einladung, als erste „westliche“

Band in Kuba zu spielen, wird abgelehnt, um nicht unter den US-Boykott zu fallen. Ein entspannter Trip wird die Tour nicht. The Clash weigern sich so vehement, sich in die gängigen Strukturen des Showgeschäfts zu fügen, dass sie damit zumindest einen Teil ihres eigenen Publikums vor den Kopf stoßen. Von einer Journalistin gefragt, ob er eine Botschaft für Amerika habe, schnappt Joe: „Fresst weniger!“, andere müssen froh sein, nur mit „Scherzen“ aus dem Konzept gebracht zu werden. Als wirkliches Problem erweist sich Topper, der am 7. Oktober nach einem Besuch an Buddy Hollys Grab in Lubbock und dem anschließenden Gig eine Überdosis Heroin erwischt. Dass Mick Jones auf einem Abstecher nach Kanada am 26. September gezwungen wird, sein Haschisch wegzuwerfen, und sich anderntags weigert, sein Hotelzimmer zu verlassen, bevor ihm nicht jemand einen Joint besorgt, ist die erste von vielen Eskapaden, mit denen er vier Jahre später seinen Rauswurf herbeizwingt – und das Ende der Band.

Das Format des Albums ist Gegenstand eines Streits, in dem sich The Clash ein einziges Mal gegen CBS durchsetzen: Sie bestehen anfangs auf einem Doppelalbum zum Preis einer LP, CBS lehnt strikt ab, willigt aber in eine Single als Beilage ein. The Clash fragen, ob es auch eine 12-Inch-Single sein darf, was ein offenbar minderbemittelter CBS-Angestellter ebenfalls bejaht, woraufhin die Band darauf besteht, es müsse eine „Single“ mit neun Songs sein, die auf 33 Umdrehungen läuft … Der Triumph währt nicht lange, weil CBS ihrerseits das Album als Einzel-LP rechnet und – der Vertrag läuft über fünf – zwei weitere verlangt.

Ein düsteres Vorzeichen ist auch der Videodreh für „London Calhng“ auf der Themse: Eisige Kälte und Regen ruinieren das gemietete Equipment, das Johnny Green hinterher einfach über Bord wirft. Das kostet „nur“ ein paar hundert Pfund -dass die Band sich weigert, für die Tournee größere Hallen zu buchen (um die Fans nicht zu betrügen), ist hingegen ein weiterer Schritt in den finanziellen Ruin, dem The Clash frohen Mutes entgegenstürmen, indem sie als nächstes eine Triple-LP veröffentlichen (und nebenbei noch je ein Album mit Joe Ely und Ellen Foley), TV-Playbackauftritte verweigern, mal wieder das Management feuern und alles selber machen wollen. Am 27. Januar 1980 kommt es nach einem Auftritt in Sheffield zu einer Streiterei zwischen Joe und Mick, die damit endet, dass Jones einen Faustschlag ins Gesicht bekommt, der Abdrücke hinterlässt, die tagelang zu sehen sind. Die seelischen Wunden schmerzen länger. Die Band, die Ende Februar zu ihrer dritten US-Tournee aufbricht, mag (wie der „Rolling Stone“ meint) „die größte Rock’n’Roll-Band der Welt“ sein, sie mag drei Jahre später nach zerrüttenden Kämpfen und dem Kniefall vor dem Musikbusiness kurz vor dem kläglichen Ende doch den großen Durchbruch schaffen. Aber ob sie wirklich noch eine Band ist, wird bald zweifelhaft -zumindest wird sie nie wieder die Band sein, die sie im Jahr 1979 war.

Das ist es, was LONDON CALLING so zeitlos, so umwerfend großartig und auf ganz eigene Weise perfekt macht: Es ist ein Schnappschuss wie der auf dem Cover, ein zufälliges, unfertiges Momentbild aus seiner Zeit, der- zumindest ist das die Botschaft des Albums, wie aller großen Rock’n’Roll-Alben – verrücktesten, auf regendstenund vielversprechendsten Zeit des späten 20. Jahrhunderts, als einen Moment lang alles möglich schien und die Welt vier jungen Kerlen gehörte, die ein paar Monate zuvor noch unter der Westway-Überführung herumgelungert waren.

WESTWAY TO THE WORLD

Die Clash-Chronologie: fünf Jahre, die die Welt veränderten – und einige mehr.

1975 MichaelGeoffrey Jones (geb. 26. Juni 1955) löst seine Glamrockband The Delinquents auf und gründet mit Tony James London SS. Zu den wechselnden Mitgliedern zählen Brian James und Rat Scabies (später The Damned), Matt Dangerfield und Casino Steel (The Boys), Chrissie Hynde, Nicholas Bowen „Topper“ Headon (geb. 30. Mai 1955), Paul Gustave Simonon_(geb. 15. Dez. 1955) und Terry Chimes Tgeb. 25. Jan. 1955). 1976 Jones, Simonon, Chimes und Keith Levene gründen eine neue Band. John Graham Mellor (geb. 21. August 1952) alias Joe Strammer erlebt am 6. April als lOlers-Sänger die Sex Pistols in seinem Vorprogramm und beschließt, sein Leben zu ändern. Am 4. Juli debütiert er mit The Clash – im Vorprogramm der Sex Pistols.

1977 Nach Levenes Ausstieg entsteht an drei Wochenenden in den CBS-Studios das Debütalbum, das am 8. April erscheint, Platz zwölf der UK-Charts stürmt und in den USA nicht veröffentlicht wird: „zu unkommerziell“. Kurze Zeit später ist THE CLASII die meistverkaufte Importplatte der US-Geschichte.

1978 Das zweite Clash-Album GIVE EM ENOUGH ROPE (10. November) enttäuscht viele Kritiker. The Clash trennen sich von Manager Bernie Rhodes und touren erstmals in den USA.

1979 Am 14. Dezember wird das Doppelalbum LONDON CALLING veröffentlicht. Die Aufnahmen hatten im August begonnen.

Im Mai und Juni spielt die Band zwei wochen lang im Bonds Kasino in New York, wobei es zu Straßenschlachten mit der Polizei kommt, die in den Abendnachrichten zu sehen sind und in den folgenden Nächten Zehntausende Neugierige anlocken. Unter den Support-Acts sind The Slits, Grandmaster Flash & The Treacherous Three, The Sugarhill Gang, Funkapolitan, Lee Perry, Joe Ely, Nitecaps, Dead Kennedys, Bad Brains und The Fall. Im September beginnen die Arbeiten an dem Doppelalbum RAT PATROL FROM FORTBRAGG.

1982 Gegen Mick Jones‘ Willen wird das Doppelalbum dem Produzenten Glyn Johns übergeben, der es auf eine LP strafft. COMBAT ROCK erscheint am 14. Mai und wird das erfolgreichste Clash-Album. Kurz zuvor feuert die Band Topper Headon und holt Terry Chimes zurück. The Clash touren mit The Who durch die Stadien der USA.

1985 Terry Chimes gehe, Pete Howard kommt. Ein Festival in San Bernadino (Kalifornien) am 28. Mai vor 140.000 Zuschauern ist Jones‘ letzter Gig mit der Band, im September wird er gefeuert und durch Vince White und Nick Sheppard ersetzt.

1985 Strummer und Bernie Rhodos nehmen in Untcrrohnng bei München mit Studiomusikern CLAT THE CRAP auf. Als es am 4. November erscheint, gibt es die Band nicht mehr.

1999 Strummer, Jones und Simonon stellen das Livealbum ETERNITY zusammen. Am 15. November spielt Jones als Bühnengast drei Clash-Songs mit Strummers Band Mescaleros.

2002 Strummer, Jones und Headon vereinbaren einen Keuniongig zur Aufnahme in die „Rock’n’Roll Hall Of Fame“. Simonon lehnt ab, weil das gegen den Clash-Geist verstoße. Am 22. Dezember stirbt Joe Strummer an einem angeborenen Herzfehler.

LONDON CALLING DIE SONGS

„London Calling“

Man vergisst gerne, dass The Clash zu „Lebzeiten“ keine UK-Top-10-Single hatten; der Titelsong war mit Platz elf ihr größter Erfolg. Der Text war anfangs eine Klage über Fußballfans in Soho, dann verlangte Mickjones(vondemdie Akkorde stammen) etwas mit mehr aktueller Bedeutung. Die Inspiration kam vom Nachrichtenjingle des Senders BBC World Service; Joe Strummer „las ungefähr zehn Zeitungen an einem Tag, in denen es um alle möglichen Plagen ging, die uns drohten“, und packte alles hinein, was an Apokalyptischem und Agitatorischem zu erdenken war, vom Beinahe-GAU im Atomkraftwerk Three Mile Island über Lohnsklaverei, Rassismus und Drogen bis hin zum wiedererwachten Starkult in der britischen Popmusik. Und Toppers unaufhaltsam fließender Drei-Achtel-Groove war etwas, was man im Punkrock bis dahin nie gehört hatte.

2 „Brand New Cadillac“

Radio-DJane Annie Nightingale wettete mit Joe Strummer um einen Cadillac, dass „London Calling“ die Top 10 schaffen würde, aber das hat mit dem Song nichts zu tun. Der stammt von Pauls Rockabilly-Idol Vince Taylor (dem Vorbild für David Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust), der sich später für den „Propheten Matthäus“ hielt, und ist laut Topper „der erste britische Rock’n’Roll-Song“

(B-Seite seiner dritten Single „Pledgin‘ My Love“, 1958). Die Clash-Version (die zweite einer Punkband – 1978 hatten The Fall den Song gecovert) entstand am ersten Aufnahmetag, als Guy Stevens heimlich beim Warmspielen das Band laufen ließ – ein klassischer „First Take“. „Guy, das können wir nicht nehmen“, wandte Topper ein^eswird schneller!“ Stevens: „Geil! Jeder gute Rock’n’Roll wird schneller!“

3 Jimmy Jazz The Clash als lässige Swingband – ein Jahr zuvor so denkbar wie ein Dubreggae von AC/DC. Joes Text ist eine Art London-Jamaika-Version der Stagger-Lee-Legende (siehe „Wrong ‚Era Boyo“), samt Anspielung aufdenAbyssianians-Klassiker „Satta Massagana“ und diverse alte Gangsterfilme.

4 „Hateful“

Einer von zwei Drogensongs auf LONDON CALLING – eine indirekte Widmung an den alten Kumpel Sid Vicious („this year I lost some friends“), der am 2. Februar 1979 in New York starb, als The Clash (die am 19. Dezember einen Benefizgig für die Kosten seines Mordprozesses gespielt hatten) gerade zum ersten Mal US-amerikanischen Boden betraten. Dass Mick und Paul auch gelegentlich mal die Nase ins „Sniff“-Päckchen steckten, war für die Zukunft weniger bedeutsam als Toppers ungesündere Neigung in diese Richtung, die auffiel, als immer mal wieder Schlagzeugteile vom Sponsor Pearl aus dem Studio verschwanden und in Pfandleihen wieder auftauchten. Der Rhythmus stammt vom Tourpartner Bo Diddley.

5 „Rudie Can’t Fail“

Ursprünglich im Frühjahr 1979 für den Film „Rude Boy“ aufgenommen (der auch so heißen sollte), als „Nachruf“ auf Hauptdarsteller Ray Gange, – was Joe später abstritt und mehrere neue Erklärungen lieferte, wer und warum da laut Text „Bier zum Frühstück“ trank. Auch hier wird ein Reggaeklassiker erwähnt: Dr Alimantados „Born For A Purpose“, und der 19er-Bus in der ersten Zeile ist der, mit dem Joe von seiner neuen Wohnung an der Kings Road in World’s End ins Studio fuhr.

6 „Spanish Bombs“

Hier mischen sich mehrere Einflüsse (und Mythen): die Internationalen Brigaden (denen sich u. a. auch George Orwell anschloss), die im spanischen Bürgerkrieg gegen die Franco-Faschisten gekämpft hatten, Nachrichten über Bombenanschlage der ETA gegen die spanische Tounsmusindustrie, Bücher von Federico Garcia Lorca (die Joe damals verschlang) und John Steinbecks „Früchte des Zorns“. Zudem kam Strummers Exfreundin Palmolive aus Andalusien (wohin er selbst nach dem Fiasko des letzten Clash-Albums floh). Joe hatte die Idee um vier Uhr früh auf dem Heimweg vom Vanilla-Studio (ausnahmsweise per Taxi, in dem das Radio lief), geschrieben wurde der Song „auf Platz 18B“ der im Text erwähnten DC-10.

7 „The Rieht Profile“

„Lies das! Wenn du über jemanden einen Song schreiben willst, dann über Montgomery Clift“, sagte Guy Stevens zu Joe Strummer und gab ihm Patricia Bosworths Biografie des Hollywoodstars (seine wichtigsten Filme erwähnt der Text), der nach einem Autounfall 1956 und diversen Operationen den „längsten Selbstmord der Hollywood-Geschichte“ beging, indem er sich über zehn Jahre mit Drogen zugrunderichtete. Der Titel spielt darauf an, dass Clift nach dem Unfall nur noch von rechts gefilmt werden durfte, weil die linke Seite seines Gesichts gelähmt war. In Wirklichkeit ist der Song eine Hommage an Guy Stevens selbst, dem die Band nach seinem Tod auch die elegische Ballade „Midnight To Stevens“ widmete.

8 „Lost In The Supermarket“

Jones singt, der Text ist von Strummer, aber aus Micks Perspektive und für ihn geschrieben (Jones: „als Ode an ein paar Freunde, die wir noch nicht kennen“) – und dennoch autobiografisch: Erinnerungen an die Kindheit im Vorort Waringham und das spätere Leben in Hochhausapartments mischen sich mit dem echten Supermarkt unter dem Wolkenkratzer, wo Joe jetzt wohnte, wo ihm die Idee kam, als er um fünf Uhr morgens einkaufen war „verwirrt von all den Farben und Lichtern“. Die Idee, die Snare durch ein Standtom zu ersetzen, hatte Topper bei einem Taj-Mahal-Konzert am Abend vor der Aufnahme.

9 „Clampdown“

Hieß als Instrumental erst wochenlang „Working And Awaiting“, dann „For Fuck’s Sake“. Der Zündfunke für den Text war auch hier die Beinahe-Atomkatastrophe in Harnsburg; es geht aber mit Anspielungen auf das Naziregime, den Kapitalismus und seine religiöse Ideologie, moderne Diktatoren und diverse andere Repressionsmechanismen – um die Grundidee, sich dem allgegenwärtigen System von Arbeit und Unterdrückung zu entziehen und es zu bekämpfen, notfalls mit Gewalt („Let fury have the hour I Anger can be power I D’you know that you can use it“). Strummers Gemurmel in der Einleitung ist inzwischen entziffert, bleibt aber mysteriös …

10 „The Guns Of Brixton“

Der erste von zwei Songs, die Paul Simonon für The Clash schrieb – ein Ausflug auf die andere Seite der Themse in das damals heruntergekommene, inzwischen „gentrifizierte“ Arbeiter- und Ausländerviertel, in dem Paul, Mick und Topper aufwuchsen. Die melancholisch-rebellische Militanz des Textes wirkte angesichts der Rassenunruhen der 80er in Brixton wie eine düstere Prophezeiung und schlug sich in Simonons Gesang nieder: „Das Mikro stand genau vor der Glasscheibe des Regieraums. Direkt vor mir, hinter dem Glas, saß irgend so ein amerikanischer CBS-Kerl, der mich echt ankotzte.“ Die Bassfigur recycelte Fatboy Slim 1990 für den Beats-International-Hit „Dub Be Good To Me“ – gewissermaßen der erste Nummer-eins-Hit und die erste UK-Top-10-Single der Band (der/die zweite war 1991 die Neuauflage von „Should I Stay Or Should I Go“).

11 „Wrong’Em Boyo“

Die Volksliedlegende von dem afroamerikanischen Zuhälter Stagger Lee Shelton und dem Mord an Billy Lyons 1895 ist eines der ältesten und meistverwendeten Songthemen der US-Geschichte – es gibt sogar Theorien, nach denen der Song älter ist als die Tat selbst und Shelton seinen Spitznamen deshalb erst erhielt. Die meisten Bearbeitungen gehen auf die Version zurück, die Mississippi John Hurt 1928 aufnahm. The Clash coverten den Song nach der Vorlage der amaikanischen Skaband The Rulers. Dem Polizeibericht zufolge gerieten Lyons und Shelton in einem Saloon in St. Louis über Politik in einen Streit, wobei Lyons seinem Freund den Hut vom Kopf nss und sich weigerte, ihn zurückzugeben, worauf Shelton den Revolver zog. In „Wrong ‚Em Boyo“ bleibt die Politik (untypischerweise) außen vor – Anlass der Tat ist hier ein Würfelspiel.

12 „Death Or Glory“

Die uralte Geschichte von der Vergebhchkeit allen Strebens und der Vergänglichkeit aller Ideale ist selten so perfekt in Worte und Akkorde gefasst worden wie hier: „/ believe in this and it’s heen tested by research / He who fucks nuns will later join the church“ – Strummer meint das durchaus autobiografisch, auch wenn er an anderer Stelle den Dichter William Blake (ungefähr) zitiert. Während die Band den Song aufnahm, stürmte Guy Stevens in den Raum und warf zur „Inspiration“ Stühle an die Wand.

13 „Koka Kola“

Dass es um die in „oberen Etagen“ und vor allem an den Börsen grassierende Kokain- und Speedmode geht, schlägt sich in der atemlosen Interpretation des Songs nieder, den Joe Strummer in diesem Tempo nur hinkriegt, indem er ein paar Zeilen regelrecht ausspuckt. Er wusste, wovon er sang: Sein eigener Speedkonsum Mitte der 70er kostete ihn Nerven und Zähne.

14 „The Card Cheat“

Mick Jones‘ erstes Meisterstück als Produzent: Um den Sound der klassischen Ballade (die alle vier Bandmitglieder als Komponisten listet) „so groß wie möglich“ zu machen, nahm er jedes einzelne Instrument doppelt auf – ein simples Rezept, mit dem schon Phil Spector Erfolg hatte, das hier aber gerade noch vor der Kitschgrenze Halt macht. Der Text (ebenfalls von Jones) ist eine gewaltig ausgreifende Metapher auf Verfall und Untergang des Vereinigten Königreichs, aufgehängt an einem Pokerbetrüger, der (ein Echo von Stagger Lee) erwischt und erschossen wird.

15 „Lover’s Rock“

Der Titel zitiert die Genrebezeichnung für eine Reggaespielart, in der es um Liebe und Romantik geht – der Text allerdings fährt eine (vielleicht etwas halbherzige) Attacke auf Sextouristen, die alleinerziehende Mütter zurücklassen. Die vermeintliche Machopose wurde von Kritikern missverstanden und der Band (ebenso wie ihre Flirts mit bewaffneter Gewalt) gehörig um die Ohren gehauen; der NME warf Strummer und Jones vor, sie könnten keine glaubwürdigen Liebeslieder schreiben – was die Clash-Fans Manie Street Preachers dazu brachte, von vorneherein konsequent (zumindest bis 1996) auf Liebeslieder zu verzichten, da diese „konterrevolutionär“

16 „Four Horsemen“

Auch diese (selbst-)ironische Abrechnung mit dem Starkult um Popmusiker, die wahlweise als die vier Reiter der Apokalypse oder eine Ganovenbande wie die „Lucky Luke“-Daltons dargestellt werden, bekam nicht jeder in den richtigen Hals. Musikalisch ist nicht allzu viel dran – der einzige Song auf dem Album, den man als „Füller“ bezeichnen könnte, oder wohlwollender: als kleinen Moment der Entspannung für Beine und Hirn.

17 „I’m Not Down“

Mick Jones nimmt den Faden von „Hate & War“ (vom ersten Album) wieder auf: Ihr könnt mir die Knochen brechen, aber meinen Willen brecht ihr nicht. Das mag ihm zur Selbstmotivation angesichts privater Katastrophen gedient haben, es mag eine leicht selbstgerechte Darstellung des Erwachsenwerdens sein – aber der inhaltliche „Knick“ kommt in der letzten Strophe: „So you rock around and think that you’re the toughest in the world / The whole wide world / But you ‚re streets away from where it gets the toughest / You ain’t been there.“

18 „Revolution Rock“

Noch eine Coverversion – diesmal der einzigen Single, die der jamaikanisch-britische Reggaestar, Produzent und Labelgründer Danny Ray mit seiner Band The Revolutioneers aufnahm (1976). Die Clash-Version entstand ursprünglich für den Film „Rude Boy“.

19″Train In Vain“

Laut „Rolling Stone“ der 292st beste Song aller Zeiten geschrieben und aufgenommen in ein paar Stunden für eine Schallfolie, die der NME dann aber cancelte, weshalb er noch aufs Album kam, aber auf dem bereits gedruckten Cover nicht erwähnt werden konnte. Das US-Label koppelte den Schnellschuss als Single aus – der erste von zwei Top-40-Hits, die The Clash in den USA landen konnten. Den Titel erklärte Autor Mick Jones so: „Der Rhythmus erinnerte an eine Eisenbahn, und wieder mal hatte ich ein durchdringendes Gefühl der Verlorenheit.“ Kurz zuvor hatte ihn Viv Albertine verlassen, die Gitarristin der Slits – mag sein, dass der Song eine Antwort auf deren „Typical Girls“ war, in dem es um Mädchen geht, die „zu ihrem Mann stehen“. Die Anspielung an Robert Johnsons „Love In Vain“ (von den Rolling Stones auf LET IT BLEED gecovert) ist für Bluesfans nicht zu überhören, die Ähnlichkeit des Riffs mit J.J. Jacksons „But It’s Alright“ (1966) schon eher.