Popkolumne, Folge 22

Mehr Sheer Mag, weniger Sexismus: Die Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne kommentiert unsere Autorin Julia Lorenz im Wechselspiel mit Linus Volkmann, was in der jeweils vergangenen Popwoche so passiert ist. Heute, in ihrer dritten Ausgabe, geht es um die scheppernden Sheer Mag, eine mehr als unglückliche Nominierung von Bonez MC, den Tod von Philippe Zdar und ein Plädoyer für blink-182, die näher an unser aller Jugend waren, als es ein Conor Oberst jemals sein wird.

Es ist Sommer in Berlin und dem Rest des Landes. Wenigstens hat man es also schön warm in der Wohnung, wenn man die Mieterhöhung aus dem Briefumschlag holt – freuen wir uns also mal so richtig ungeniert. Zum Beispiel über die nervöse, dämmerige, fantastische Krachmusik der Londoner Band Black Midi, deren Debütalbum morgen endlich erscheinen wird. Über Haiytis Videodreh im Waterloo der österreichischen Innenpolitik, der sagenumwobenen Strache-Villa auf Ibiza. Und vor allem über ein neues Lebenszeichen von Sheer Mag. Die schlechten News kommen, eh klar, am Ende ja doch noch.

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Song der Woche: Sheer Mag – Blood From A Stone

Peoples, es wird wieder geschwitzt und geröhrt, dass das Kondenswasser ins Bier tropft. Und zwar in „Blood From A Stone“, der neuen Single von Sheer Mag aus Philadelphia, deren 70ies-inspirierter Superpower-Megarock eigentlich immer ein bisschen zu viel ist – und deshalb, vor allem dank Sängerin Tina Halladay, genau richtig. Mal wieder scheppern Sheer Mag einen (ziemlich geradlinigen) Song zusammen, der einen zugleich an die Brust drückt und in den Arsch tritt. Damit liefern sie nicht nur den perfekten Vorboten des neuen Albums A DISTANT CALL, das am 23. August erscheinen wird – sondern auch die beste Musik, um die Haare vorm Ventilator zu schütteln. Promise.

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Fauxpas der Woche: Nominierung für Bonez MC

Nachdem das dynamische Duo Kollegah und Farid Bang im vergangenen Jahr mit seinem grenzdebilen Gegrunze über Auschwitz-Insassen, das eine Fachjury Award-würdig fand, versehentlich den ECHO abgeschafft hat, bekommt die „urbane Musiklandschaft“ nun einen eigenen Preis: die Hype-Awards. Ins Leben gerufen haben den Preis Sido, die Promoterin Marina Buzunashvilli, der Konzertveranstalter Streetlife International und die Werbeagentur Dojo; die Jury setzt sich unter anderem aus Journalisten, Labelmachern und Produzenten zusammen.

Am 10. Juli sollen die Hype Awards zum ersten Mal in der Verti Music Hall in Berlin vergeben werden, nun wurden die Nominierten bekannt – und in diesem Zuge auch gleich der erste Fauxpas. In der Rubrik „Bester Instagram-Account“ ist nämlich ausgerechnet der Rapper Bonez MC nominiert. Der machte sich, wir erinnern uns, kürzlich via Instagram über die Ex-Freundin seines 187-Straßenbande-Buddys Gzuz lustig, nachdem die dem Rapper häusliche Gewalt vorgeworfen hatte. Auf diesen Mangel an Debattengespür hatte unter anderem der Musikjournalist Johann Voigt hingewiesen.

Die Nominierung für Bonez MC ist aber mehr als mieses Timing. Nämlich ein friendly reminder an uns alle, die sich immer so selbstzufrieden den Schaum vom Mund wischen und auf die Schulter klopfen, wenn mal wieder an einem ganz besonders schweren Jungen wie Kollegah oder Gzuz ein öffentliches Exempel statuiert wurde: Nicht allein der misogyne, homophobe oder antisemitische Wicht ist das Problem – sondern die Gesamtheit aus Produzenten, Labelmachern, Bookern und anderen Enablern, die ihm den Rücken freihalten. Und dafür sorgen, dass er ein paar Wochen nach dem Aufschrei für seinen lustigen Instagram-Content einen Preis bekommen könnte. Wie war das gleich noch mit Kollegah?

Weil’s aber wohlfeil und unfair ist, immer nur den Skandal zu suchen, wenn es ums deutsche Rap-Geschäft geht, sei unbedingt auch erwähnt: Die Liste der am häufigsten Nominierten führt beim Hype-Award eine Frau an. Die Berliner Rapperin Nura, bis vor Kurzem eine Hälfte von SXTN, ist in den Kategorien „Hype Künstlerin“, „Hype Newcomer“ und, wie eben auch Bonez MC, „Hype Instagram“ nominiert. Moderieren werden die Veranstaltung mit der Rap-Journalistin Visa Vie und der Choreografin Nikeata Thompson zwei weibliche Größen. Immerhin: mehr sichtbare Diversity, als andere Branchenpreise zu bieten haben.

Verlust der Woche: Philippe Zdar

Morgen sollte DREEMS, das neue Album von Cassius erscheinen – heute wurde bekannt, dass Philippe Zdar, eine Hälfte des französischen House-Duos, beim Sturz von einem Gebäude in Paris gestorben ist. Zdar produzierte Alben für Künstler und Bands wie Cat Power, Phoenix, die Beastie Boys und Kanye West. Zdar wurde 52 Jahre alt. Und das neue Cassius-Album klingt nun fast unpassend sehr nach vibrierenden Sommernächten.

Verkannte Kunst (3): blink-182

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Am Ende müssen auch wir uns eingestehen: Unsere Jugend war anders, als wir sie erinnern. Natürlich erzählen wir heute rotweinschwenkend unserem Date, „Der Fänger im Roggen“ habe unser Leben verändert, aber am Ende lag halt doch „Das Vermächtnis der Wanderhure“ auf dem Nachttisch im Jugendzimmer. Und eigentlich sind es auch nicht die Songs von feingliedrigen Torch-Song-Schreibern wie den Shins, die man mit dem Jungsein verbindet, mit dem schrecklichen, stinkigen, ungeschickten Jungsein – sondern die von blink-182.

Ja, das singende Jackass-Ensemble aus Kalifornien. Die Gute-Laune-Nervpop-Punks. Die mit „American Pie“ (den Coming-of-Age-Klassiker des kleinen Mannes!), albernen Musikvideos und Songs, die mediokre Schülerbands so gern im örtlichen Jugendzentrum coverten – eben diese Typen stehen dem Durchschnittsteen in seiner hilflosen, erruptiven Emotionalität näher als, sagen wir, Connor Oberst. Weil blink-182 nicht nur Blödel-Lyrics haben, sondern auch tolle Songs wie „Carousel“, die jugendliche Melodramatik („Solitude’s a reason to die” – ja, eh!) so ernst nehmen, wie man sie eben ernst nehmen muss. Weil Teenage Angst nicht glamourös, sondern überdreht ist und nach Umkleide riecht. Wie die Songs von blink-182.

Und irgendwie wärmt die Erinnerung, wie man auf dem nächtlichen Nachhauseweg ENEMA OF THE STATE auf dem Discman hörte, bevor man den Nachbarn in die Einfahrt brach, ja auch bis heute das Herz. Diese Gefühle sollte man sich gut bewahren, wenn man „Blame It On My Youth“ hört, die aktuelle Single von blink-182. Die klingt nämlich nicht nur aufreizend einfältig und durchschnittlich, sondern zeigt auch: Mit Jungsein lässt sich ja vieles entschuldigen – nur keine schlimmen Formatradio-Songs.

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Julia Lorenz schreibt für den Musikexpress sowie für Medien wie taz, Zeit, Zitty und tip Berlin über Musik und alles, was anfällt. Im Wechsel mit Linus Volkmann schaut sie in unserer Popkolumne fortan auf die vergangenen Tage zurück.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.

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