R.E.M.
Monster – 25th Anniversary Edition
Craft/Concord Records/Universal (01.11.2019)
Monströse Wiederveröffentlichung zum vierteljahrhundertsten Geburtstag des unterbewerteten „Heavy Metal“-Albums der Alternative-Rock-Schöngeister.
Seit einigen Jahren lebt Michael Stipe in Berlin – auch in Berlin, eine Person dieses Kalibers verfügt in der Regel ja über multiple Residenzen. Ständig wird sein charakteristischer Schädel gesichtet: Beim Staubsaugerkauf im Karstadt, am Kreuzberger Taxistand, natürlich im Berghain-Publikum – Stipe-Visiten allerorts. Dem Autor dieser Zeilen war bislang leider keine Sichtung gegönnt, allerdings einem Kollegen: Der verließ trunken eines Nachts eine Bartoilette, stolperte über seine eigenen Füße und landete vor denen Michael Stipes; „MONSTER is so underrated“, ist alles, was er dem pikierten Superstar mitzuteilen hatte. Zumindest auf dem Heimweg dürfte sich Stipe aber über das befremdliche Lob gefreut haben, galt MONSTER doch 1994 als kommerzieller Selbstmord.
AmazonNachdem die kleine College-Rock-Band aus Athens, Georgia mit den betörenden Sensibilitäten von OUT OF TIME und vor allem AUTOMATIC FOR THE PEOPLE zu Monsters of Mainstream wurde, wollte sie den neu gefundenen Ruhm gleich wieder abschütteln (siehe auch Lady Gagas Nachfolge-EP zu ihrem Durchbruchsdebüt, „The Fame Monster“). Stipe zeigte sich im Video zur ungewöhnlich lärmenden Leadsingle „What’s The Frequency, Kenneth?“ mit harter Glatze, der als schüchtern geltende Bassist Mike Mills trat im protzigen Western-Kostüm auf, Peter Buck zog markige Powerchords seinen Arpeggien vor. „Wir versuchten damals, uns wie eine andere Band zu fühlen“, sagt Buck, „wir wollten einfach weg von dem, was wir waren.“ Das gelang, obwohl MONSTER gewiss nicht das „Heavy-Metal-Album“ war, als das es Stipe damals anpries.
Auf dem dann doch wieder Arpeggio-lastigen „Strange Currencies“ kopierte man sogar keck die eigene Welthymne „Everybody Hurts“ – ein Trick, den man sich vielleicht bei Nirvana abgeschaut hatte, die ihren Urschrei „Smells Like Teen Spirit“ auf „Rape Me“ widerhallen ließen. Kurt Cobains nur wenige Monate zurückliegenden Selbstmord behandelt sein Freund Stipe auf „Let Me In“, das ganze Album ist River Phoenix gewidmet, einem weiteren Wegbegleiter, den Stipe im zurückliegenden Jahr verloren hatte. Dessen Schwester Rain Phoenix singt auf „Bang And Blame“ mit, Thurston Moore tut dies auf dem von den New York Dolls beeinflussten Sleaze-Rocker „Crush With Eyeliner“. Stiller Höhepunkt ist die im Falsett vorgetragene Ode an den Cunnilingus, „Tongue“.
Vielleicht waren die einander sehr ähnelnden Gitarreneffekte Peter Bucks auf MONSTER zu exzessiv eingesetzt, vielleicht war es das erste Album der Band seit Langem mit verzichtbarem Material („King Of Comedy“, „You“). Aber R.E.M.s Neunte ist deutlich mehr als die Mittel-zum-Zweck-Platte, als die sie gern bezeichnet wird. Ja, die Band konnte sich damit freikämpfen – und so den Weg für noch mutigere Schritte wie die Single „E-Bow The Letter“ und UP ebnen. Aber sie schuf gleichzeitig einige ihrer großartigsten und sicherlich einige ihrer mitreißendsten Songs.
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Zum 25. Jubiläum erscheint das Album als Boxset auf fünf Discs mit – geordnet nach absteigender Relevanz –: einer Blu-ray mit den Videos und dem Tourfilm „Road Movie“, aufschlussreichen Demos, einem 25 Songs starken Live-Mitschnitt, sowie einer von Produzent Scott Litt remixten Version der Platte. Letztgenannter entstammt die Leadsingle dieses Releases: ein um den tragenden Tremolo-Effekt beraubter Mix von „…Kenneth?“. Irgendjemand wird sich auch darüber freuen.