J.J. Abrams im Interview: „An ‚Star Wars‘ zu arbeiten ist wie Autofahren im Nebel“
Wir sprachen mit Regisseur J.J. Abrams über Zuschauererwartungen, Carrie Fishers Tod und darüber, warum sich die Arbeit an „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ manchmal ein bisschen wie Sudokuspielen anfühlte.
Seit dem 18. Dezember 2019 ist es so weit: Mit „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ findet die aktuelle „Krieg der Sterne“-Trilogie endlich ihren langerwarteten Abschluss. Ob sich die verwaiste Jedi-Ritterin Rey, der ehemalige Sturmtruppler Finn und ihre Verbündeten letztlich gegen Bösewicht Kylo Ren durchsetzen können werden, wollen wir an dieser Stelle noch nicht verraten.
Dafür haben wir uns im Vorfeld mit Regisseur J.J. Abrams getroffen, der uns bereits verriet, mit welchen Herausforderungen er sich beim Dreh der finalen Episode der Trilogie konfrontiert sah, weshalb er dennoch hoch motiviert ans Set zurückkehrte und warum „Star Wars“ für ihn nicht zwangsläufig mit Coolness verbunden ist.
Mr. Abrams, es ist unmöglich, alle „Star Wars“-Fans zufriedenzustellen…
Ach wirklich? (lacht)
Wie haben Sie all die Kommentare und Kritiken zu „Das Erwachen der Macht“ und vor allem „Die letzten Jedi“ erlebt? Und hatten sie Einfluss auf Ihre Arbeit an „Der Aufstieg Skywalkers“?
Jede einzelne Meinung muss und soll zählen. Das gilt für die Zuschauer, aber auch für die, die eine solche Geschichte erzählen. Es ist immer ein Balanceakt, Kritik aller Art anzuerkennen und zu respektieren. Und ich nehme sie sogar immer noch ein wenig mehr zur Kenntnis als Komplimente, denn natürlich versuche ich immer, meinen Job beim nächsten Mal noch besser zu machen. Doch die größte Gefahr ist es, es jedem Recht machen zu wollen. Denn dann verliert man womöglich den Weg aus den Augen, den man selbst ja eigentlich für den richtigen hält.
Als Sie 2015 „Das Erwachen der Macht“ in die Kinos brachten, war da schon der komplette Handlungsbogen für die Trilogie ausgearbeitet?
Es gab eine vage Planung meinerseits, allerdings konzentrierte ich mich damals natürlich auf „Episode VII“, denn es gab einen Starttermin, einen Zeitplan und keine Zeit zu verlieren. Ich hatte da keine Kapazitäten, über diesen ersten Film hinaus zu denken. Kathleen Kennedy engagierte dann den großartigen Rian Johnson für den nächsten Teil. Wir trafen uns und er sah sich genau an, was wir machten. Er ließ sich davon inspirieren und fand vieles, mit dem er arbeiten wollte, aber trotzdem machte er seine eigene Sache daraus. So muss das ja auch sein. Zumal flexibel und offen sein ohnehin in diesem Job das wichtigste ist. Dass man die besten Entscheidungen spontan und unterwegs trifft, habe ich schon als Kind von George Lucas gelernt.
Ach ja?
Absolut. Wissen Sie noch, dass „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ ursprünglich „Die Rache der Jedi-Ritter“ hieß? Ich habe noch ein Poster mit den Originaltitel als Beweis. Aber Lucas hatte eben plötzlich eine noch bessere Idee, also ist er der gefolgt. So läuft es doch meistens.
Das klingt jetzt fast danach, als hätten Sie für „Der Aufstieg Skywalkers“ einiges improvisieren müssen, weil ursprüngliche Ideen von vor fünf Jahren nicht mehr passten…
Wie gesagt: der Plan für den großen Handlungsbogen war nur sehr grob existent. Wohin mit „Episode VIII“ die Reise geht, war Rians Angelegenheit, da konnte und wollte ich mich nicht einmischen. Aber er hat mit seinen Einfällen auch nichts durchkreuzt, was ich von Anfang an im Sinn hatte. Ich wusste die grobe Richtung, in die es gehen soll, doch die einzelnen Schicksale der Figuren waren noch nicht ausgearbeitet. An einer solchen Filmreihe zu arbeiten ist immer ein wenig wie Autofahren im Nebel. Man weiß ungefähr, wo es langgeht, doch klar sehen tut man immer erst, wenn man direkt davor steht. Und dann kann sich schon mal die vermeintliche Straße als Abgrund oder Sackgasse erweisen, weswegen man dann doch eine andere Route wählen muss.
Ursprünglich war ohnehin ein anderer Regisseur für den Abschluss dieser neuen Trilogie vorgesehen. Warum sind Sie letztlich doch zu „Star Wars“ zurückgekehrt?
Gerade weil es nicht geplant war, reizte mich die unerwartete Aussicht, doch nochmal zu diesem Franchise zurückzukehren. Nicht nur, um das Ende der Skywalker-Saga zu erzählen. Sondern auch, um Rey, Poe, Finn und auch Kylo Ren auf dem Weg zuende zu begleiten, den ich mit ihnen begonnen hatte. Diese Gelegenheit konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.
Hatte auch der Tod von Carrie Fisher Einfluss auf Ihre Entscheidung?
Tatsächlich wurde ich erst nach ihrem Tod gefragt, ob ich die Regie übernehmen wolle, und erst einmal stellte das für mich natürlich eine riesige Herausforderung dar. Es war unvorstellbar, die Skywalker-Saga ohne Leia zu Ende zu bringen. Sie ist eines der entscheidenden Teile in diesem Puzzle. Einige Leute schlugen mir vor, die Rolle von einer anderen Schauspielerin spielen zu lassen, doch das kam für mich nicht in Frage. Andere meinten, ich könnte Carrie vielleicht CGI digital wieder auferstehen lassen, allerdings war mir klar, dass das kaum auf überzeugende Weise zu schaffen sein würde. Doch dann sahen wir uns noch einmal all das Material an, das wir für „Das Erwachen der Macht“ gedreht und letztlich nicht verwendet hatten.
Und da war genug Brauchbares dabei?
Zu unserem eigenen Erstaunen ja. Es gab noch richtige Szenen und einige andere Aufnahmen, mit denen sich richtig gut arbeiten ließ. Ich weiß noch, wie enttäuscht ich damals war, dass wir so viele schöne Momente nicht verwenden konnten, einfach weil es keinen Raum für sie in der Geschichte gab. Was für eine Verschwendung, schließlich ging es um Carrie Fisher! Nun plötzlich konnten diese Aufnahmen doch noch zum Einsatz kommen – und das sogar auf sehr passende, bedeutungsvolle Weise. Das fühlte sich fast wie eine kosmische Fügung an.
Mussten Sie das Drehbuch entsprechend verändern?
Zu dem Zeitpunkt gab es noch gar kein Drehbuch. Als wir anfingen, uns die Geschichte für den Film auszudenken und erste Ideen zu Papier zu bringen, sichteten wir parallel schon das ältere Material. Für mich war das ein ähnliches Arbeiten wie damals bei der Serie „Lost“, wo wir auch an allen Fronten gleichzeitig arbeiteten, weil wir nur elf Wochen Zeit hatten, uns um Drehbuch, Besetzung und Drehorte zu kümmern. Bei „Der Aufstieg Skywalkers“ fühlte sich diese Arbeitsweise nun ein wenig wie ein Sudoku an, weil wir immer von Fall zu Fall sehen mussten, welcher Einfall sich zu welchen Bedingungen umsetzen ließ. Natürlich gab es bezüglich Leia ein paar Einschränkungen, welche Möglichkeiten wir hatten, aber dafür fanden wir Lösungen.
Wie war es für Sie als lebenslangem „Star Wars“-Fan eigentlich, erstmals am Set dem Imperator Palpatine gegenüberzustehen?
Sie wollen wissen, wie die Arbeit mit Ian McDiarmid war?
Na ja, vor allem natürlich, wie es sich anfühlte, ihn wieder in dieser legendären Rolle zu erleben…
Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie wollen mich dazu bringen, etwas auszuplaudern was ich eigentlich nicht verraten darf. (lacht)
Dass er im Film mit von der Partie ist, ist ja dank des Trailers kein Geheimnis!
Ich bin einfach vorsichtig! Einmal fragte mich ein Reporter, was ich dazu sage, dass so viele Leute „Die letzten Jedi“ hassen, weil der Film ihrer Meinung nach eine feministische Agenda habe. Woraufhin meine Antwort war, dass so jemand womöglich größere Probleme hat als „Star Wars“, denn das klingt ja nach einer Angst vor Frauen. Die Schlagzeile lautete dann: „J.J. Abrams: Wenn Sie ‚Die letzten Jedi’ hassen, haben Sie Angst vor Frauen“ (lacht). Das war es nun wirklich nicht, was ich gesagt hatte. Deswegen fürchte ich jetzt immer, bei gewissen Fragen in eine Falle zu tappen.
Keine Sorge!
Lassen Sie mich einfach Folgendes sagen: Ian ist einer der freundlichsten, geduldigsten und brillantesten Schauspieler überhaupt. Er gehört zu denen, die quasi auf Knopfdruck abliefern können. Und keiner hat eine Stimme wie er. Deswegen war die Arbeit mit ihm ein absoluter Traum!
Wenn Sie jetzt rückblickend noch einmal Bilanz ziehen: Worin lag bei dieser Trilogie die größte Herausforderung wenn es darum ging, „Star Wars“ auch für eine junge Generation cool zu machen, die die Auswahl zwischen unzähligen anderen Kino-Spektakeln hat?
Das ist eine tolle und wichtige Frage, und es gibt Menschen in meinem Umfeld, die sich damit rund um die Uhr beschäftigten. Allerdings fürchte ich, dass ich der falsche bin, sie zu beantworten. Wenn ich mir zu viele Gedanken darüber mache, wer was warum cool findet, dann hätte ich Angst, dass ich aus den Augen verliere, worum es mir eigentlich bei „Star Wars“ geht.
Dann einfach anders gefragt: Was finden Sie nach all den Jahren an „Star Wars“ noch cool?
Für mich hat „Star Wars“ vor allem ein großes Herz. Es geht um neue Allianzen und verrückte, verzweifelte Abenteuer, um das Furcht einflößende Böse und unvorstellbare Bedrohungen. Aber eben nicht zuletzt um wundervolle Freundschaften, neue Verbindungen und ein Verständnis dafür, welches Potential in jedem von uns schlummert. Das sind alles keine Themen, die cool sind im Sinne von hip und modern. Aber sie sind zeitlos und universell. Der eigentliche Grund, warum wir doch tolle Geschichten suchen – egal ob im Kino, in Fernsehen oder in Büchern – sind eben solche Geschichten, in denen die Bösen am Ende ihre wohlverdiente Strafe bekommen und in denen selbst der gewöhnlichste von uns zum ungewöhnlichsten Helden werden kann. Und wenn das nicht auf ewig cool ist, dann weiß ich es auch nicht! (lacht)
„Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ läuft seit dem 18. Dezember 2019 bundesweit in den deutschen Kinos.