Jens Friebe
Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus
Staatsakt/Rough Trade
Harte Nippel für Wittgenstein: Der Diskurspop von Friebe entgeht geschickt der altersweisen Bräsigkeit.
Das ist schon erstaunlich: Bei Jens Friebe passen Wittgenstein, Tolstoi, der Marquis de Sade, das Jüngste Gericht, ein Ein-Euro-Job, buddhistische Motten und die harten Brustwarzen einer Stripperin in ein und dasselbe Lied. Und trotzdem bleibt es ein Song. Irgendwie zumindest. Eher ist „What Death Will Be Like“ wohl eine Moritat. In seiner Ja-Panik-haften Schwerblütigkeit ist die Übersetzung des gleichnamigen Stücks des schottischen Musikers Nicholas „Momus“ Currie jedenfalls einer der Höhepunkte von NACKTE ANGST ZIEH DICH AN WIR GEHEN AUS.
Mehrere Höhepunkte bedeutet auch: Diese neue Platte des Berliner Diskurspoppers ist nicht nur besser als der bereits vier Jahre alte Vorgänger, ABÄNDERN, sondern ist generell ganz formidabel gelungen. Das bereits vorab auf dem Keine Bewegung!-Sampler veröffentlichte „Sei einfach nicht du selbst“ ist nicht weniger als ein modernes „Deutschland muss sterben“ – zwar nicht ganz so radikal in der Aussage wie der Slime-Klassiker, aber dafür entschieden eleganter und mit poetischem Mehrwert.
Friebe findet auch für den doofen alten Kapitalismus schöne neue Sprachbilder („Die einen treten auf der Stelle, die anderen sind die Stelle, auf die man tritt“) und beobachtet an anderer Stelle sehr genau das Leben in einem Land, „wo das ewige Eis schmilzt im Drink“ und junge Eltern an Silvester plötzlich feststellen, dass man zwar „endzeiteske Bondage-Sachen“ tragen und sich mit „Geschlechtsteilen aus Blei“ herumplagen kann, aber trotzdem schon längst Richard David Precht auf der Couch sitzt.
Kurz: Friebe ist ein Album gelungen, das – wahlweise zu bewusst billigen Synthie-Beats, melancholischer Orgel oder frenetischen Tribal-Rhythmen – sehr schlau vom Leben in dieser Republik berichtet, ohne gleich altersweise Bräsigkeit zu demonstrieren.