„The Alienist: Angel of Darkness“ (Staffel 2) bei Netflix: Die One-Woman-Show
Dieses Mal ist Dakota Fanning die federführende Ermittlerin. Eigentlich eine gute Sache, nur leider setzt das „The Alienist“-Team mehr auf einen opulenten Look anstatt sich um einen klugen, roten Faden zu kümmern. Schade, denn Fannings Rolle hätte mehr zu bieten. Unsere Meinung zu den neuen Folgen der Erfolgsserie.
Sollte nicht eigentlich Daniel Brühl als Seelenarzt im 19. Jahrhundert zurückkehren? Ja gut, wir kriegen den deutschen Mimen natürlich auch zu Gesicht, aber vor allem sind die neuen „The Alienist“-Episoden auf Netflix für Dakota Fanning eine One-Woman-Show. Für sie gilt es, Babymorde und einen Vermisstenfall aufzuklären. Was auf allen Ebenen spannend klingt, braucht beim Schauen doch viel Durchhaltevermögen. Denn leider hatte es das Serienteam nicht so mit einer geradlinigen, tiefer gehenden Erzählweise.
Aber erst einmal zum Inhalt: Amerika im 19. Jahrhundert, die Straßen sind dreckig, die Armutsgrenze hoch und die gesellschaftlichen Missstände desaströs. Der Unmut der Bürger*innen wabert durch die Gassen des frühzeitlichen New Yorks, in dem die Kriminalität grauenhafte Züge annimmt. Eine Reihe von toten Babys sowie das Verschwinden von Kindern beschäftigt Sara Howard (Dakota Fanning). Als Leiterin ihrer eigenen Detektei geht sie den mysteriösen Vorkommnissen nach und stößt dabei schnell an die gesellschaftlichen Grenzen: Frauen als leitende Ermittlerinnen sind zu dieser Zeit mehr Witz als ernst zu nehmende Detektive. Mithilfe von Dr. Laszlo Kreizler (Daniel Brühl) und Reporter John Moore (Luke Evans) setzt sie alles daran, den Fall zu lösen.
Neuer Fokus, bekanntes Schema
Geheimnisvolle Morde, die sich nicht mit einfachen Motiven erklären lassen, bilden in „Angel of Darkness“ die solide Rahmenhandlung für den Kostüm-Thriller. Damit vertraut die neue Staffel auf das bekannte Muster des Whodunnit-Prinzips und bewegt sich in sicheren Kreisen. Obwohl gegenüber dem ersten Fall, „Die Einkreisung“, das gesamte Kreativpersonal hinter der Kamera ausgetauscht wurde, bleibt die Handschrift der Serie dennoch gleich. Showrunner Stuart Carolan, der zuvor mit dem irischen Drama „Love/Hate“ beachtliche Erfolge feierte, und Regisseur David Caffrey, der beim Dreh von „Peaky Blinders“ in Sachen Kostümdrama Erfahrung sammelte, führen den kreativen Stab an – und wiegen den Zuschauenden zunächst in guten Händen.
Zwar setzen sie mit dem grausamen Staffelauftakt, der die Hinrichtung einer zum Tode verurteilten Frau zeigt, auch eine klare Erwartungsmarke, doch flacht diese im Laufe der ersten Folgen schnell ab. Vielmehr wird der Einstieg verwendet, um das eigentliche Thema in den Fokus zu rücken: die Stellung der Frau zu einer Zeit, in der unumstößliche Rollenbilder als Säulen der Gesellschaft galten. Aus diesem Grund wird Dakota Fanning in ihrer Figur Sara Howard zur heimlichen Hauptfigur der neuen Staffel. Trotzdem hätte hier erzählerisch echt noch mehr gehen können.
Für so viel Feuer viel zu müde gespielt
Inhaltlich setzt „Angel of Darkness“ also mit einem zeitlichen Sprung nach vorn an: Das Ermittlertrio geht getrennte Wege und Sara versucht mit ihrer Detektei ihr eigenes Geschäft aufzubauen. Doch der Fall der verschwundenen Tochter des spanischen Konsuls verlangt die Unterstützung von Dr. Kreizler und Moore. Dass die männliche Hilfe zuvor verschlossene Türen öffnet und Geständnisse entlockt, untermauert Saras Antrieb, den Stimmen amerikanischer Frauen Gehör zu verschaffen. Ein Thema, das im Bezug zum heutigen Feminismus aktueller denn je ist und den acht Folgen eine moderne Note verleiht.
Das Motiv von Sara sollte somit den ausreichenden Push geben, um die Entführungsserie der vermissten Kinder zu stoppen. Bei den Ermittlungen hält sie auch beständig die Zügel in der Hand und nimmt sich die Zeit, den unglücklichen Müttern zu zuhören, wenn es sonst keiner tut. Nur leider kann der dauerhaft schläfrige Gesichtsausdruck von Dakota Fanning dieses Feuer für Gerechtigkeit nicht so ganz widerspiegeln. So recht will die müde Spielweise nicht zum motivierten Charakter der Ermittlerin passen und verlangt auch dem Zuschauer*innen ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen ab, wenn die Episoden auch sonst mal nicht so richtig rollen wollen.
Hinter die Ohren schreiben: Weniger ist mehr
Der Wechsel der Hauptfigur, der Kampf um Feminismus, politische Korruption und laufende Ermittlungen: An aufzuarbeitenden Themen mangelt es den Drehbüchern nicht. Weniger gesellschaftliche Missstände anzureißen und die Suche nach der vermissten Konsultochter im Zentrum zu halten, wäre für die Spannungskurve der Serie aber deutlich hilfreicher gewesen. Stattdessen wird dem titelgebenden „Alienist“ Dr. Kreizler eine unnötige Love Story ans Bein gebunden, während Luke Evans brav an der Seite von Sara pariert. Die beiden männlichen Figuren als Nebenrollen zu bezeichnen, wäre sicherlich übertrieben, doch haben sie in dieser Staffel ihren festen Platz im Hintergrund eingenommen. Blöd nur, dass auch Dakota Fanning ihren neuen Raum nicht so richtig auszunutzen weiß.
Fazit: Was in die Ausstattung und das Szenenbild investiert wurde, sparte Showrunner Stuart Carolan in der Story: Ein optisches Kunstwerk, in dem der Inhalt zu einer konturlosen Fläche verläuft.
Staffel 2 von „The Alienist: Angel of Darkness“ steht ab 22. Oktober 2020 bei Netflix im Stream bereit. Die Produktion einer weiteren Staffel ist noch nicht bestätigt.