Geschrienes und Progressives


Bitte nicht gleich alle weitertwittern: Josef Winkler packt die Stimme von Martha Wainwright nicht.

Meine Güte, was ist denn da los? Aus dem Nebenzimmer, wo gerade meine Freundin an ihrem Rechner wullackt (schönes Wort, gell?), dringen seit einer Viertelstunde Geräusche, als versuche jemand mit mangelnder Entschlossenheit eine Gans zu erwürgen. Ich ahne schon, es ist wohl irgendwie Soulgesang, von dem ich hier durch die Tür nur eine gewisse verfremdete Filter-Essenz mitbekomme, aber jetzt verlange ich Klarheit!

Oh. Es ist die neue Platte von Martha Wainwright, und jetzt muss es bei dieser Gelegenheit mal raus: Ich packe die Stimme von Martha Wainwright nicht. Ich würde mir darüber vielleicht gar keine Gedanken machen, wenn nicht die halbe Welt – inklusive Rufus Wainwright, der sagt, er hätte gern die Stimme von der Martha, um Himmels willen! – sich zusammengefunden hätte im Konsens: Martha Wainwright, ja DAS ist mal eine Frauenstimme, wie sie sein soll! Ich hingegen packe sie nicht. Ich will da jetzt auch keinen Distinktionsgewinn rausschinden (Stop press! Der Winkler, die gache Wurzn, packt die Stimme von Martha Wainwright nicht!). Es ist nur … diese geschriene Anmutung, auch in den „leisen Tönen“, wie wenn der Hals zu weit wäre, um auch nur mal einen einzigen dezenten Ton zu formen … Ich pack’s nicht.

Eine Stimme, die ich voll packe, ist ja die von Freddie Mercury. So ein mercurygesungenes Lied ist schon was Spezielles, vielleicht gibt es deswegen auch so wenige Queen-Coverversionen (bitte komme mir jetzt keiner mit einer Liste von eben doch existierenden Queen-Covers, ich will’s gar nicht wissen!). Umso erstaunlicher fand ich, was mir zuletzt auf einem, äh, Volksfest hier in München begegnete. Ich war spät eingetroffen und relativ nüchtern (wobei man freilich im Vergleich zu einem Oktoberfestbierzelt um halb zehn abends immer relativ nüchtern ist), und wohl der einzige Gast, der sich nun aus musikalischem Interesse näher an die Bühne herankämpfte, wo die Stimmungsband gerade – man staune – „Bohemian Rhapsody“ in Angriff genommen hatte. Knapp 18 Mann/Frau hoch, mit Tuba und Trompeten, Akkordeon und (hörbar nicht mit Brian May bemannten) Stromgitarren sowie drei (!) lederbehosten (die einzige Nähe zu Freddie Mercury) Sängern, pflügten sie sich tapfer Satz für Satz durch das Werk. „Mamaaaaa tschasst killd a määääään“, mähte das Zelt, beim „Galileo!“-Teil fiel das Ganze dann ziemlich auseinander, und ich war mir nicht sicher, ob das alles jetzt bewundernswert oder eine Frechheit war. Viel Zeit zur Kontemplation blieb nicht, da warf sich die für Anlass und Uhrzeit doch bemerkenswert progig aufgelegte Band in den Schwulst-Klassiker „Music“ von John Miles, der es ja auch unter fünf Sätzen und acht Tempowechseln nicht macht. Ich dachte schon, was kommt als Nächstes, aber ehe sie dann auf „Close To The Edge“ einschwenkten, siegte die pure Vernunft und es folgten: „Hey Baby“ und „Tage wie diese“.

Haben Sie’s gesehen? „Wetten dass..?“, mit Campino, wo er erzählte, dass er „Tage wie diese“ gar nicht so geil fand und eigentlich nicht auf dem Album haben wollte? War ihm wahrscheinlich nicht punkig genug. Oder zu wenig „wouh-woooouhhh“ im Refrain. Und als ihn dann der Lanz, den ich als Moderator ungefähr so fresh finde wie den quasselnden Angeber mit den schlechten Witzen, dem du auf einer Party auf keinen Fall in die Arme laufen darfst, zwischendurch damit konfrontierte, dass für seine Saalwette von den 500 Düsseldorfern, die sich nackend ausziehen, anmalen und das Fortuna-Logo (gähn) nachlegen sollten, erst 300 da seien und Campino, der zuvor schon angeboten hatte, sich selber dann auch dazuzulegen, so ganz spontan, natürlich und ohne Ironie – und wenn da eine gewesen sein sollte: sie hätte es nicht rausgerissen – antwortete: „Aber ich zähl ja wohl mindestens für zehn. Oder 25.“ Und man sich fragte: „Hat der den Arsch auf?“ Haben Sie’s gesehen? Nein? Besser.