Geheimtipp und Kotzreiz: So war es beim Spring Break Showcase Festival 2019
Vom 25. bis zum 27. April fand im polnischen Posen eines der größten Showcase-Festivals Osteuropas statt. Wir waren vor Ort und haben eine neue Lieblingsband gefunden.
Der Begriff Spring Break, der ja eigentlich nichts anderes als die studentischen Frühjahrsferien bezeichnen soll, ist längst zum Synonym für tagelange Sauf’n’Sex-Partys geworden, auf denen nordamerikanische Elitestudenten hemmungslos die Sau raus lassen, bevor sie im kommenden Semester wieder wohlgescheitelt an ihrer Jura-Karriere feilen.
Die schlechte Nachricht: Diese Art des besinnungslosen Exzesses findet auch in Europa bei immer mehr amerikanisierten Unter-Dreißigjährigen Gefallen. Egal, ob Student oder nicht – Hauptsache der preiswerte Alkohol fließt zwischen Adriaküste und Goldstrand in rohen Mengen.
Die gute Nachricht: Glücklicherweise teilt das Showcase-Festival in der polnischen Großstadt Posen nichts weiter als den plakativen Titel mit diesen armseligen Veranstaltungen.
Vielmehr treffen hier in Posen – übrigens eine Universitätsstadt, deren Stadtbild extrem von ihren über 140.000 Studenten geprägt wird – an diesem Wochenende polnische und internationale Newcomer, Geheimtipps und Schwellenbands, die noch auf den ganz großen Wurf warten, zusammen, um in und um die pittoreske Altstadt auf sich aufmerksam zu machen. So viel sei gesagt: Eine Band hat ihre Chance beim Spring Break Showcase definitiv genutzt.
Der Geheimtipp mit Lieblingsband-Potenzial: Giss
Von außen ein unscheinbarer, fensterloser, grauer Spritzbeton-Klotz, muss man an der massiv-metallenen Tür des Schrons seine Handykamera abkleben lassen. Dieses alte Werk nicht erkennbarer Vergangenheit scheint wohl das Berghain Posens zu sein – dieser Gedanke wird auch im Bauch des Clubs bestätigt: Vom dunklen, mit Tarnnetzen ausstaffierten Dancefloor gehen mehrere kleine äußerst spärlich beleuchtete Räume ab, das Publikum trägt überwiegend schwarz, viele von ihnen trotz immer noch 20 Grad Außentemperatur Fischermützen, an der Bar gibt es Fritz-Kola und eine unglaublich große Auswahl Mate-Limonaden.
Auf der Bühne steht jedoch weder ein polnischer Gesaffelstein-Verschnitt noch irgendein milchbübiges Soundcloud-Wunderkind, sondern ein recht traditionell instrumentiertes Quintett. Giss aus Breslau fangen verhalten an, vielleicht auch, weil sie wissen, dass sie eigentlich nicht wirklich in dieses Setting passen. Der Applaus nach den ersten beiden Songs ist eher höflich als überbordend, doch merkt man, dass dies nicht auf Dauer so bleiben wird. Zu smart ist der dekonstruierte Indie-Math-Rock, den die Band um Sänger Jakub Goleniewski ausbreitet.
In ihrer grundlegenden Struktur erinnern Giss an die ANTIDOTES-Foals (eher „Olympic Airways“ und „Heavy Water“ als „Cassius“ und „Two Step, Twice“), das Ineinandergreifen der drei Gitarren verortet sie wiederum im Post-Rock, aus dem sie die teils ins proggige abdriftenden Soli jedoch wieder hinauskatapultieren. Goleniewskis warmer, weicher Gesang weckt Erinnerungen an Whitney und Bombay Bicycle Club und stellt damit einen wunderbaren Gegensatz zum intensiven Klangerlebnis seiner Band dar. Am 10. Mai erscheint Giss‘ erstes Album, DROP. Eine spannende, ereignisreiche Band, deren Namen man sich definitiv merken sollte.
Aus Giss‘ Dunstkreis und ebenfalls empfehlenswert: Szatt und Min T
Freunde mäandernder Elektroklänge sollten Szatt – seines Zeichens bei Dig A Pony, dem Label von Giss-Sänger Jakub Goleniewski, unter Vertrag – einen Hördurchgang geben. Als hätten die Duffer-Brüder den Soundtrack zu einem im Jahr 2012 spielenden „Stranger Things“-Spinoff in Auftrag gegeben.
Wesentlich forscher und fordernder ist Min T. Die Musik der in Berlin lebenden Polin lässt sich wohl am ehesten so beschreiben: Als hätte Dillon ein Hi-NRG-Album mit einem Acid-süchtigen James Blake aufgenommen. Man hört jedem Sequenzer-Pluckern den dahinter stehenden Schwitz-Dir-Das-Leben-Aus-Dem-Leib-Ethos heraus. Die wirklich allerletzten Kräfte rauben einem abschließend die jazz-geschulten ADHS-Live-Drums. Wechselklamotten bei einem Min-T-Konzertbesuch sind hiermit empfohlen.
Leider enttäuschend, weil blutlos: Loving
Die im Voraus als potenzielle Highlightband des Wochenendes ausgemachten Kanadier können im Staro Kino leider nicht vollends überzeugen. Die bereits wie die Vorzeige-Hipster-Slacker durchs Venue zur Bühne schlurfenden Loving klingen, als seien sie einem Barista-Kaffehaus in Portland entwachsen. Das Rhodes-Piano und die Bottleneck-Gitarre stören niemanden, tun nicht weh und entspannen wie das am Fenster sitzen und übers Leben sinnieren an einem lauen Sommertag. Mac DeMarco gefällt das sicherlich, besonders haften bleibt es jedoch nicht.
Und sonst noch so?
Die niederländisch-norwegischen Soundfrickler Klangstof spielen im Blue Note Jazz Club neue Songs des hoffentlich in Kürze erscheinenden CLOSE-EYES-TO-EXIT-Nachfolgers. Besonders ein Lied namens „Dead On Arrival“ (?) bleibt besonders hängen: Im Vergleich zum bisherigen Material ist dieser Track wesentlich preschender, wesentlich weniger zerdacht, die cleveren HipHop-Versatzstücke lassen ihn rund und ausgewogen klingen. Wermutstropfen: Andere neue Stücke konnten nicht so stark überzeugen.
Für alle Rocks-Leser, die bei musikexpress.de gelandet sind: Hallo, schön, dass Ihr da seid! Auch Euch haben wir eine Empfehlung mitgebracht, jetzt da Eure „jungen, authentischen“ Hoffnungsträger Greta van Fleet ja der Geheimtipp-Größe entwachsen und praktisch schon Mainstream sind. Hier also eine neue „junge, coole“ Rock-Band zum Angeben: Rust. Kommen aus Posen und machen „handgemachten, ehrlichen“ Rock, wie ihn Guns N‘ Roses, Wolfmother und Kadaver spielen.
Die vielleicht größte internationale Band, die beim Spring Break Showcase auftrat, waren die Iren von Walking On Cars. Ihren Song „Speeding Cars“ kennt man aus dem deutschen Formatradio und Privatsender-Werbeblöcken – was ohnehin schon kein gutes Zeichen ist. Wieso dem so ist, zeigen sie sogleich. Man wird Zeuge eines einzigen substanzlosen Geposes und Gemuckes, in dem kein Lied nicht zu mindestens ¾ aus unnötigen Heja-Heja-Woah-Woah-Pathos-Gesängen besteht. Kurzum: Musik zum Hören, wenn der Kotzreiz mal nicht kommen will. Oder anders gesagt: Eine super Band für den Soundtrack des nächsten Til-Schweiger-Films.