KING OF QUEENS
Ob als Kopf von Queens Of The Stone Age, Frontmann von Them Crooked Vultures, Leiter der Desert-Sessions oder Drummer der Eagles Of Death Metal: Josh Homme ist eine musikalische Institution. Und ein Mann, über den man kaum etwas weiß. Außer, dass er bekennender Workaholic und ein standfestes Partymonster ist. Doch beim Brunch mit dem ME in West-Hollywood gewährt der Hüne tiefe Einblicke in sein wohlbehütetes Privatleben – und in die Komplexität von … LIKE CLOCKWORK, das erste QOTSA-Album seit sechs Jahren.
Es ist ein sonniger Mittwochmorgen in West Hollywood und der ME hat ein ganz besonderes Frühstücksdate: Josh Homme kommt ins „Knoll“, das Restaurant im Hotel Le Parc Suites, seit Jahrzehnten beliebte Musikerherberge. In den Achtzigern haben hier Ozzy Osbourne und Slash genächtigt, in den Neunzigern Slayer und Sonic Youth. Heute trifft man gelegentlich MGMT oder Marina Diamandis im Aufzug. Homme fährt stilvoll vor, mit einer britischen Falcon aus den 40er-Jahren, die einen Höllenlärm macht und wunderbar zu ihrem Besitzer passt, der offenes Hemd, helle Lederhandschuhe, Jeans und schwere Stiefel trägt. Dazu ist er 1,93 Meter hoch und breitschultrig. Er drückt einem die Hand, bis es schmerzt, und grinst dabei breit. „Ich hoffe, hier gibt es starken Kaffee“, sagt er mit einem Unterton, der kein Spülwasser zulässt.
Zum Glück: Das Gebräu du jour ist heiß, stark und kräftig. Ganz nach dem Geschmack des Rothaarigen, der dazu eine Elektro-Zigarette pafft, genüsslich die Speisekarte studiert und eine halbe Kanne schwarzes Koffein verdrückt, ehe er bestellt. „Ich habe jahrelang gedacht, Kaffee wäre etwas für Pussies. Einfach, weil das nichts gegen die Sachen war, die ich so zu mir genommen habe. Außerdem habe ich gesehen, wie Dave Grohl zu viel davon getrunken hat – und dann zum Arzt musste, weil er Herzklopfen hatte. Da habe ich mir geschworen: Das Zeug rührst du nie an. Aber mittlerweile trinke ich mehrere Liter am Tag. Ich kriege gar nicht genug davon. Ähm ich glaube, ich nehme Vollkorntoast, die Huevos Rancheros und eine Fruchtplatte.“ Ein Bikerfrühstück. Das braucht der Mann, der gerade erst aufgestanden ist, auch. Im Vergleich zu früheren Interviews wirkt er etwas ungelenk, wenn nicht unsicher. „Ich habe noch nicht viele Pressetermine zum neuen Album gehabt. Und es fällt mir auch nicht leicht, darüber zu reden, weil es so persönlich ist. Die letzten Jahre waren die härtesten meines Lebens. Ich war ein körperliches Wrack. Ich hätte schon vor dem Them-Crooked-Vultures-Album 2009 eine Pause gebraucht. Danach war ich so fertig, dass ich krank geworden bin. Ich hatte sogar eine Not-OP, bei der es Komplikationen gab, und ich um ein Haar krepiert wäre. Anschließend war ich fast ein Jahr außer Gefecht gesetzt, in dem ich kaum jemanden gesehen habe – nicht einmal meine engsten Freunde“, spricht’s und bestreicht eine Scheibe Toast mit ordentlich Butter und Marmelade.
Das neue, sechste Album von Queens Of The Stone Age ist das erste seit 2007. Homme musste sich zunächst um sich kümmern, um sich wieder seiner Hauptband zu stellen. „Die Aufnahmen waren extrem schwierig. Zum Beispiel, weil die Chemie innerhalb der Gruppe nicht stimmte. Deshalb musste ich unseren Drummer Joey Castillo feuern – nach zehn Jahren. Einen sehr guten Freund. Das ist mir wirklich nicht leichtgefallen. Zum Glück ist Dave Grohl eingesprungen. Er hat alles, was ich brauchte, in nur einer Woche eingespielt. Dabei hat er alles komplett verändert. Das war auch das Anstrengende – die Songs sind permanent mutiert und in eine immer neue Richtung gegangen. Ganz am Anfang hatte ich zum Beispiel vor, ein Trance-Album zu machen -also Trance-Rock mit starken Blues-Einflüssen. Daran habe ich mit James Lavelle von UNKLE gearbeitet, der coole Beats beigesteuert hat. Das hat so merkwürdig geklungen, so durchgeknallt und so bad ass, das war wie Schokolade mit Crack. Das war allerdings nur ein Ansatz unter vielen, den ich gerne irgendwann intensivieren würde. Also mit einem rein elektronischen Album. Aber was diese Platte jetzt betrifft, da haben sich täglich neue Ideen aufgetan, die dafür sorgten, dass das Ganze zu einem langwierigen Prozess wurde, in dem wir uns beinahe verloren hätten. Es war ein ständiges Auf und Ab aus Geniestreichen und Versagen. Deshalb ist … LIKE CLOCKWORK, der Titel, auch pure Ironie, Mann.“
Denn wie definiert diesen das „American Heritage Dictionary Of The English Language“ so schön: „mit maschinenartiger Gleichmäßigkeit und Präzision“. Sprich: ein Prozess, der wie am Schnürchen läuft. Dabei hat das Album alle Beteiligten viel Zeit und Nerven gekostet, deckt ein ebenso anstrengendes wie breites Spektrum von 70s-Glam über Orchester-Pathos, White Funk, Cabaret, lupenreine Avantgarde, Prog und Psychedelia ab, und wartet mit einem Cover des britischen Künstlers Boneface auf, das den körperlichen wie geistigen Zustand von Homme auf den Punkt bringt: Ein Vampir mit Totenkopf-Maske, der eine entrückte Schönheit mit seinem Umhang umschlingt – und damit ein Bedürfnis nach Nähe, Wärme und frischem Blut zum Ausdruck bringt. „Ich habe seine Sachen im ‚Juxtapoz‘-Magazine gefunden, Zeichnungen von Superhelden mit blutigen Nasen. Was mit diesem Subtext einherging: „Nur, weil du versuchst, Gutes zu tun, heißt das noch lange nicht, dass du ohne Blessuren davonkommst.“ Das hat mir aus der Seele gesprochen. Ich dachte: Der Typ ist 23 und kommt aus einem anderen Land, aber Scheiße, wir ticken gleich. Also lass uns etwas zusammen machen. Und das haben wir: Er hat zum Beispiel Videos zu verschiedenen Songs gemacht, die genau in diese Richtung gehen.“
Und die -so verrät Homme, während er zwei weitere Tassen Kaffee mit Milch schlürft – etwas von ungenierter Selbsttherapie haben. „Einige Sachen auf dem Album sind sehr nihilistisch. Etwa ,Smooth Sailing‘, das nichts anderes besagt als: ,Ihr könnt mir nichts antun, was ich mir nicht schon selbst angetan habe.‘ Oder ,Fairweather Friends‘, in dem ich mit allen sogenannten Freunden abrechne, die sich in der Zeit, als es mir schlecht ging, nicht einmal gemeldet haben. Nicht dass ich jemanden gebraucht hätte, um mich auszuheulen, aber es ist doch nett, wenn dir jemand zu verstehen gibt, dass er sich Sorgen macht. Mir blieb da nur meine Familie, mit der ich so viel Zeit wie möglich verbringe. Ich bin ein richtiger Family Guy – das gibt mir mehr als alles andere auf der Welt.“ Das schlägt sich etwa in der ersten Single „My God Is The Sun“ nieder. Ein nettes, kleines Wortspiel mit „sun“ und „son“ – Homme Junior als Sonne des Lebens. „Eigentlich rede ich nicht über mein Privatleben. Aber wer die Songs etwas genauer hört und zwischen den Zeilen liest, der erfährt alles über mich. Der weiß genau, wie ich denke und fühle und wo ich gerade bin: an einem verdammt guten Ort – aber auch nur, weil ich diesen ganzen Müll endlich losgeworden bin. Er gehört jetzt nicht mehr mir, sondern der Öffentlichkeit. Nach dem Motto: ,Hier, halt mal‘ – während ich mich aus dem Staub mache.“
Ein Ansatz, den Homme mit einer Reihe hochkarätiger Gäste verfolgt. Darunter alte Weggefährten wie Dave Grohl, Mark Lanegan, Nick Oliveri, Alex Turner, Ehefrau Brody Dalle und Trent Reznor. Aber auch Überraschungen wie Scissor Sister Jake Shears und Sir Elton John, der auf mehreren Stücken Klavier spielt. Seine Beteiligung basiert auf einem denkwürdigen Zufall: „Sein Fahrer ist ein alter Highschool-Kumpel von mir“, sagt Homme. „Deshalb weiß ich schon seit Längerem, dass Elton unsere Platten im Auto spielt. Ein lustiger Gedanke. Elton rief mich an und sagte: ‚Es wird höchste Zeit, dass die Queens mal mit einer echten Queen arbeiten.‘ Und das mit einem superenglischen Akzent, der wie eine Schwulenparodie klang. Ich musste laut lachen und sagte: ‚Klar, komm vorbei!‘ Das hat er dann auch getan – und sich wie eine richtige Diva benommen. Er hat so lange im Auto vor der Tür gewartet, bis seine Assistenten das Studio gecheckt hatten, bestimmte Blumen und Getränke aufgebaut und für die richtige Raumtemperatur gesorgt hatten. Das war schon ziemlich seltsam. Doch als er endlich am Klavier saß, war er klasse. Ich sagte ihm, welche Akkorde wir brauchten, und er hat sie gespielt. Ein fantastischer Musiker und ein wahnsinnig netter Typ. Für mich war das, als würde ich mit Freddie Mercury oder Rob Halford jammen. Eben mit diesen Leuten, die Türen geöffnet haben, weil ihnen alles egal war.“
Ein Gedanke, der kurz durch die Ankunft des Frühstücks unterbrochen wird: ein riesiger Teller mit Spiegelei, Avocadostreifen und frischer Salsa. Genau das Richtige für den Besitzer eines unübersehbaren Bauchansatzes. „Großartig“, jappst Homme in einem Anfall von Heißhunger. Gute Gelegenheit, ihm ein Thema unterzujubeln, zu dem er sich nie eindeutig geäußert hat: die eigene sexuelle Ambivalenz, die zwischen hartem Rock, Motorrädern, handfesten Auseinandersetzungen und der Koketterie mit Homoerotik und Travestie – Duette mit Rob Halford und Elton John, Auftritte mit den Eagles Of Death Metal, eigenes Studio namens Pink Duck – pendelt, und so für Verwirrung unter Metal-Fans sorgt. Testosteronverarsche oder Lederschwuchtelverein in spe, Herr Homme? Dem fällt vor Lachen fast die Gabel aus der Hand: „Beides“, bringt er glucksend hervor. „Ich lebe in Palm Springs. Einer Stadt, die dank der schwulen Community zu den spannendsten des ganzen Landes gehört. Mit einem Filmfestival und Veranstaltungen wie der White Party, auf der eigentlich nur Typen rumtanzen – und Toni Braxton. Da gehe ich mit meiner Frau hin und wir haben den größten Spaß unseres Lebens. Es ist mir scheißegal, ob jemand schwul oder straight ist. Ich liebe diese ausgelassene, lustige Atmosphäre, die unter Schwulen herrscht. Und ich hasse es, wenn sie irgendein homophober Wichser zerstört, weil er nicht in der Lage ist, seine eigene Dummheit unter Verschluss zu halten und den Augenblick zu genießen. Gleichzeitig gebe ich alles für einen Typen in AC/DC-Shirt, kurzen Jeans und Vokuhila, der die Arme in die Luft reißt, die Augen schließt und in voller Lautstärke einen Song mitgrölt. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist mir das die liebste Person auf der ganzen Welt. Einfach weil da jemand denkt: ‚Mir doch egal, was der Rest macht, ich stehe auf den Song und genieße ihn in vollen Zügen.‘ Es gibt da diese verrückte Dualität in mir. Ich will nicht, dass ein Haufen Macho-Arschlöcher irgendwelche Leute zusammenschlägt und jemanden als Schwuchtel bezeichnet. Allerdings habe ich das auch schon getan, und wurde daraufh in beschuldigt, schwulenfeindlich zu sein. Das muss aber wohl ein schlechter Witz gewesen sein. Ich habe ja auch schon mal jemanden von der Bühne herab als ,Pussy‘ bezeichnet, dem ich ‚gleich den Arsch ficke‘. Und da frage ich mich, wie das zusammengehen soll. Mal ganz abgesehen davon: Who cares? Ich bin politisch absolut unkorrekt.“
Homme bestellt noch eine Kanne Kaffee und ein Glas Wasser, dann geht er zum Angriff auf die sorgsam drapierten Scheiben Ananas und Melone über, die unter dem Begriff „Fresh Fruit Platter“ firmieren. Gleichzeitig, und das zeigt, dass er durchaus ernst und nachdenklich sein kann, wechselt er von der privaten auf die allgemeine, soziopolitische Ebene und wendet sich dem restriktiven modernen Amerika zu. „Ich bin ein Liberaler. Ich ertrage es nicht, wenn jemand anderen Vorschriften machen will. Es ist illegal, sich umzubringen. Wenn du einen Suizidversuch überlebst, hast du eine Menge Ärger. Das ist doch verrückt -und symptomatisch für dieses Land. Da gibt es diese nebulösen Einrichtungen wie die NSA, oder Homeland Security, die allen Ernstes darüber nachdenken, Drohnen über amerikanische Großstädte fliegen zu lassen, um alles und jeden auszuspionieren und Verbrechen im Vorfeld zu verhindern. Dann gibt es diese Versicherungsgesellschaften, die per Gesetzbeschluss erreichen wollen, dass jeder Kunde eine Überwachungsvorrichtung in sein Auto einbaut, damit sein Unfallrisiko anhand des Fahrstils eingestuft werden kann. Das ist arschkrank, da mache ich nicht mit.“
Sein Heil sucht Homme zusehends im Privatleben mit Frau Brody Dalle (Ex-Distillers, jetzt Spinnerette), Tochter Camille Harley Joan (7 Jahre) und Sohn Orrin Ryder (2). Er besitzt ein Anwesen in Palm Springs, ein Haus in Burbank, sammelt Gitarren, Motorräder, Tattoos sowie Devotionalien von Piraten („die ersten Rockstars“), und betätigt sich – als sonntägliches Ritual – als Hobbykoch. „Meine Spezialität ist Hühnchen Cordon-Bleu nach dem Rezept meiner Mutter. Damit habe ich sogar Sternekoch Anthony Bourdain begeistert. Wenn er nach L. A. kommt, gehen wir zusammen auf Motorradtour – genau wie ich es ab und zu mit Alex Turner und Dave Grohl mache. Bei Anthony hat es dafür gesorgt, dass ich ihn für eine Folge seiner neuen Kochsendung „Parts Unknown“, in der er entlegene Teile der Welt bereist, nach Burma begleiten durfte. Ich freue mich schon, wenn er im Sommer ein Restaurant in Kalifornien eröffnet, dann werden wir uns hoffentlich öfter sehen. Und wenn er mal eine rechte Hand braucht – ich stehe ihm gerne mit Rat und Tat zur Seite.“
Homme ist ein verkappter Gourmet, der seine Touren nutzt, um die besten Restaurants der Welt zu testen. „Wenn du mit einer Band unterwegs bist und keinen kompletten Selbstmissbrauch betreiben willst, hast du nicht viele Möglichkeiten. Du könntest anfangen, Golf zu spielen oder zu joggen. Aber das ist mir zu langweilig. Ich gehe lieber in ein erstklassiges Lokal und habe ein tolles Dinner mit Freunden. Was dann auch der Höhepunkt der Stunden sein sollte, in denen ich nicht auf der Bühne stehe. Das ist eine Chance, Länder, Kulturen und Menschen kennenzulernen.“
Am liebsten tut er das mit Dave Grohl und John Paul Jones, alias Them Crooked Vultures. Das letzte Thema unseres Treffens, bei Homme sorgt es für große glänzende Augen: „Es muss unbedingt noch ein zweites Vultures-Album geben. Das ist wie Sex mit einem umwerfenden Mädchen – davon will man auch mehr. Ich hoffe, dass wir das bald angehen. Jones und seine Frau waren vor ein paar Wochen bei mir zum Abendessen, und wir haben uns wieder so toll unterhalten, dass ich dachte: ,Verdammt, dass kann es noch nicht gewesen sein.‘ Ich drücke ihm zwar die Daumen, dass es 2014 zu einer Led-Zep-Reunion kommt. Aber ich bin auch nicht böse, wenn nicht.“
Homme jedenfalls ist bis zum nächsten Sommer ausgebucht. Die Queens, daran lässt er keinen Zweifel, werden so viel touren wie möglich. Mit größerem technischen Aufwand als bei den Club-Shows Anfang 2011 und dem einen oder anderen Spaßprojekt. Etwa einem Coveralbum, das eine Version von Janet Jacksons „What Have You Done For Me Lately?“ beinhalten könnte („einer der besten Popsongs aller Zeiten“), oder auch Johnny Cashs „Jackson“ im Duett mit Florence Welch, das unlängst bei einer Aufzeichnung von „MTV Unplugged“ entstand. „Florence und ich sind Sauffreunde Im Ernst: Sie trinkt wie ein Kerl und ist dazu noch sehr talentiert, sehr intelligent, ein bisschen launisch, aber auch bodenständig. Sprich: Wir kommen prima miteinander aus. Sie rief mich an und fragte, ob ich Lust darauf hätte. Natürlich hatte ich die! Ich würde auch irre gern ein Coveralbum aufnehmen. Leider ist das wieder eine dieser Sachen, die erst einmal hinten anstehen, wenn du drei Bands, Frau und Kinder So, jetzt muss ich zur Bandprobe – und vorher auf Toilette. Der Kaffee treibt wahnsinnig.“
Kurz darauf hört man das Knattern der Falcon. Die Jungs vom Parkdienst sprechen noch Tage später von dem Furcht einflößenden Hünen, der wohl ein Rockstar gewesen sein muss.
Albumkritik S. 91