Das Ich entscheidet – Erwartungen an Martyns THE AIR BETWEEN WORDS
Was Erwartungen mit der Qualität des neuen Albums des Holländers Martyn zu tun haben.
Das berühmte Zitat von Louis Armstrong „Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte“, wird von Blues-Rock-Freunden gerne aus dem Kontext gerissen, indem sie den zweiten Teil unterschlagen: „Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst“. Meint ungefähr: „My Favorite Things“ mag zwar ein Musical-Schlager sein, A-B-E-R wenn John Coltrane ihn spielt, dann…“ Das Zitat wird gerne bemüht, wenn es um die Beweisführung einer reinen, authentischen, von allen äußerlichen Einflüssen und Moden befreiten Musik geht: zum Beispiel Blues-Rock aus Neheim-Hüsten, von Endvierzigern gespielt.
Allerspätestens mit Diedrich Diederichsens Jetzt-schon-Standardwerk „Über Pop-Musik“ wurde der Gegenbeweis der These auf eine semi-wissenschaftliche Grundlage gestellt. Popmusik ist Wunsch und Image und Pose und Vorstellung und Fetisch und das Bild der Band auf dem Cover der 7-Inch und das Poster an der Wand. Und der Rezipient. Vor allem der. Und seine Erwartungen. Sie entscheiden darüber, ob Popmusik gut oder schlecht ist. Zum Beispiel Martyn (Martin Deijkers), der holländische Produzent in New York, hat nach zwei Alben mit weitergedachten Bassmusik- Konstruktionen ein neues veröffentlicht (THE AIR BETWEEN WORDS), dem ich das Weiterdenken abspreche und das ich für ein relativ konventionelles housy, garagy Album mit ein paar modernistischen Beigaben halte. Hätte dagegen ein anderer Produzent dieses Album veröffentlicht, der in meinen Augen für stinknormale House Music steht, würde ich die Platte wahrscheinlich „übelst abfeiern“. Weil ich das so nicht erwartet hätte.
Ich erwarte also von Martyn, mit jedem neuen Album sich selbst und aktuellen musikalischen „Trends“ einen Schritt voraus zu sein. Wenn er das nicht ist, bin nicht ich der Doofe, der subjektiv nicht imstande ist, die objektive Großartigkeit dieses Albums zu erkennen, sondern Martyn, der nicht in der Lage ist, meine Erwartungen zu erfüllen. Das ist dann Popmusik.
Diese Kolumne ist in der Juli-Ausgabe des Musikexpress erschienen – ab 10. Juni 2014 erhältlich.