Ghostpoet
I Grow Tired But Dare Not Fall Asleep
PIAS/Rough Trade (VÖ: 1.5.)
Postprogrockjazzambient! Soundraum für eine existenzielle Songsammlung dystopischen Zuschnitts.
Wenn Obaro Ejimiwe ein Album aufnimmt, stehen die Chancen auf eine Mercury-Prize-Nominierung fifty-fifty. Zwei seiner bislang vier Ghostpoet-Veröffentlichungen (PEANUT BUTTER BLUES & MELANCHOLY JAM 2011 und SHEDDING SKIN 2015) erreichten die Shortlist, aus der die Experten-Jury die späteren Preisträger kürte. Das darf man getrost als Honorar für eine ambitionierte künstlerische Leistung werten, für einen musikalischen Auftritt, der sowohl Zeit als auch Publikum trifft.
AmazonDie neue Songsammlung hat sogar das Zeug, einen Relevanzspitzenplatz im Spektrum aktuell dystopischer Pop-Entwürfe zu erreichen. „It’s getting kinda complex these days“, raunt Ghostpoet im Refrain des Sechsminüters „Breaking Cover“, und dahinter stehen nur noch existenzielle Fragen: Was machen wir hier, ist das schon das Ende? „I am alive… I wanna die“, die Worte bleiben beinahe im schweren Bassgitarrenriff stehen.
Wie soll man das nennen: Postprogrockjazzambient vielleicht. Einen dunkel pochenden, manchmal unwirtlichen Klangraum betritt Ghostpoet von der ersten Sekunde an, und er verlässt ihn auch nicht mehr. Was nicht heißt, dass die zehn Tracks keine Variationen aufbieten, keine Amplituden kennen würden. „Humana Second Hand“ ist eine nervöse Cello-Musik, „Black Dog Silver Eyes“ tanzt auf Slo-Mo-Beats aus der Box, obendrauf Partikel von elektronischem Fall-out und ein verendendes Saxofon.
Wir hören Tracks, die regelrecht um ihre Fassung ringen. I GROW TIRED BUT DARE NOT FALL ASLEEP ist das Album, das die Lücke zwischen King Krules MAN ALIVE! und den Druckwellen füllt, die Scott Walker am Ende aus seiner Eremitage schickte. Selten hat der Blues dieser Tage mich so sehr erwischt, weit mehr als einen Preis wünsche ich Obaro Ejimiwe die Kraft, mit dieser Musik weiter leben zu können.