Herrlich kompliziert
Es gibt noch so viel anzutriggern: mouse on mars werden weiterhin am Rand des Chaos wandeln. Und wenn ihnen der falsche Bratenduft in die Nase steigt, geht die Fantasie mit ihnen durch.
Wenn er Diktator wäre, sagt Jan St. Werner, würde er alle Songtexte verbieten lassen. Lyrics stünden unter Strafe. Und die ist drakonisch: Formatradio-Dusche in der alten Kantine des Funkhauses Berlin in der Nalepastraße – nicht unter drei Monaten! Eben weil er an diesen Formatradio-Sender, der hier in der Kantine des gigantischen ehemaligen DDR-Rundfunk-Komplexes endlos dudelt, denken musste, verfiel er seiner Allmachtsfantasie. Da läuft die Musik, die er auch schon mit 15 so unerträglich fand: Lovesongs, Wohlfühlsongs, Schmachtsongs, Songs mit klaren inhaltlichen Vorgaben – freie Assoziationen und Inspiration: unerwünscht. Werner sagt: „Musik mit Text ist dogmatisch und manipulativ“. Sie verhindere letztlich, dass jeder seine eigene Musik macht, behauptet er. Doch genau das ist es, was der Diktator Jan St. Werner erreichen möchte: In seiner Welt sollte Musik überall sein, gespielt von allen und allem. Keine Regeln. Bis eben auf die eine: Jede lyrische Ebene, die erklärt, was die Musik bedeuten soll und wofür sie steht, ist „absolut verboten“!
Andi Thoma schaut jetzt doch einmal hoch vom Laptop. Es ist so ziemlich das einzige Ding hier im Studiokontrollraum ihres Experimentalelektro-Duos Mouse On Mars, aus dem er in der vergangenen halben Stunde nicht irgendwelche Geräusche, Samples, Patterns, Beat-Bruchstücke herausgeholt hat. Das macht dann Jan, es ist sein Laptop. Andi mustert mich, sieht, dass ich das, was sein Kompagnon gerade aus seiner Fantasie in den Raum projiziert hat, noch immer nicht ganz verdaut habe – und interveniert. Sagt, mit gestellter Kümmermiene: „Jetzt schau doch mal! Was hast du denn wieder gemacht?“
Zugetextet hat Jan St. Werner mich. Jawohl! Nach allen Regeln der Kunst eines Musikers, der offensichtlich nicht anders kann, als über sein Tun immerfort zu philosophieren – und über das Wesen der Musik und der Kunst allgemein. Deshalb mag er nicht einmal den Begriff des „Musikers“ stehen lassen, wenn es um ihn und seinen Jugendfreund geht, die seit 20 Jahren miteinander Musik machen. Nicht nur auf inzwischen zehn Mouse-On-Mars-Studioalben, sondern z. B. auch mit Mark E. Smith als Von Südenfed und im vergangenen Jahr mit dem Orchester Musikfabrik. „Musiker“ sei doch einer, der ein Instrument beherrscht, auf „Bestellung“ etwas spielen könne, findet Werner. Mouse On Mars hingegen seien „eher so Leute, die darauf warten, dass irgendwas passiert – wir begleiten das, nehmen es zur Kenntnis, halten es fest“.
Also hat das Duo, das vor zwei Jahren mit seinem kompletten Studio von Köln nach Oberschöneweide in den Berliner Südosten gezogen ist, bis heute einfach nur sehr gut aufgepasst, zugehört und festgehalten was wert war, festgehalten zu werden? Nun, ihre Musik hört sich tatsächlich immer wieder genau so an. Dass kein falscher Eindruck entsteht: Die Tracks von Mouse On Mars sind meisterhaft durcharrangiert, egal, ob sie sich auf Intelligent Dance Music, Dub, Jazz, Postrock oder Indietronic beziehen, sich häuslich auf Metaebenen des Werks von Lee „Scratch“ Perry, Van Dyke Parks oder Moondog einrichten, den Krautrock entrocken oder Sinuswellen über einen Housebeat schicken. Und sie sind mit dem Fimmel und der Unnachgiebigkeit derer, die sie „Nerds“ oder „Bastler“ nennen, durchwoben von Ideen, gegenseitigen Bezügen und Assoziationen. Diese Musik spielt mit den Dimensionen wie mit den Erwartungen. Zuhörer = Alice. Mouse-On-Mars-Platte = Wunderland.
Doch gleichzeitig bilden die Tracks des Duos eben auch das Chaos des akustischen Materials ab, das uns umgibt und aus der Musik schließlich entsteht. Jan St. Werner sagt, dass er selbst immer wieder überrascht darüber sei, dass am Ende doch so etwas wie Musik herauskommt. Das ist im Fall von Mouse On Mars aber eben Ansichtssache: Als der Techniker, der ihr in diesen Tagen erschienenes Album Parastrophics mastern sollte, mit dem Material konfrontiert wurde, sei er überzeugt gewesen, dass das gar keine Musik sondern ein „information overflow in Ton“ sein soll, wie es Jan St. Werner beschreibt. „Da haben wir gesagt:, Nee-nee, das soll schon Musik sein – und das soll auch schön klingen! Schöne Lieder!'“
Das Ergebnis ist ein Kompromiss – an das neue Haus, bei dem Mouse On Mars ihr zehntes Album veröffentlichen: Monkeytown, das Label des Berliner Duos Modeselektor. Parastrophics ist „schmackiger“ im Sound, sagt Werner. Es wurde mehr auf Druck produziert und bolzt stellenweise ganz beträchtlich. Durch diesen Sound komme man allerdings auch „nicht mehr so gut in die Details rein“, die Platte sei „nicht so audiophil“. Mouse On Mars sind darüber allerdings nicht besonders betrübt. Einerseits wechselten sie – nach Veröffentlichungen für Too Pure, Domino, Thrill Jockey, Mick Pattons Ipecac Recordings und auf dem eigenen Label Sonig – ja ganz bewusst zu Monkeytown. Zum anderen sind ihre Tracks ohnehin im Fluss. Im Konzert geht es denen immer wieder an den Kragen. Beim „Pre-Listening“-Gig im Berliner Techno-Club Berghain demonstrierten sie zwei Tage zuvor aufs Nachdrücklichste: Mouse On Mars wandeln auch live am Rand des Chaos. Jan St. Werner: „Wir wollen eigentlich viel zu viel: Sachen übereinander schichten. Modulieren. Aufeinander reagieren lassen. Neue Klänge aufnehmen, resynthetisieren, zurückschicken in die Musik. Und das im Ping-Pong-Spiel. Und wenn wir mit Dodo, unserem Drummer, spielen, als Dreier-Ping-Pong.“ Das Berghain jedenfalls tobte.
Wohin der ganze Wahnsinn von Mouse On Mars noch führen soll? Weiter hinein in eine Musik, die in unseren Köpfen noch mehr antriggert, die uns überwältigt, fahren, fliegen lässt. Die Köpfe von Werner und Thoma gehören da natürlich dazu. Sie stecken jetzt auch schon wieder mittendrin. Mein Interviewtermin geht fließend in die Studioarbeit über. Für eine Compilation müssen sie noch einen Track fertig kriegen, der seit einiger Zeit unfertig auf der Festplatte liegt. Was da passiert, wenn Mouse On Mars Musik machen, will sich einem im ersten Eindruck kaum erschließen. Wenn man vom Chaos spricht … Tatsächlich klingt es, als geschehe hier etwas, dass sie eher begleiten als es zu steuern. Nun, ist anzunehmen, dass dies auch ein Monstertrack wird.
Die Sache mit seiner Diktatur hat Jan St. Werner dann übrigens wieder ein bisschen relativiert – schließlich gibt es ja auch auf ihren Platten gesungene Tracks, allerdings fungieren die Stimmen eher als weiteres Instrument. Vielleicht sei ihm unten in der Kantine einfach auch zu oft dieser ätzende Bratengeruch in die Nase gestiegen, meint er. Andi Thoma hat dazu ja vorhin schon gesagt: „Ich finde das ein bisschen extrem.“ Mit dieser lustigen Kümmermiene.
Albumkritik ME 3/12