Ray Davies


Gäbe es einen Club der lebenden Rocklegenden, er wäre der Vorsitzende: Mit The Kinks legte er den musikalischen Grundstein für Punk und Britpop. Ray Davies über Gute-Nacht-Lieder, schnorrende Hippies und seine ständig nörgelnde Frau.

Wenn ich als Kind nicht schlafen konnte …

„The Big Noise From Winnetka“

Bob Crosby And His Orchestra (1939)

Meine Eltern waren schon älter, als ich zur Welt kam, beide Ende 40. Sie arbeiteten viel und kamen oft spät nach Hause. Also mussten meine großen Schwestern mich ins Bett bringen, was nicht gerade einfach war. Sie spielten mir diesen Song vor, der nur aus einem Basslauf und etwas Gepfeife besteht. Anscheinend hat mich das Stück zum Einschlafen gebracht.

Als ich und mein Bruder Dave beschlossen, eine Band zu gründen …

„Memphis Tennessee“

Chuck Berry (1959)

Damals hatten Dave und sein Kumpel Pete Quaife gerade eine Band gegründet – und da wurde auch mir klar: Ich liebte Chuck Berry, der ein unterschätzter Lyriker ist. In „Memphis Tennessee“ geht es um eine gescheiterte Beziehung und ein Kind, das darunter leidet. Berry singt es auf die ihm bestmögliche poetische Art. Ein sehr einfacher Bluessong, der aber ganz tiefe Gefühle weckt.

Dieses Album beschreibt die Sechzigerjahre am besten …

„We’re Only In It For The Money“

The Mothers of Invention (1968)

Eine verrückte Zeit! Ständig belagerten irgendwelche Menschen mein Haus. Hippies, die dachten, sie könnten ein paar Drogen schnorren, weil ich ein berühmter Rockstar war. Dazu noch Journalisten, Fashion-Victims und wildfremde junge Menschen, die annahmen, ich wüsste des Rätsels Lösung. Dabei war ich einfach nur ein gewöhnlicher Kerl. Dieses Album machte sich über diese merkwürdige Hippie-Kultur lustig. Es ist eine Parodie auf SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND, ein zynischer Kommentar auf die Flower-Power-Bewegung. Aber das beste Album dieser Zeit war das erste von The Kinks.

Als ich zum ersten Mal Punk verstanden habe …

„Ol‘ Man River“

Frank Sinatra (1945)

Punk war eine Revolution der Mode, es war keine anarchische Musik. Die wirkliche Anarchie kam später mit Bands wie Nirvana. Die Sex Pistols konnten nicht Gitarre spielen, dennoch war das keine musikalische Anarchie. Anarchistisch waren allenfalls Texte und Stil. Die Musik war nie gefährlich. Doch dieser Song, auch wenn mir die Sinatra-Interpretaion nicht gefällt, ist einer der ganz großen, der Katastrophen, Kriege und musikalische Entwicklungen überlebt hat.

Als ich meine erste Frau kennen lernte …

„Naggin‘ Woman“

Lazy Lester (unbekannt)

Ich tanzte mit meiner Freundin, die später meine Frau wurde, zu diesem Song in irgendeinem düsteren Club. Das Stück handelt von einem Mann, dessen Frau ständig an ihm herumnörgelt. Ich fragte sie: „Aber du wirst niemals so, oder?“ Sie antwortet: „Ich hoffe nicht.“ Eine grobe Fehleinschätzung.

Als wir in die Rock’n’Roll Hall Of Fame aufgenommen wurden …

„Better Git It In Your Soul“

Charles Mingus (1959)

Ich war in New York und arbeitete an einer Dokumentation über Charles Mingus. Dort lag zufällig eine „USA Today“ rum, in der stand, dass wir in die Rock’n’Roll Hall Of Fame aufgenommen werden. Und wissen Sie was? Keiner hielt es für nötig, uns anzurufen.

Randnotizen:

1. Ray Davies wird 1944 in London geboren. Mit 13 Jahren schenkt ihm seine Schwester eine Gitarre. 1960 spielt er mit Bruder Dave den ersten Gig. Ein Jahr später stößt Peter Quaife zur Band, die sich jetzt The Ray Davies Quartet nennt. Nach weiteren Namensänderungen – The Ramrods, The Boll Weevils – steht 1964 der Name fest: The Kinks.

2. Um im Radio gespielt werden zu können, musste Davies den Text von „Lola“ neu einsingen. Die Zeile „It tastes like Coca-Cola“ war nicht mit der Keine-Werbung-Politik der BBC vereinbar. Davies ersetzte die Zeile mit „It tastes like Cherry Cola“.

3. 2004 wurde Davies in New Orleans von einem Handtaschenräuber angeschossen. Davies hatte den Dieb vefolgt, nachdem dieser die Tasche von Davies‘ Begleitung gestohlen hatte.

Der nächste Musikexpress erscheint am 16. Dezember 2010.