Santana


Santana ist wieder da! "Amigos" heißt die neue LP. Und neue wie alte "Freunde" dieser allmählich schon legendären Band erwarten mit Spannung ihre Deutschland-Tournee im November. "Santana made full circle", d.h. sind an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt, schrieb der ,Melody Maker'. Das ist wahr. Die Musik von "Amigos" erinnert deutlich an die ersten großen Erfolge des Latin-Rock-Septetts: "Black Magic Woman", "Oye Como Va" und "Samba Pa Ti". Seit Santanas erste LP erschienen ist, sind sieben Jahre vergangen. Einerseits ist die "7" ein uraltes mystisches Zahlensymbol (und damit wichtig für Santanas rätselhafte Wandlungen), andererseits und nüchterner betrachtet sind sieben Jahre bevölkerungsstatistisch "eine Generation". Mit anderen Worten, die heutigen "aficionados" von Santana kennen die Beatles nur noch von Platten, haben noch Heintje gehört, als Jimi Hendrix starb, die Rolling Stones haben sie erst mit ihrem leicht schwülstigen "Angie" auf den Geschmack gebracht, und Bob Dylan ist für sie ein Country-Sänger wie John Denver oder Kris Kristofferson.

Diese zweite Generation, die mit Rockmusik aufgewachsen ist,  beurteilt eine Band nach dem, was sie heute, bringt‘ – nicht nach ihren Erfolgen von Vorgestern. Santana hat mit mit dem Album „Amigos“, das bewährte Latin-Rock-Muster mit neuesten Trends wie Reggae und Disco-Soul verbindet, ein neues Publikum gefunden. Ihre alten Fans wird die Gruppe dennoch behalten. Fraglich ist nur, ob die „coole“ Jazz-Rock-Gefolgschaft, die die Gruppe zeitweilig auf sich einschwören konnte, weiterhin am Ball bleibt, nachdem Santana nun so ungeniert zum Tanzen aufspielt? Wie dem auch sei: Santana ist und bleibt eine hervorragende Band, hier ist ihre Story:

Mexikanische Anfänge In dem Provinzstädtchen Autlan, zweitgrößte Ansiedlung des Mais und Zucker produzierenden Bundesstaates Jalisco, wurde am 20.7.1947 ein freudiges Ereignis mit viel Tequila begossen, Senor Santana, Musiker einer Mariachi-Band, konnte die komplikationsfreie Geburt seines ersten Sohnes feiern, der den Namen Carlos erhielt. Es waren bescheidene Verhältnisse, unter denen Carlos und sein jüngerer Bruder Jorge (der später die Latin-Rock-Gruppe ,,Malo“ begründen wird) aufwachsen.

Den temperamentvollen Mexikanern liegt die Musik im Blut, so ist es kein Wunder, daß Carlos, kaum fünfjährig, in die Fußstapfen seines Vaters tritt. Er lernt, Geige zu spielen. Mit fünfzehninteressiert er sich plötzlich für „los discos americanos“, für B.B. King und Ray Charles. 1962 zieht es ihn nach Norden, den Segen der Familie hat er, und auf der Gitarre, die er mitnimmt, kann er einige Bluesriffs spielen. In Tijuana, einer Grenzstadt, die wegen ihrer Spielcasinos und leichten Mädchen die weißen Touristen aus USA wie ein Magnet anzieht, bleibt Carlos vorerst. Hier trifft er auf zwei andere Typen, die sich mit Musik ihr Brot verdienen wollen: Dave Brown und Gregg Rolie, amerikanische Staatsbürger, etwa gleichaltrig mit Carlos und wie er Bluesmusikorientiert. David spielt Bass, Greg Klavier. Zusammen machen die Drei nun allabendlich die Nachtclubs von Tijuana unsicher – es lebt sich nicht schlecht in Tijuana. So geht es ganze sechs Jahre lang.

San Francisco

So wie das Marihuana zu dieser Zeit noch ziemlich unbehelligt von amerikanischen „Cops“ und mexikanischen „Plurales“ – den Landpolizisten – die Grenze nach Kalifornien passierte, so drangen in umgekehrter Richtung Nachrichten aus San Francisco nach Tijuana: Die Hippie-Bewegung näherte sich ihrem Höhepunkt. Musikergruppen schössen wie Pilze aus dem Boden. Der Tingelei in Tijuana überdrüssig, brachen Dave, Greg und Carlos die Zelte ab und zogen nach Frisco. 1967 war ein Jahr, in dem jeder, der eine Band hatte, die Möglichkeit sah, einen Plattenvertrag zu bekommen, berühmt zu werden. Soundbasteleien waren an der Tagesordnung. Die Hippiegruppen wie Grateful Dead oder Jefferson Airplane brachten alle möglichen Musikrichtungen vom Country & Western bis zum indischen Raga unter einen Hut. Um an Profil zu gewinnen, schloß sich Carlos‘ ,,Santana Blues Band“ diesem Trend an: So wie die „Byrds“ zur gleichen Zeit versuchten, so etwas wie eine amerikanische Ausgabe der Beatles zu werden und, dann aufgrund ihrer Herkunft doch ganz anders klangen, qualifizierte sich Santanas Blues Band nach Hinzunahme zweier Conga- und Timbales-Spieler weniger als traditionelle Blues-Formation denn als etwas gänzlich Neues: Der Welt erste „Latin Rock Band“ war geboren. Die beiden Neuen heißen Jose Chepito Areas und Mike Carabello, sie sind wie Carlos aus Mexiko eingewandert. Santanas Blues Band war eine von vielen Newcomern. Der Unterschied liegt darin, daß sich Carlos binnen kurzer Zeit entschloß, das rhythmusbetonende Element der Musik seiner Heimat gleichrangig den afroamerikanischen Bluesphrasen entgegenzusetzen. Nachdem sich die Band eine ausreichend starke Anlage zusammengespielt hatte und somit die technischen Probleme vom Tisch waren, konnte sich das Ergebnis sehr wohl hören lassen: Über eine aufregend pochende Percussion-Basis, die Areas und Carabello mittels Congas, Bongos, Timbales und Maraccas und mit bis zum Anschlag aufgedrehten Verstärkern bis zum donnernden Orkan anschwellen ließen, legte Carlos elektrisierende Gitarrenpassagen, die denen eines Eric Clapton in nichts nachstanden.

Wie man sich erinnert: 1968 war das Jahr der großen Gitarreros: Clapton („Clapton is God!“), Gallagher, Hendrix, Alvin Lee und nun auch: Carlos Santana. Seine Spieltechnik war einmalig: langgezogen-klagend, mit Feedbackeffekten und Splitterakkorden, dann wieder sehr melodisch und einschmeichelnd-süß, waren seine Soli akustische Arabesken.

Fillmore West

Ende ’68 stieß ein kleiner, wuschelhaariger Bursche, der, obgleich kaum sechzehnjährig, das Schlagzeug beherrschte wie kein Zweiter, zu der Gruppe. Mike Shrieve vervollständigte das erste Line-up, mit dem die Gruppe erste, spektakuläre Erfolge verbuchen konnte. Peinlich genug für eine damals äußerst populäre Gruppe:“ Paul Butterfield’s Blues Band“ war zu einem Gig in Bill Graham’s Rockheiligtum „Fillmore West“ nicht erschienen. Händeringend suchte der Impresario nach einem Ersatz, als ihm eine Gruppe einfiel, die er vor einigen Monaten in einem Club außerhalb San Franciscos gehört hatte. Der Rock-Tycoon, vor dessen Schelte sich sogar Bob Dylan und die Stones fürchten, hatte Carlos geraten, sich einen Manager zu suchen und Stan Marcum, einen Rockpromoter, empfohlen. Graham telefonierte mit Mr. Marcum, und binnen zweier Stunden hatte Santana’s Blues Band ihr erstes wichtiges Engagement. Fillmore West hatte Gruppen wie Jefferson Airplane. Grateful Dead, Quicksilver Messenger Service als Stammgäste auf dem Spielplan, und es war bestimmt nicht einfach, San Franciscos Hip-Publikum zu beeindrucken. Santana (wie sich die Gruppe nach ihrem ersten Erfolg nannte) schaffte es auf Anhieb. Es war die Fröhlichkeit und Selbstverständlichkeit („Jeder spielt am besten die Musik, mit der er aufgewachsen ist“, Gregg Rolie-Zitat), aber auch das begeisterte Miteinander („Jeder in der Gruppe ist gleichberechtigt, die Improvisationen kommen von allen“, Carlos Santana-Zitat), was überzeugte: „Soul Sacrifice“, „Savor“, „Waiting“. Vor allem „Jingo“, das auf einer Idee des Jazzers Aaron Copland basiert, verfügte mit seiner hypnotisch wiederkehrenden Textzeile „Jingo, Jingo Lo Ba“ über eine Suggestionskraft, die die Leute entweder klatschend auf Ajlie Stuhle trieb oder sie faszinierte. Nachdem sich Billy Graham entschloß, Santana in seinem Film „The Fillmore West“ auftreten zu lassen, begann ein Aufstieg ohnegleichen, oder doch zumindest unverständlich für diese Ghettobewohner, denen Monate zuvor kaum jemand eine Chance gegeben hätte. Der Anschluß an die Scene San Franciscos war rasch vollzogen. Carlos , jammte mit Popgrößen wie Mike Bloomfield und Elvin Bishop. Columbia Records bot der Band einen Vertrag an, und 1969 konnte die erste LP erscheinen. Billy Graham besorgte ihnen einen Auftritt in der „Ed Sullivan Show“, einem nationalen Spektakel, das schon Elvis, den Beatles und den Rolling Stones den großen Durchbruch in den Staaten vermittelte. Zenit des ersten Jahres wurde Santanas Auftritt beim dreitägigen Woodstock-Festival.

Abraxas erobert die Welt

Ende der 60er Jahre brach in „den Staaten ein Hesse-Fieber ungeahnten Ausmaßes aus: Ein rätselhafter Roman namens ,,Demian“ hatte es der amerikanischen Jugend angetan: „Wir standen vor ihm, und die Anstrengung ließ uns von innen heraus erschauern. Wir befragten das Bild, beschimpften es, liebten es, beteten es an; wir nannten es Mutter, schalten es Dirne und Hure, nannten es Geliebte, nannten es Abraxas…“ Dieses Motto ließen Santana auf dem Cover ihrer zweiten Platte abdrucken. Musikalisch setzten sie auf dieser Scheibe den mit ,,Santana I“ begonnenen Weg fort. Das Konzept wurde jedoch diesmal dadurch erweitert, daß für die Kompositionen unterschiedliche Mitglieder der Band verantwortlich zeichneten. So stammte der die Gitarrenstimme vielfach variierende ,,Samba Pa Ti“ von Carlos, der zweite spanische Titel „Se A Cabo“, ein Stück, das Santanas Percussionsbatterie mit schwierigen Polyrhythmen glänzen läßt, stammt bezeichnenderweise von Jose Chepito Areas. „Hope You’re Feeling Better“ mit deutlichen Rhythm & Blues Anklängen schrieb der Amerikaner Gregg Rolie. „Singing Winds – Crying Beasts“ (M. Carabello) ist eine akustische Naturschilderung, die Santana zunächst noch unbewußt in die Nähe des Free Jazz bringt. Carlos Santana sagte über die Arbeit an diesem Album. „Wir sind uns darüber im Klaren, daß jeder in der Gruppe über ein ihm eigenes Talent verfügt, das die anderen nicht besitzen. Deshalb hören wir einander genau zu und versuchen, auf diesem Weg gute Musik zu machen. Es soll Musik sein, die jeder versteht.“ Die Musik war gut, sehr gut, mehrere Singles wurden ausgekoppelt und stiegen kometengleich in Spitzenpositionen der Hitlisten. Wie „Santana I“ wurde auch dieses Album vergoldet. Über 500 000 Dollar flössen der Gruppe allein aus den Verkäufen von „Abraxas“ zu. Dennoch war es mehr als nur musikalisches Gespür, das Carlos bewog, für dieses Album einen Titel vom „Fleetwood Mac „-Gitarristen Peter Green aufzunehmen. „Black Magic Woman“ verwandelte Santana in eine elegante Cha-Cha-Cha-Nummer und gab als Grund für die Adaption des Songs an, daß er „Peter Green sehr verehre.“ Drogen, Groupies und allgemeine Hetze bestimmen von nun an den Alltag der Gruppe, die aber gleichzeitig von Kritikern in aller Welt mit höchstem Lob bedacht wird. Die „Times“ vergleicht Santanas ekstatische Rhytmus-Collagen, die die „Live“-Auftritte beherrschen, mit dem „epochalen Cuban-Jazz-Big-Band-Sound“ von Dizzy Gillespie Ende der vierziger Jahre. Das „Time Magazine“ schreibt: „Santana hebt ab wie eine Poseidon-Rakete und explodiert über einem Meer der Mittelmäßigkeit. Allerdings wirkt die Gruppe auf der Bühne mitunter auch ,ausgepowert‘, verrennt sich in endlosen Improvisationen: „So wie Methedrin einen Rausch ohne Bilder erzeugt, offeriert Santana manchmal einen aufregenden Rock-Stil ohne Substanz“ („Rolling Stone“).

Man kann sich auf niemanden verlassen“ – „Nobody to depend on“

Den Mangel an Inspiration führte die Gruppe auf zu ausgiebiges Touren zurück. Man war genervt, in England und auf dem Kontinent hatte es während der Konzertreise Ende ’71 böse Kritiken gegeben, weil Carlos keine persönlichen Worte ans Publikum richtete und auch keine Song-Ansagen machte. Erstmals wurde diskutiert: Sollte man sich zeitweilig trennen und nur zu Plattenaufnahmen und einigen wenigen Konzerten zusammenkommen? Die Fragen lösten sich dann aber doch in Wohlgefallen auf. Die Aufnahmen zum dritten Album begannen nämlich, sobald Carlos einen neuen Musikerhaufen überredet hatte, mitzumachen. Ein neuer Gitarrist namens Neal Schon kam auf Empfehlung Eric Claptons dazu, und die Gästeliste der auf dem „Third Album“ Mitwirkenden las sich wie das Telefonverzeichnis von Madrid: Ochoa, Reyes, Gasca, Escovedo; exotische Namen zentralamerikanischer Studiomusiker, die auf diesem Album Santanas Sound reichlich mit Jazz-Elementen erweiterten. ,,Guajira“, ,,Taboo“, „Toussaint L’Overture“ sind ausgereifte Jazz-Rock-Kompositionen. Auf „Everybody’s Everything“ spielten die Bläser von „Tower Of Power mit. Nichtsdestotrotz brach die Gruppe nach diesem Album auseinander: Der größte Teil der Bandmitglieder war nicht mehr bereit, mit Carlos zusammenzuspielen. Sie gründeten eine neue Form namens „Azteca“. Carlos zog sich für eine Weile zurück: er lernte ein Mädchen kennen. Sie hieß Urmila und wollte bald ein vegetarisches Restaurant eröffnen. Carlos war begeistert, er sehnte sich nach Ruhe, gesunden Leben, Ausgeglichenheit. Im April 1973 heirateten die beiden. Im September des gleichen Jahres eröffneten sie ihr „Dipti Nivas Vegetarian Restaurant and Natural Food Store“ im hügeligen Vorstadtgebiet San Franciscos. Der indisch klingende Name kommt nicht von ungefähr: In der Zwischenzeit hatten sich wichtige Dinge ereignet.

Klänge werden zu Licht

Nach einem Konzert mit Buddy Miles, das in dem riesigen Diamonad Head Kraterkessel auf Honolulu (Hawaii) stattgefunden hat zog es Carlos an die Ostküste. Während das weniger gelungene Album „Carlos Santana/ Buddy Miles – Live!“ abgemischt und veröffentlicht wurde, stellte Santana eine neue Band zusammen. Dong Hayward Ranch (Bass), Armando Peraza (Congas), Richard Kermode (Keyboards), Tom Coster (Keyboards). Da das „Azteca“-Experiment abgeblasen war, standen aber auch Areas, Shieve, Schon und Rolie wieder zur Verfügung, so daß die Aufnahmen für „Caravanserai“, das vierte Album der Band, beginnen konnten. – Auf dieser Scheibe zeigte sich, welch gute Ergebnisse geistige Erneuerung zeitigen kann. Daß „die Klänge zum hellsten Licht werden, das Licht aber zur unendlichen Freude führt“, waren die Erkenntnisse, die Carlos und andere Mitglieder der Band aus der Beschäftigung mit hinduistischer Literatur zogen. Gepaart mit der „Blutauffrischung“, die die Band durch die neuen Musiker bekam, War dies die Grundlage zu einer „Konzeptmusik“, wie sie Santana zuvor noch nicht hatte verwirklichen können. Chepito Areas hatte noch eine zweiten Congfaspieler mitgebracht (James Mingo Lewis), dessen Spezialgebiet, genau wie die Vorliebe des bald fünfzigjährigen Kubaners Peraza, in Richtung Jazz ging. Den transtendierenden Gedankengängen („Eternal Caravan Of Reincarnation“, „Waves Within“) entsprach die sehr freie musikalische Form des Albums, das nach „Third“ wieder eine logische Fortsetzung darstellte.

Mahavishnu und der Guru

Carlos war froh, daß aus „Santana mehr geworden war als nur die Antwort der Rockmusik auf ,Herb Alperts Tijuana Brass‘ „. Dennoch war er innerlich noch immer unzufrieden, fühlte sich verraten und verkauft. Verloren in materialistische Ansprüche. Während eines Konzertes in der Londoner „Royal Albert Hall“ schockierte er das Publikum mit dem Ausruf: „Ich bin eine Hure“ und bekräftigte damit seine früheren Ängste, die sich in dem Hesse-Zitat auf „Abraxas“ widergespiegelt hatten. Der Zufall wollte es, daß Carlos bald darauf auf John McLaughlin alias Mahavishnu traf, den er als Musiker und Mitglied von „Tony Williams Lifetime“ schon lange kannte und bewunderte. Der Jazzgitarrist – damals auf dem Höhepunkt der Popularität – schlug Carlos nicht nur eine musikalische Zusammenarbeit vor, sondern machte ihn auch mit „dem Quell meiner Kraft, meinem geistigen Führer“, dem ceylonesischen Guru Sri Chinmoy bekannt. Das Treffen machte großen Eindruck auf Carlos. Er machte sich die Lehre des Gurus zu eigen, schwor Alkohol und Drogen, Zigarettenkonsum und tierischer Nahrung ab. Er schor sich zum Zeichen seiner geistigen „Erweckung“ die Haare, er legte sogar die Hippie-Klamotten ab, um sich fürderhin nur in ordentlichen Kleidungsstücken von reinstem Weiß sehen zu lassen, die die wiedergewonnene Unschuld symbolisierten. Weiß war auch die Farbe des Covers der neuen LP „Welcome“ die die gleichnamige Komposition des Alt-Jazzers Coltrane ebenso beinhaltete wie Herbie Mann’s „Mother Africa“. Man kann dieses Album, auf dem nun auch der Mahavishnu und andere Leute aus dessen Jazzerkreis mitwirkten, ohne Umschweife schwer zugänglichen Jazz-Rock nennen. Die Einflüsse reichen von John Coltrane und Herbie Mann bis zu Chick Corea, Gato Barbieri und Airto Moreira. Würdig vertreten ist letzgenannter auf diesem Album der „New Santana Band“ durch seine Vocalisten Flora Purim und Leon Thomas. Des weiteren arrangierte Alice Coltrane (die Witwe des Musikers) einen Song für die Band, „Gotaf Hinie“. Ein ebenso schwer verdauliches Album wie „Welcome“ nimmt Carlos noch im gleichen Jahr mit John McLaughlin auf. Es hat den bezeichnenden Titel „Love, Devotion, Surrender“ (Liebe, Demut und Unterwerfung) und soll nichts anderes als ein musikalisches Abbild der Lehre Sri Chinmoys sein. Der Guru, der zuvor seine Kunden über Anzeigen im New Yorker „Village Voice“ suchen mußte, konnte über mangelnde Nachfrage nicht mehr klagen: Mike Shrieve bekehrte sich ebenso zu ihm wie Alice Coltrane. Der Guru vergibt geheiligte Namen wie Schulzeugnisse an seine Jünger: Mahavishnu war der erste, nun dürfen sich Carlos, Mike und Alice „Deva Dip“ („Auge Gottes“), ,,Maitreya“ („Zärtliches Wesen“) und „Turiya“ nennen. Mit „Turiya“ nimmt „Deva Dip“ ein Album namens „Illuminations“ auf. Es beginnt auf Seite 1 mit einem langgezogenen „OOOOMMMM“, der alten indischen Zauberformel, und ist reine Meditationsmusik. Vorläufiger Endpunkt dieses recht zweifelhaften Musikschaffens im Namen des „Höchsten“ und der „Love Supreme“ ist „Borboletta“, das vorletzte Studioalbum von Santana. Auf dieser Scheibe zeigten sich aber auch schon neue Einflüsse. ,,Give And Take“ ist irdischfunky, die anderen Stücke aber noch überwiegend Jazz-orientiert.

Japan und ein neuer Anfang

1975 war Santana wieder auf Welttournee. In Japan wurde bei mehreren Konzerten mitgeschnitten und das Ergebnis als Dreier-Live-Album mit diesmal allein aufgrund des Aufnahmeortes fernöstlich angehauchten Namen „Lotus“ veröffentlicht. „Die Japaner sind ein phantastisches Publikum, das die Vibrationen unserer Musik am genauesten aufspürt“, sagte Carlos. Gemach, gemach, auch die deutschen Fans erfreuten sich ’75 an Live-Auftritten der Band. Aber gerade die Auftritte in Südamerika, die Santana ebenfalls im letzten Jahr absolvierte, bei denen es Aufstände gab wie sonst nur bei Fußballspielen, mögen der Gruppe eines gezeigt haben: daß nämlich ihre Stärke nicht in komplizierter Verfeinerung a la „Weather Report“ oder ChickCoreas ,,Refurn To Forever“ liegt, sondern in der Berufung auf die „Musik, mit der sie aufgewachsen sind“, wie Rolie es einmal nannte. Das intellektuelle Abdriften in galaktische Fernen scheint fürs erste vorbei, das Verhältnis Carlos Santana/Mahavishnu merklich abgekühlt. Zumal sich die Gerüchte häufen, auch er sei vom „Pfad“ des Gurus abgewichen, rauche und trinke Alkohol. Carlos beschäftigte sich auf Anraten alter Freunde wie Billy Graham mit aktueller Hitparadenmusik von Discosound bis 10 cc. – Das Ergebnis des ,.easy listenings“ ist die LP ,,Amigos“. „Dance, Sister Dance“, „Teil Me You AreTired“ und „Let It Shine“ sind heiße Nummern, wie man sie von Santana lange nicht hörte, „Europa“ brilliert mit einer Gitarre, wie sie Carlos seit „Samba Pa Ti“ nicht mehr gespielt hat. „Gitano“ mit einem rauhen, sehr authentischen Flamenco-Intro läßt förmlich die verqualmte Bodega spüren, den „vino tinto“ schmecken.  Santana sind heimgekommen, sind wieder das, was sie ganz zu Beginn waren: „Street Kids“, „ethnic group“ oder kurz: die Gruppe, die im Club um die Ecke, im spanischen Viertel San Franciscos, für ein paar Dollar auftritt. Nur daß es jetzt ein paar Dollar mehr sind…