Konzerte
Solange
Prince Charles, Berlin
Munteres Referenzbingo: Solange zeigt beim Clubkonzert, dass sie mehr als nur die kleine Schwester von Superstar Beyoncé ist.
Das Problem am „Prince Charles“ ist für die ersten Reihen ein Privileg: Die Bühne des Kreuzberger Clubs ist so verdammt niedrig, dass die Künstler manchen Zuschauern direkt ins Gesicht singen, andere wiederum überhaupt nichts sehen. Ein Setting, das traditionell für Unmut sorgt, so auch an diesem Abend. Solange Knowles weiß das. Und, ganz Profi, sie geht darauf ein. „Tanzt bitte einfach mit“, ruft sie denen entgegen, die sie nicht sehen.
Mindestens zweimal klappt das ganz hervorragend, so oft spielt die Amerikanerin nämlich „Losing You“, diesen riesengroßen Soul-Hit des vergangenen Herbstes. Ansonsten verharrt das Publikum im ausverkauften Club eher in einer sanft angegroovten Wartestellung, was daran liegen mag, dass nicht alle Songs die Prägnanz des Hits besitzen, die Inszenierung aber immer so ausgefuchst ist, dass das Konzerterlebnis angenehm bleibt. Verantwortlich dafür zeichnet nicht nur Dev Hynes (Blood Orange, Lightspeed Champion), der als ihr Produzent, musikalischer Direktor und Live-Gitarrist agiert, sondern auch der Rest der Band, etwa Chairlift-Mann Patrick Wimberly am Schlagzeug, ein enorm guter Bassist, und die beiden Background-Sängerinnen. Gemeinsam spielen sie mit den Optionen, zitieren erkennbar freudvoll von klassischem Motown über den Modern Soul der Mittsiebziger und Wave bis hin zum New Jack Swing der 80er-Jahre und Hipster-Pop der Brooklyn-Schule, der auch mal etwas ausfransen darf.
Ein smarter Schachzug, der Vergleiche mit der großen Schwester obsolet macht – das hier ist doch ein Stück weiter draußen. Aber auch ein guter Untergrund für Solanges Stimme, die nicht nur an Beyoncé, sondern auch an Janet Jackson zu Janet.-Zeiten erinnert. Erstaunlich ist dabei, dass sie es schafft, ihre Vergangenheit voll in das Set zu integrieren. Das vor elf Jahren von Pharrell Williams für sie geschriebene „Crush“, ein eher läppisches Teenpop-Stückchen, funktioniert auch in seiner 2.0-Version. Schade, dass das Konzert nach nur einer knappen Stunde vorbei ist. Doch sollte tatsächlich noch heuer das dritte Album erscheinen, werden wir Solange sicher wiedersehen – und dann in einem deutlich größeren Laden. Jochen Overbeck
Aimee Mann
C-Club, Berlin
Bescheidene Größe: Die Singer/Songwriterin lässt sich erstmals seit zehn Jahren wieder auf einer Berliner Bühne blicken.
Selbstvermarktung gehört nicht zu den Kernkompetenzen von Aimee Mann. Eine Songwriterin ihres Formats hätte man nach zehnjähriger Berlin-Abstinenz kaum in einem -allerdings knüppelvollen – 800-Zuschauer-Schuppen wie dem C-Club erwartet. Doch auch wenn Mann den durch den „Magnolia“-Soundtrack erworbenen Ruhm lässig ignoriert hat, bleibt Kontinuität ein entscheidender Faktor im Werk der 52-Jährigen, die mit umgeschnallter Gitarre, eng geschnittener Lederjacke und überdimensionierter Nerd-Brille den Typus der hageren, gut konservierten Intellektuellen verkörpert.
Die Stücke ihrer jüngsten Platte Charmer, denen sie im C-Club breiten Raum einräumt, hätten auf jedem ihrer Alben einen Platz finden können. Bemerkenswert ist ihr Können, komplexe Akkordfolgen und Dur/Moll-Verschiebungen ganz simpel klingen zu lassen. Wie verwinkelt die Melodien tatsächlich sind, merkt man erst, wenn man sie mitzusummen versucht. Manns dunkles Timbre und das sonore Brummeln ihrer Begleiter verschmelzen zum suggestiven Singsang mit spätbeatleskem Einschlag, der ein Markenzeichen ihres Songwritings ist. Ihre vierköpfige Band spielt dazu mit perfektem Timing und kollektiver Bescheidenheit. Animiert durch die begeisterten Zuschauerreaktionen, gerät Frau Mann in Plauderlaune: Vor „Living A Lie“, bei dem Support Ted Leo als Duettpartner den auf Platte verpflichteten Shins-Sänger James Mercer ersetzt, berichtet sie über die Genese des bitteren Beziehungsdramas.
Und vor der bebend intensiven Darbietung von „Save Me“ rechnet sie sarkastisch mit Phil Collins ab, der ihr 1999 den Oscar vor der Nase wegschnappte – und sich aus Scham zur Ruhe gesetzt habe. Austeilen kann sie also auch. Am Ende wirkt Aimee Mann regelrecht aufgekratzt, stellt ein ums andere Mal ihre Band vor, bedankt sich in radebrechendem Deutsch. Und stürzt sich als Zugabe in eine rustikale Version des Thin-Lizzy-Krachers „Honesty Is No Excuse“ von 1971. Da geht doch mehr, als man gedacht hätte. Jetzt soll sie uns aber bitte nicht wieder zehn Jahre schmoren lassen.
Jörg Wunder
Dagobert
Fluxbau, Berlin
Der Star von morgen? Dagoberts Sehnsuchtsschlager irritieren, kommen aber gut an.
Sie glaubt, so sagt eine Bekannte, diesen Dagobert einmal bei einem Überraschungsauftritt in der Pizzeria am Eck gesehen zu haben. Die Büronachbarin erzählt, er habe unlängst auf einer Privatparty gesungen, man habe mitklatschen müssen. Und jetzt steht er also an einem frühen Sonntagabend im „Fluxbau“, einem Veranstaltungsraum an der Spree. Im Hintergrund leuchtet ein Schild mit seinem Namen, anwesend ist die Jeunesse dorée der Hauptstadt, später legen Audiolith-DJs auf, irgendeiner von Bonaparte steht ebenfalls in der Facebook-Einladung.
Dagobert hat unlängst bei Buback Tonträger (Beginner, Deichkind, Die Goldenen Zitronen) unterschrieben, ein Major-Label möchte ihn angeblich zum Popstar aufbauen. Irritierend bei einem Typen, der vor allem wegen der musikalischen Untermalung – es kommt halt alles vom Band – zunächst an den Ironie-Schlagersänger Alexander Marcus erinnert. Aber rasch ist klar: Bei dem in Berlin lebenden Schweizer geht mehr. Sein Schlager ist einer, der zwar mit den schönsten Farben der Welt Harmonielandschaften an die Wand wirft. Doch Lieder wie „Morgens um halb vier“ wirken nicht so, als ob die Rechnung aufginge. Sie sind nicht nur Herz-auf-der-Zunge-Hymnen, sondern verzweifelte Gebete, in denen stets eine dunkle Vorahnung mitschwingt. Ganz so, als würde da ein dickes Ende kommen, die Welt bald in Trümmern liegen. Schunkelnd und mit großen Utopien in den Untergang, eine reizvolle Vorstellung. Jochen Overbeck
Yeasayer
C-Club, Berlin
Die Brooklyner erfinden sich Song für Song neu und lassen den Hipster-Radar dabei völlig außer Acht.
Gleich zwei Acts – der Lo-Fi-R’n’B-Solist Hush Hush und die belgischen Electropopper SX – machen das Publikum warm. Doch danach muss man lange den Bühnentechnikern bei ihrer Arbeit zusehen, bis endlich eine stolpernde Roboterstimme aus dem Off mit den Worten „Guten Abend Berlin“ davon kündet, dass es endlich losgeht.
Vor fünf Jahren wurden Yeasayer aus Brooklyn dank ihrer psychedelischen, eklektischen Weltmusik-Indie-Melange ALL HOUR CYMBALS zur Hipster-Band der Stunde. Dieser Konsens bröckelte beim poppigeren Nachfolger ODD BLOOD von 2010. Das dritte, eher düstere, elektronische Album FRAGRANT WORLD erschien im vergangenen Jahr und sorgte dann endgültig für enttäuschte Liebe bei den frühen Fans.
Davon, wie das aktuelle Album klingt, sollte man sich im Falle dieser Band vorm Konzertbesuch nicht beeinflussen lassen. Denn zum einen stecken unter der geglätteten Oberfläche immer noch kühne, sich langsam offenbarende Spielereien. Zum anderen wird live aus dem Sound dieser im besten Sinne eigentümlichen Kerle oft ein ganz anderer Stiefel.
Experimentierlustig präsentieren sich die freundlich und konzentriert aufspielenden Yeasayer auch bei diesem Konzert. Und auch, wenn ihr Publikum jünger geworden ist, wenn die meisten gekommen sind, um zu tanzen: Sie stehen dem abwechslungsreichen Set offen gegenüber.
Auf der Setlist sind alle Alben präsent. Alte Hits wie „Wait For The Summer“ oder „2080“ fügen sich erstaunlich stimmig in das neuere Material. Das nur als B-Seite veröffentlichte „Don’t Come Close“ verschmelzen Yeasayer zu einem Medley mit dem euphorischen „Madder Red“. Ein Überraschungs-Hit beim Publikum. Bei „Folk Hero Shtick“ lässt Anand Wilder die Gitarre kreischen. Die neuen Arrangements der Songs sind nicht nur ein roter Faden, der die auf Tonträgern so unterschiedliche Klangästhetik der drei Alben zu etwas Kohärentem verbindet. Sie sorgen zudem dafür, dass es auch alten Fans nicht langweilig wird.
Das futuristische Bühnenbild aus verspiegelten, geometrischen Elementen, in denen Videoprojektionen ablaufen, und die mit Chris Keatings Synthesizer gekoppelte Lichtshow passen gut zum Sound der Band. Dennoch achtet man kaum auf die schicke Kulisse – einfach weil es zu viel Spaß macht, dieser Band beim Musikmachen zuzuschauen.
All jenen, die bedauern, dass Yeasayer ihr gospelhafter Einschlag abhandengekommen ist, sei mitgegeben: Auf der Bühne verbinden sich die Stimmen der Kernmitglieder Keating, Wilder und Ira Wolf Tuton – neuerdings gehört auch Schlagzeuger Cale Parks fest zur Band – sogar bei der Umsetzung der vergleichsweise düsteren neuen Songs zu großartigen Harmoniegesängen. Egal, wie man zu ihrem aktuellen Sound steht: Live kann man mit dieser Band immer glücklich werden.
Stephanie Grimm
Abgefangen
Stimmen aus dem Publikum
Maggie, 29
„Ehrlich gesagt war ich nur so halb bei der Sache. Ich habe einen alten Bekannten getroffen und mich die ganze Zeit unterhalten. Ich finde die Band grundsätzlich gut. Aber heute klang mir das zu sehr nach den 80er-Jahren, das hat mich nicht so richtig mitgerissen.“
Ogan, 17
„Ich kannte die Band vorher gar nicht so richtig und wurde schön mitgenommen. Musikalisch war es beeindruckend – was die alles an Sounds in ihrer Musik unterbringen! Außerdem harmonieren sie total gut, sowohl was den Gesang als auch das Zusammenspiel angeht.“