Lianne La Havas
Stimme, Gitarre, Soul. Die Schnellstraße zu den Grammys führt durch die Indie-Welt.
„Prost“, grüßt Lianne La Havas von der Bühne des Heimathafen Neukölln und schwenkt die Pilsflasche. Der kongeniale Einstieg für ihren Song „Age“, der von der Beziehung zu ihrem Freund handelt, der sie schlecht behandelt und von seinem Nebenbuhler, der „alt genug ist, um ihr Vater zu sein“. Eine Konstellation wie aus dem Bilderbuch der deepen Soulmusik. Vorgetragen von einer 22-Jährigen, die allein mit ihrer Gitarre im Scheinwerferkegel steht. Das reicht völlig, um den Raum komplett auszufüllen.
Ein klassischer Fall von Wow-Effekt: Die kann was! Daheim in England hagelt es bereits große Vergleiche – und natürlich wird auch die Adele-Karte gespielt. Oberkorrekte Retro-Musik, mit der man 2012 Grammys abräumt. „Aber hey“, sagt die straßenerprobte Londonerin: „Meine Teenager-Zeit im Schulchor bedeutet nicht, dass ich in einem Museum aufgewachsen bin. Dort gab es Billie Holiday, draußen dann Dubstep oder Elektrosounds von Aphex Twin, Squarepusher oder Flying Lotus. Der eklektizistische Ansatz, du verstehst!“
Auf ihrem kommenden Debütalbum, auf dem Produzent Matt Hales (als Musiker besser bekannt unter dem Namen Aqualung) den zurückhaltenden Mark Ronson gibt, setzt La Havas dennoch auf einen klassischen Minimalismus. Gitarre, Piano, Stimme – die großen Experimente können warten. Stattdessen geht sie lieber auf Ochsentour, etwa mit Bon Iver im Nightliner quer durch Nordamerika. Oder sie setzt sich im Vorprogramm des Bombay Bicycle Club in Großbritannien ganz bewusst einem klassischen Jungsband-Publikum aus:. „Ich bin sehr froh darüber, wie viele meiner Kumpels gerade diese Mischung super fanden.“ Die Hektik des Pop scheint Lianne La Havas wichtig, wenn sie ihre Altersgenossen in weißer Bluse und ziegelrotem Glocken-Minirock mit der hohen Kunst des Songwritings konfrontiert. Gar zu gediegen soll’s dann doch nicht wirken. Prost! Ralf Niemczyk
* Seit Lianne La Havas ausgiebig auf Tour ist, fotografiert sie für ihren Blog regionale Gastro-Spezialitäten. Lieblingsentdeckung: Poutine in Montreal.
* Nach den Proben zur BBC-Show von Jools Holland hat sie Bon Iver spontan zu seiner US-Tour eingeladen.
* Die Männer in den Liebesdramen ihrer Songs haben bislang entspannt reagiert. Sagt sie.