Boom Box
Die Hip-Hop-Kolumne von Davide Bortot
Die Geburt eines Rapstars
Am 15. Februar 2011 hat der Rapper Saigon sein Debütalbum The Greatest Never Story Told veröffentlicht. Es klingt ganz okay und belegte zum Zeitpunkt der Drucklegung den ersten Platz der Hip-Hop-Charts bei iTunes. Jemand ein Gläschen Schaumwein? Vermutlich wird sich der Rapper Saigon eher verschämt eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Denn The Greatest Never Story Told sollte einmal viel mehr werden. Zum Beispiel die Geburtsstunde des größten Rapstars der Nullerjahre.
2004 war Sai eine Verheißung. Seine Mixtapes waren die heißeste Handelsware in den Projects von Brooklyn. Jay-Z und Nas priesen in seltener Eintracht. Atlantic Records legte ein verlockendes Vertragswerk vor. Und HBO vertraute ihm eine Hauptrolle in der Serie „Entourage“ an: als er selbst. Saigon war eine Art Hood-Version von Thomas Müller, die vermeintlich vollendete Einheit von Glaubwürdigkeit und Starpotenzial. In diesem Klima entstand The Greatest Never Story Told. Ein designierter Klassiker.
Was in der Folge passierte, weiß keiner mehr so recht. Was in jedem Fall nicht passierte, war eine zündende Single, und so rutschte Saigon, erst unbemerkt, schließlich öffentlich, auf die Abschiebebank. Er musste sich in Meetings dumme Sachen anhören und schrieb aus Frust noch dümmere Sache im Internet, sogar über seinen Produzenten und Freund Just Blaze, der irgendwie schuld daran sein sollte, dass die Fans Lil Wayne und Young Jeezy feierten, obwohl doch er, Saigon, auf diesem Jahrhundertalbum saß. Irgendwann interessierte man sich nicht mal mehr für seine Dummheiten – das semiseriöse Mixtape-Album Warning Shots 2 (2009) eingeschlossen.
Nun ist The Greatest Story dank diverser günstiger Vertragstischfügungen und einem in letzter Sekunde vereitelten Selbstleakversuch unverhofft doch noch erschienen, komplett unverändert auf dem Indielabel Suburban Noize. Es ist, wie gesagt, solide und hat seine Momente: den Soulbrecher „Preacher“ etwa und das Lebensweisheitendoppel „Friends/Enemies“. Mehr noch aber ist es ein weiterer Beweis dafür, dass Hip-Hop nur im Augenblick funktioniert: Über die volle Spielzeit klingen die Fanfaren von Just Blaze prätentiös, das rastlose Reimen von Saigon nicht mehr hungrig, sondern übermotiviert. So wünscht man sich insgeheim, die Geschichte wäre tatsächlich auf ewig unerzählt geblieben. Ein designierter Klassiker. Und die Geburtsstunde des größten Rapstars, der nie einer werden durfte.