Audienz beim Diktator
Während Ray Bonici im Londoner Büro von Rolling Stones Records geduldig auf seinen Einsatz wartet, tobt ein Stockwerk höher gerade ein erbitterter Kampf zwischen Mick Jagger und dem Interviewer vom New Musical Express.
Ray trifft ihn danach klein und schmächtig im Schneidersitz auf einem Sofa. Mick Jagger trinkt Bier und lacht wie eine Hyäne – vermutlich hinter dem Mann vom NME her… Für das folgende Gespräch reißt er sich jedoch freundlicherweise wieder zusammen. Ray Bonici hatte es mit ihm zwar nicht immer leicht, fand ihn jedoch enorm gesprächig. Nach einer Stunde beschließen die beiden, das Interview zu beenden, um kurz darauf noch eine weitere halbe Stunde aufzuzeichnen. Wir veröffentlichen hier die wichtigsten und interessantesten Passagen aus dem Interview mit Mr. Mick Jagger persönlich, den Ray Bonici (er ist immerhin Paul McCartneys hingebungsvollster Fan) nun für den „witzigsten und cleversten Mann im Musikbusiness“ hält.
Musik Express: Die wichtigste Frage zuerst: Warum hast Du Dir erst einen Vollbart wachsen lassen, um ihn dann wieder abzurasieren?
Mick Jagger: Wirklich wichtig, eh? Nun, ich ließ mir den Bart wachsen, weil es so kalt war. Und ich habe ihn abrasiert, weil so viele Vögel drin genistet haben. Das war einfach ekelhaft. Musik Express: Als Ihr die Aufnahmen für das Albumcover gemacht habt, hattest Du ihn jedenfalls noch. Eine interessante Sache, diese thermographische Fotografie. Ich habe gehört, daß ein französischer Fotograf sie gemacht hat.
Mick Jagger: Es war ein Arzt. Diese Art von Fotografie wird auch für medizinische Zwecke genutzt. Wir sind in seine Praxis gefahren. Der Raum muß richtig kalt sein, damit die Farben besser herauskommen. Mir kam die Idee, als ich Satellitenfotos von der Erde sah. Die Erde zeichnete sich in verschiedenen Farbfeldern ab, weil die einzelnen Regionen unterschiedlich warm sind. Deshalb dachte ich mir, versuch es mal mit Gesichtern. Deine Nase kommt dabei ganz in blau heraus, weil sie so kalt ist und das Herz in rot, weil es heiß ist. Wir haben von zwei Songs auch ein Video thermografisch herstellen lassen. Das ist ganz witzig.
Musik Express: Wenigstens haben wir endlich ein neues Album. Es ist immerhin zwei Jahre her, seit SOME GIRLS erschien. Hast Du eine Entschuldigung für diese Verzögerung? Es gab die Begründung, daß es an der Covergestaltung lag.
Mick Jagger: Nein. Das ist wirklich das erste Album, bei dem das Artwork vor der Platte fertig war. Ich habe keine Ausrede. Ich kann nur sagen, ,sorry, ich bitte dafür um Entschuldigung.‘ Ich weiß nicht, warum es so lange gedauert hat. Ich glaube, ich wollte einfach nichts tun. Wir waren nur faul.
Musik Express: Ist es schwer, den Enthusiasmus in der Band noch aufrecht zu erhalten?
Mick Jagger: Überhaupt nicht. Es ist ganz leicht, wirklich.
Musik Express: Sind Euch vielleicht die Songs ausgegangen?
Mick Jagger: Im Gegenteil! Ich habe in der Tat sehr viel geschrieben und ungeheuer viel aufgenommen… viel zu viel. Anstatt nur mit zehn Songs ins Studio zu gehen und die aufzunehmen, haben wir ungefähr 40 eingespielt und 25 auch fertig produziert. Dann mußten wir zehn davon aussuchen, das war schwer genug. Wir haben einfach weiter aufgenommen und vergessen, das Album herauszubringen. Aber mir ist die Zeit gar nicht so lang vorgekommen.
Wir sind außerdem erst vergangenen Sommer ins Studio gegangen. Wir haben drei oder vier Monate in Paris mit Aufnahmen verbracht. Das Abmischen hat wieder länger gedauert. Alles, was ich weiß, ist, daß ich immer verrückter wurde, je mehr Zeit verstrich. Ich sah überhaupt kein Land und jeder schien abzuschaffen. Ich weiß nicht warum. Aber ich sehe keinen Grund, warum das nächste Album nicht schneller draußen sein soll.
Musik Express: Ist das ein Versprechen?
Mick Jagger: Das ist es, denn wir haben eine Menge Songs übrig und außerdem noch einige gute Demos. Wir könnten nächste Woche ein neues Album veröffentlichen. Das gilt jetzt für diese Album-Session, aber wir haben noch eine Menge halbfertiger Songs von den SOME GIRLS-Aufnahmen. Gewöhnlich lassen wir die Songs nur halbfertig, die wir für die jeweilige LP nicht benutzen, aber diesmal haben wir noch fertig produzierte Titel und die sind gut. Es gibt also keinen Grund, warum das nächste Album nicht, sagen wir mal, im Februar 1981 herauskommen soll.
Musik Express: Die Stones haben noch nie ein Versprechen gehalten. Seit 1974 gab es nur drei Studio-Alben. Das ist nicht viel in sechs Jahren. Aber vielleicht fällt Euch das nicht auf.
Mick Jagger: (ziemlich ruhig) Nein, in der Tat nicht. Was war 1975? Da muß doch was gewesen sein.
Musik Express: Nun, seitdem gab es ungefähr vier Sampler und ein Live-Album.
Mick Jagger: Naja, das Live-Album hat genauso viel Arbeit gemacht wie eine Studio-LP. Ok, wir haben nicht so viele Platten gemacht, wie wir vielleicht sollten. Eine im Jahr müßte schon sein. Ich hoffe, das passiert nicht wieder.
Musik Express: Ihr habt das Album in Paris und auf den Bahamas aufgenommen…
Mick Jagger: Eigentlich haben wir alles in Paris eingespielt. Wir versuchten es mal in Chris Blackwells Studio in Nassau, zwei Wochen lang, aber es hat uns dort nicht gefallen. Wir haben nichts von dem verwendet, was wir dort fabriziert haben. Paris hat ein großes Studio. Ich ziehe große Räume vor, der Sound ist besser. Ich mag keine kleinen Räume, da bekomme ich Klaustrophobie (lacht). Du kannst in engen Räumen nicht herumspringen. Trotzdem, ich habe in dem Haus auf den Bahamas eine Menge Songs geschrieben.
Musik Express: Gibt es einen bestimmten Grund, warum „Emotional Rescue“ als Single ausgewählt wurde?
Mick Jagger: Nein. Ich glaube, das ist wirklich die Entscheidung der Leute, die das Album hörten. Möglich, daß einige einen anderen Titel vorziehen. Mir gefällt’s, aber andere Titel find ich genau so gut. „Dance“ zum Beispiel, das wird unsere nächste Single. Aber mir ist es egal, welcher es ist, solange er irgendwo gespielt wird.
Musik Express: Einen Song wie „Emotional Rescue „habt Ihr lange nicht mehr gemacht. Wie ist er entstanden?
Mick Jagger: Der Track ist ein wenig seltsam. Ich habe den Song am elektrischen Piano geschrieben und von Anfang an auch in diesem Falsetto gesungen. Es fing an mit mir am Piano, Ronnie am Baß und Charlie am Schlagzeug. Danach haben wir das Saxophon hinzugefügt. Es ist also nicht direkt die Band, die da spielt.
Musik Express: Das Falsetto ergänzt sich gut mit dem Text. Hat es Dir Schwierigkeiten bereitet?
Mick Jagger: Ich singe Falsetto seit unserer zweiten LP. Ich schreibe die meisten Songs so, weil ich meistens irgendwo sitze, wo es nicht besonders ruhig ist, und ich kann nicht so laut singen. Diesmal habe ich es so gelassen, normalerweise ändere ich’s. Es macht mir Spaß, mit den Vocals herumzuspielen, das ist bei mir schon Tradition.
Musik Express: „Dance“ kommt im üblichen Stones-Sound, aber es hat einen leichten Disco-Einfluß wie schon „Some Girls“.
Mick Jagger: Man hat gesagt, daß wir auf SOME GIRLS total auf Disco abgefahren wären. Das ist Blödsinn. Ich meine, „Satisfaction“ hatte einen ähnlichen Beat und hatte auch nichts mit Disco zu tun. Wir spielen einfach was wir wollen, und wenn es zufällig in einen bestimmten Stil mündet, dann ist das in Ordnung. Wir richten uns nicht nach der neuesten Mode in der Musik.
Musik Express: Ihr seid vielleicht beeinflußt von dem, was Ihr hört, und übernehmt dann, was gut ist.
Mick Jagger: Yeah. Ich höre in der Tat viel Radio und meistens beeinflußt dich das im Unterbewußtsein und findet sich in deinem eigenen Stil wieder.
Musik Express: Es gibt auf diesem Album keine Cover-Versionen, was neu ist für die Stones, weil Ihr normalerweise auf Jeder LP eine habt.
Mick Jagger: Wir haben nur so aus Spaß pro Album eine Cover-Version gemacht… um Abstand zu den eigenen Songs zu gewinnen. Du kannst damit machen was du willst. Du kannst einen fremden Song anstelle deines eigenen ruinieren…
Musik Express: Schreibst Du immer noch die meisten Texte und Keith hauptsächlich die Musik?
Mick Jagger: Als wir anfingen haben wir das getrennt. Heute vermischt es sich. Ich komponiere ziemlich viel und Keith textet eine Menge. Es gibt Songs, die ich schrieb; es gibt Songs, die er schrieb.
Musik Express: Ich hatte den Eindruck, daß Keith die treibende Kraft hinter der Stones-Musik war.
Mick Jagger: Nicht unbedingt. Es war so, aber heute, wie gesagt, ist es unterschiedlich. Es gibt Songs, die jeder für sich schreibt. Aber wir haben keine Lust das so aufzugliedern, weil es zu kompliziert wird.
Musik Express: Das hört sich sehr demokratisch an.
Mick Jagger: Es ist demokratisch, es ist aber auch sehr einfach. Andernfalls würden wir uns möglicherweise darum streiten. Das ist so nicht nötig. Sieh mal, du kannst einen Song durch das Arrangement völlig verändern. Es kommt also nicht nur auf die Originalkomposition oder die Originaltexte an. Schon wenn du einen Song verlangsamst, verändert er sich völlig.
Musik Express: Na gut. Du sagst also, alles läuft unter Jagger/Richards. So ist es also möglich, daß Billy Preston einen Teil von „Miss You“ schrieb und dafür keinen credit erhielt.
Mick Jagger: Nicht unbedingt. Das meine ich nicht. Jeder, der neben Jagger/Richards etwas geschrieben hat, bekam seinen credit Ronnie bei „Dance“ zum Beispiel, weil er einen Teil davon geschrieben hat. Musik Express: Ich weiß nicht, ob das stimmt, weil sich verschiedene Leute schon deswegen beklagt haben. In einem Interview meinte Mick Taylor, daß er bei zwei Titeln („Moonlight Mile“, „100 Years Old“) nicht vermerkt wurde.
Mick Jagger: Möglicherweise hat er mir dafür nicht genug geschrieben. Aber die Leute maulen immer, wenn sie eine Band verlassen.
Musik Express: Geht es bei den Stones Deiner Meinung nach heute demokratischer zu?
Mick Jagger: Soviel ich weiß, war es nie demokratisch. Jeder hat eine Stimme, aber die Stimmen einiger Leute zählen eben mehr als andere, (lacht).
Musik Express: In den Augen der Öffentlichkeit erscheinen Jagger & Richards ziemlich diktatorisch. Sie wollen alles für sich. Ihre Kompositionen…
Mick Jagger: Keiner außer uns schreibt. Ronnie schreibt pro Jahr einen oder zwei Songs.
Musik Express: Schreiben Charlie und Bill nichts?
Mick Jagger: Sie schreiben überhaupt nichts. Also was willst du machen?
Musik Express: Sie bieten wirklich keine Songs an?
Mick Jagger: Nein, sie bieten nichts an.
Musik Express: Weil ihre Sachen sowieso abgelehnt werden, möglicherweise?
Mick Jagger: Ich meine, sie schreiben schon Songs, aber sie haben kein Interesse daran, sie anzubieten. Der alte Charlie schreibt überhaupt keine. Bill gelegentlich.
Musik Express: Wieviel Spaß habt Ihr heutzutage überhaupt noch daran, LPs aufzunehmen und aufzutreten? Auf das Geld seid Ihr ja wohl kaum angewiesen.
Mick Jagger: Wir brauchen schon jeder etwas.
Musik Express: Ach komm! In Eurer Situation kann es Euch ja kaum ums Geld gehen.
Mick Jagger: Doch, wir brauchen alle ein wenig Geld, aber darum geht es dabei nicht. Wir haben Spaß daran, sicher!
Musik Express: Den Stones fehlt heute ein guter Techniker… sie brauchen einen technisch guten Gitarristen. Kritiker bemerken schon seit geraumer Zeit, daß die Band in der Beziehung ziemlich schwach ist.
Mick Jagger: Erwarte nicht von mir, daß ich das Loch stopfe! (lacht) Ich könnte einen von ihnen feuern. Du meinst, sie spielen nicht gut genug? Du meinst im Grunde, daß sie nicht genug Soli spielen, oder? Willst du das damit sagen? Ich meine, das habe ich vorher noch nie gehört. Manchmal denke ich genauso, aber ich kann im Moment eigentlich nichts daran ändern. Ich meine, sie sollten ausgewechselt werden. Oder meinst du, daß noch jemand dazukommen sollte? Yeah, ein dritter!
Musik Express: Ich weiß es nicht. Nimm einen dritten Gitarristen, oder schmeiß einen raus. Oder erklär es ihm.
Mick Jagger: Ich glaube nicht, daß sie jetzt noch ihren Stil ändern könnten. Meinst du jemanden wie McLaughlin?
Musik Express: Nicht unbedingt den Stil, aber…
Mick Jagger: Er ist ganz gut. Ich steh wirklich auf ihn. Er spielt gut.
Musik Express: Nun, Wayne Perkins beispielsweise, der schon mal mit Euch gespielt hat, war gut.
Mick Jagger: Wer? Ach so, aber nur auf einem Track.
Musik Express: Das macht nichts. Er hat aber etwas daraus gemacht. Ebenso Harvey Mandell!
Mick Jagger: Er ist ein guter Gitarrist. Ich arbeite gern mit Musikern wie ihm. Es ist schön, wenn du andere Leute anheuern kannst, die für dich spielen, aber da ist nun mal das line up der Gruppe und so sieht es zur Zeit aus. Es liegt vielleicht etwas außerhalb meiner Reichweite, dazu etwas zu sagen.
Musik Express: Das weiß ich nicht, denn immerhin mußt Du als Produzent schließlich wissen, worauf Du hinauswillst.
Mick Jagger: Yeah, manchmal kannst du jemanden dazunehmen, aber jetzt wollte ich keinen zusätzlichen Gitarristen.
Musik Express: Wenn Du Dir SOME GIRLS anhörst gibt es da einige Soli…
Mick Jagger: Und die sind nicht gut genug, wie Du meinst?
Musik Express: Das trifft auch auf das Live-Album zu. Und auf das neue EMOTIONAL RESCUE. Da gibt es nur so ein Teeny-Solo und das ist furchtbar. Ich dachte mir, daß die Stones sich dieser Schwäche bewußt sind und es darum auch nicht wagen würden, auf dem neuen Album irgendein Solo zu spielen.
Mick Jagger: Kann sein. Ich mache mir darüber aber keine Gedanken. Du solltest Dich mit Keith oder Ron darüber unterhalten.
Musik Express: Was ist wahr an der Meldung, daß Bill die Stones verlassen will? War das ein Scherz?
Mick Jagger: Ich glaube nicht, daß es ein Spaß war. Es scheint ihm damit ziemlich ernst zu sein. Ich akzeptiere das. Es macht mir nichts aus.
Musik Express: Hat er mit Dir darüber gesprochen?
Mick Jagger: Nicht bevor er es verkündet hat.
Musik Express: Und danach? Hast Du ihn angerufen und gefragt, was das soll?
Mick Jagger: Yeah, und er war irgendwie ziemlich unverbindlich. Daraus schließe ich, daß er es ernst meinte.
Musik Express: Wäre es Dir egal, wenn Bill oder Charlie die Band verlassen würden?
Mick Jagger: Nein, nicht ganz. Ich glaube nicht, daß Charlie geht. Darum ist das eine hypothetische Frage. Aber wenn Bill die Band verlassen will, ist das ok, was mich betrifft. Ich bin nicht… ich meine, was kann ich tun?
Musik Express: Mit ihm reden und ihn überzeugen vielleicht…
Mick Jagger: Ich weiß nicht. Das kann man nicht. Wenn jemand aus einer Band aussteigen will, tut er’s einfach. Du kannst ihn nicht davon abhalten.
Musik Express: Du kommst nicht besonders gut mit Bill aus, oder?
Mick Jagger: Nein, das ist es nicht. Wir beide haben nur eine unterschiedliche Einstellung zu den Dingen. Wir denken anders darüber. Wir pflegen auch einen völlig anderen Lebensstil. Das ist alles.
Musik Express: Bill nannte als Grund, daß er mittlerweile 42 ist und sich nicht in der Rolle des mittelalterlichen Rock ’n ‚Rollers sieht.
Mick Jagger: Well, wie auch immer, das ist sein Problem.
Musik Express: Er sagte, die Stones sollten abtreten, bevor sie sich lächerlich machten. Sie sollten aufhören, solange sie noch ganz oben sind.
Mick Jagger: Wenn er so denkt, ist es in Ordnung. Er ist acht Jahre älter als ich, darum fühlt er da offensichtlich anders. Wenn ich in dem Alter sein werde, werde ich die Dinge sicher auch anders sehen. Aber im Moment kann ich das noch nicht nachempfinden.
Musik Express: Hast Du eventuell die Absicht, nach England zurückzukehren, jetzt, da die Steuern wieder niedriger sind?
Mick Jagger: Nein, ich mag hier nicht die ganze Zeit leben. Ich könnte es nicht. Ein paar Monate, das reicht. Dann verbringe ich drei oder vier Monate in Amerika, die restliche Zeit reise ich. Musikalisch ist es hier natürlich interessanter, viel interessanter als in den Staaten.
Musik Express: Ich hörte, daß einer der Gründe, warum Du England nicht magst, die hiesigen Revolverblätter sind.
Mick Jagger: Ja, das ist einer der Gründe. Ich kann nicht darauf.
Musik Express: Bereitet es Dir Schwierigkeiten, Dein Image vom Privatleben zu trennen?
Mick Jagger: Nein, weil jeder in verschiedenen Situationen unterschiedliche Charakterzüge zeigt. Es ist ein Unterschied, ob du abends weggehst, oder ob du bei der Arbeit bist. Aber wie du weißt, habe ich immer mit Musik zu tun, und so ist es für mich möglicherweise ein wenig schwieriger, bei verschiedenen Gelegenheiten unterschiedliche Wesenszüge zu offenbaren. Ich habe nie etwas anderes getan, als in einer Rock’n’Roll Band zu spielen, zum Glück! Aber die Leute neigen dazu, deine Persönlichkeit mit deinem Image zu verzerren. Ich bin sicher, daß du das schon mal irgendwo gehört hast.
Musik Express: Du scheinst ziemlich seriös geworden zu sein. Irgendwie hast Du es geschafft, Dich aus Unannehmlichkeiten herauszuhalten.
Mick Jagger: Nun, ich habe irgendwie versucht, mich rauszuhalten, weißt Du.
Musik Express: Keith und Ronnie wurden beide im vergangenen Jahr festgenommen. Versuchst Du, ein gutes Image zu erhalten, um das auszubalancieren?
Mick Jagger: Ja, so ist es wirklich. Ich meine, ich kann aus all dem mich raushalten. Ich kann mich unheimlich daneben benehmen, aber ohne wirklich irgendwo hineinzugeraten. Und ich will auch nicht mehr festgenommen werden. I don’t want to get busted! Es ist so langweilig, ich habe das alles mitgemacht. Ich bin fertig damit.
Musik Express: Die Zeitungen schreiben sowieso nie darüber, wenn Du gute Taten vollbringst und beispielsweise Geld für wohltätige Zwecke spendest. Die Leute lesen nur, daß Mick Jagger schon wieder einen Fotografen verprügelt hat.
Mick Jagger: Wir verprügeln Fotografen nur, wenn sie wirklich unverschämt werden. Aber das ist doch ein faires Spiel, findest du nicht auch? Das ist doch nicht so, als ob du eine alte Frau schlägst. Es macht mir nichts aus, Fotografen auf der Straße anzubuffen. Manchmal bringt das wirklich Spaß, solange du gewinnst jedenfalls! Ich habe da jetzt eine neue Methode, die es viel leichter macht. Es ist ja immer Nacht, wenn die Fotografen hinter mir her sind. Dann brauchst du nur noch den Blitz einschlagen. Du sagst einfach: Laß mich mal die Kamera sehen. Dann zeigen sie dir den Apparat, weil sie glauben, du interessierst dich dafür. Dann brauchst du nur das Blitzgerät zu nehmen und zu zerbrechen. Das ist nicht so teuer als wenn du die ganze Kamera zerstörst.
Musik Express: Da hast Du eine neue Technik entwickelt.
Mick Jagger: Eine Technik, den Blitz zu ergattern. Du zerbrichst das Glas, indem du das Ding gegen die Wand schmeißt. Früher habe ich immer die ganze Kamera zerstört oder den Film belichtet. Ich bin erst jetzt darauf gekommen.
Musik Express: Es ist bekannt, daß Du nicht nur Musiker, sondern auch sehr geschäftstüchtig bist. Wie Business-orientiert bist Du wirklich ?
Mick Jagger: Geschäfte interessieren mich, sofern sie mich betreffen. Ich bin aber nicht daran interessiert, mehr und mehr Geld zu machen und auch nicht am Geschäftsleben aus reinem Selbstzweck. Ich will nur keine Probleme haben. Wenn du neue Verträge machst, sie werden alle vier Jahre erneuert, will ich nur sicher gehen, daß sie in Ordnung sind. Das ist alles.
Musik Express: Hast Du die Absicht, irgend jemanden für das Rolling Stones-Label unter Vertrag zu nehmen?
Mick Jagger: Da sind zwei Leute, die wir vermutlich unter Vertrag nehmen, aber ich weiß nicht genau, wie es weitergeht. Unser Label ist nicht direkt lebensfähig, darum will ich im Moment niemanden einkaufen. Wir bekommen viele Bänder. Wir hatten auch ein Tape von den Specials, aber ein Vertrag mit ihnen wäre aus besagten Gründen nicht fair gewesen.
Musik Express: Ihr habt eine riesige Promotion für Peter Toshs „You Gotta Walk“ betrieben und es wurde ein Flop. Hat Euch das entmutigt?
Mick Jagger: Nein, das war sowieso nur zum Spaß. Ich habe nicht daran geglaubt, daß es ein großer Hit würde. Das Album hätte mehr verkaufen können, aber es verkaufte so schon dreimal soviel wie seine vorige LP.
Musik Express: Und was ist mit einer Tournee? Wann beabsichtigt Ihr, auf Tournee zu gehen?
Mick Jagger: So in der Zeit September/Oktober. Wir gehen diesmal nur nach Europa und Australien, weil wir da lange nicht mehr gespielt haben.
Musik Express: Was ist mit dieser groß angekündigten China-Tour? Viele meinen, das sei nur ein Publicity-Gag.
Mick Jagger: Das war es nicht. Ich meine, es mag vielleicht nicht stattfinden, weil es sehr schwer ist, in China zu arbeiten. Das Publikum dort ist anders als in Rußland. Wir haben da zwar noch nicht gespielt, aber wir haben dort unser Publikum. So wie die politischen Dinge dort im Moment liegen, sehe ich auch keine Chance für uns, dort aufzutreten. Aber die Chinesen scheinen an westlicher Rockmusik interessiert zu sein, obwohl sie nicht wissen, was das ist. Ich weiß also nicht, was passiert. Ich werde dort irgendeine seltsame Show zeigen, anders als hier im Westen. Ich nehme vielleicht Tosh mit.
Musik Express: Du willst sie nicht schockieren.
Mick Jagger: Nein, aber eine Show mit Lichtern würde ihnen gefallen. Das würden wir hier nicht bringen. So werde ich tatsächlich von der Show einer jeden Rockband etwas klauen, weil die Chinesen bisher noch keine gesehen haben.
Musik Express: Hast Du daran gedacht, ein Solo-Album aufzunehmen?
Mick Jagger: Yeah, ich werde eines herausbringen. Wenn keiner in ein paar Monaten Lust hat ins Studio zu gehen, werde ich gehen und es einmal versuchen. Ich habe eine Menge alberner Songs, die die anderen wahrscheinlich nicht mögen, darum werde ich sie veröffentlichen. Egal, es ist eine Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, die ich mit den Stones nicht machen könnte. Da gibt es endlos viele Möglichkeiten.
Musik Express: Wie lange willst Du dem Hock’n’Roll noch erhalten bleiben?
Mick Jagger: Ich weiß nicht. Ich habe mein ganzes Leben mit Rock’n’Roll verbracht, und Rock’n’Roll gehört definitiv zu den Dingen im Leben, die du nicht so einfach hinter dir lassen kannst. Darum weiß ich nicht, wie lange.
Musik Express: Und die Stones?
Mick Jagger: Einer der Gründe, warum wir noch dabei sind, ist der, daß wir noch am Leben sind. Ich weiß es nicht, aber laß uns mal sagen noch für eine lange, lange Zeit.