PRO & CONTRA

Neues Social-Media-Phänomen Clubhouse: Gut oder böse?


Die neue App setzt auf Exklusivität und Audio. Zugleich schließt sie bewusst Menschen aus. Jakob Baumer und Bea Achterberg haben sich Clubhouse mal näher angeschaut – und sind zu unterschiedlichen Ansichten gekommen.

Joko Winterscheidt ist dabei, Android-Nutzer*innen (noch) nicht: Das neue soziale Netzwerk Clubhouse geht in kürzester Zeit viral und schließt erst einmal viele aus. So könnte zumindest die Schlussfolgerung der Headlines zur neuen Netzplattform lauten.

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Fakt ist: Clubhouse kann man nur nutzen, wenn man einen Einladungslink erhält. Erst einmal angekommen, kann man Räume einrichten und darin Vorträge halten. Ohne Bilder, ohne Video. Nur die eigene Stimme zählt. Ist man Organisator*in eines solchen Raumes, können auch andere Leute ans Mikrofon geholt werden – Diskussionen sind also möglich und gewollt.

Was nicht möglich ist: Kommentare schreiben, Bilder zeigen, Nachrichten versenden. Das unterscheidet Clubhouse wesentlich von anderen Plattformen von Facebook bis Twitter. Alles was geschieht, läuft dazu in Echtzeit ab. Öffentlich gespeichert wird nichts, ein Talk ist im Nachgang nicht mehr abrufbar. Bislang ist Clubhouse lediglich als App verfügbar. Ob sich das in naher Zukunft ändert, ist noch unklar.

Ist die App eine Chance für ein besseres Miteinander – oder am Ende doch nur ein weiteres Instrument, die Menschen von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens abzuhalten? ME-Autorin Bea Achterberg und ME-Autor Jakob Baumer haben in dieser Hinsicht verschiedene Ansichten.

PRO

Audio ist kein Rattenfänger

von Jakob Baumer

Die meisten Apps auf meinem Smartphone haben eines gemeinsam: Bei der Frage „Darf ich auf dein Adressbuch zugreifen?“ lache ich sie aus. Nun bin ich schwach geworden. Beileibe nicht als einziger. Denn Clubhouse macht mir Hoffnung – zumindest ein wenig.

Aktuell wird weniger über den wirklichen Nutzen der App diskutiert als über Technik- und System-Probleme.

Zwei Dinge wurden in den vergangenen Tagen wohl am häufigsten im Netz besprochen: Die App schließe aus, sie sei elitär – man komme nur mit iPhone und Einladung rein. Und sei man ein gehörloser Mensch, könne man mit Clubhouse nichts anfangen.

Das trifft zwar alles zu, ist aber auf keinen Fall nur als problematisch zu sehen. Das mit den Einladungen wird nicht ohne Hintergedanken eingesetzt. Es hilft, dass Server nicht unter der Wucht einer ersten Welle, die es so nie wieder geben wird, zusammenbrechen. Und dass eine App vorübergehend nur auf einem Betriebssystem verfügbar ist, das ist auch keine Seltenheit.

Ein wichtigerer Punkt für mich: Für gehörlose Menschen ist ein Audio-Plattform wirklich alles andere als optimal. Doch bereits jetzt gibt es Programme, die in Echtzeit das gesprochene Wort transkribieren können. Clubhouse befindet sich noch in der Beta-Version. Wenn die Plattform Erfolg hat, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, dass solche Features auch dort eingebaut – und vor allem – weiterentwickelt und verbessert werden.

Die App greift auf alle Kontakte zu, sonst ist sie nicht verwendbar. Selbstverständlich ist das auch wahr und absolut kritikwürdig. Das muss sich ändern, ansonsten dürfte die App für viele zurecht ein Minengebiet bleiben. Zum Angeben der eigenen Rufnummer gezwungen zu werden, das ist hingegen eine absolut legitime Idee. Eine Idee, die insbesondere „normalen“ User*innen zugutekommt. Denn: Rufnummern bekommt man gar nicht so leicht wie Mail-Adressen. Fake-Accounts werden seltener, Sperrungen könnten tatsächlich effektiv sein. Wäre die App also nicht so übergriffig – der Nummernzwang hätte einen pragmatischen Zweck.

Sehr selten diskutiert werden allerdings die Chancen, die Clubhouse bietet. Insbesondere zwei von ihnen sollen hier angebracht werden:

1. Audio ist ein Format der überdachten Meinung

Es gehört Liebe dazu, ein erfolgreiches Audioformat zu produzieren. Vorbereitung ist nötig und immense Arbeit. Audio ist nichts, was in zwei Sätzen knallt. Es ist keine Kachel mit einem wilden Bild und drei wütenden Worten. Es ist ein langsames und skeptisches Kennenlernen. Das dürfte populistischen und verlogenen Menschenfängern nicht gerade in die Hände spielen. Audio ist härter als Video, Audio ist härter als Text! Wer natürlich bereits in einer radikalen Blase gefangen ist, der rutscht über eine so persönliche Kontaktaufnahme noch tiefer hinein. Aber: Gefangen wird man so ganz sicher nicht.

2. Clubhouse ist eine Echtzeit-Plattform

Ein wirrer Post ist keine Katastrophe. Das Schlimmste sind die 100 Geschichten, die ihn stützen. Gerät man einmal in die Fänge eines Irrglaubens und deren Seite auf Facebook, dann sieht man: Post über Post, Artikel über Artikel und alles schreit: Glaube mir! Die anderen wollen dir Böses!

Clubhouse bietet eine solche Plattform nicht. Ich kann live einsteigen und zuhören, wie jemand spricht. Ich kann nicht alle Ansprachen der vergangenen Monate anhören und mich aufstacheln. Das ist gut für Events und Vorträge. Das ist nicht so stark, um ganztägig verfügbare Ideologie-Fallen zu errichten – was ich persönlich toll finde!

Die Gespräche werden natürlich für eventuelle Beschwerden trotzdem von der Plattform gespeichert. Und angeblich soll bei Verstößen gegen die Richtlinien (die „Verbreitung falscher Informationen“ ist hier zum Beispiel konkret verboten) tatsächlich auch der- oder diejenige verantwortlich (und haftbar!) gemacht werden können, der/die den Störenfried zur Plattform eingeladen hat.

Sollte Clubhouse gut surfen und auch über die erste Welle hinaus stehen bleiben, dann hätten die Nutzer*innen die besten Chancen, daraus ein persönliches und hintergründiges Forum zu entwickeln. Ohne Trolle, ohne wütende Kommentare, ohne die Gefahr in eine Schlucht aus Lügen, Clickbaits und Katzen-Memes zu fallen.

CONTRA

Aber hier zuhören, nein danke

Von Bea Achterberg

Im Jahr 2021 ist es so wohl so, dass man die Gespräche seiner Mitmenschen ausblendet, indem man sich Kopfhörer (Airpods bitte!) aufsetzt, um dann anderen Menschen doch bei Gesprächen zuzuhören. Das ist jedenfalls das Konzept der neuen Audio-Social-App Clubhouse, die im vergangenen Jahr in den USA auftrumpfte und am Wochenende in Deutschland an den Start ging.

Der Zugang ist künstlich verknappt, nur mit Einladung per Link bekommen User*innen Zutritt zur App. Im Gegensatz dazu nimmt man es mit dem Datenschutz locker und möchte vor Nutzung der App Zugriff auf alle Kontakte im Handy. Die gehen schnurstracks an die Clubhouse-Betreiberfirma Alpha Exploration.

Der mangelhafte Datenschutz – die Gespräche auf der App werden temporär aufgezeichnet – ist nicht das einzige Manko. Gehörlose oder Schwerhörige sind ausgeschlossen von dieser App, die eine neue soziale Plattform bieten will. Wer hier erwidert, dass Podcasts und Hörbücher auch nicht zugänglich seien für Menschen mit Hörproblemen, möge bedenken, dass Podcasts und Co. transkribiert werden können und ein passives Medium sind.

Clubhouse möchte eine soziale Plattform sein und macht dem App-Namen alle Ehre, indem es den Zugang erschwert. Dass man eine Einladung braucht, um teilnehmen zu können, ist ein cleverer Marketing-Schachzug, aber versinnbildlicht den Snobismus, den Clubhouse ohnehin ausstrahlen will. Man braucht auch ein iPhone, um die App zu benutzen, hier sind wir dann wirklich im Cyber-Elfenbeinturm angelangt.

Wie das reale Leben funktioniert das digitale nur mit Regeln und Richtlinien. Eine übergreifende Moderation ist bei Clubhouse nicht gewollt und wohl auch kaum möglich. Bei der amerikanischen Version fanden sich bereits Audio-Chaträume, in denen rassistische, antisemitische oder LGBTQ-feindliche Äußerungen Gehör finden. So bietet die Plattform eine neue Spielwiese für Menschen, die bei Facebook, Twitter oder Instagram bereits die Rote Karte gezeigt bekamen.

Es bleibt abzuwarten, ob die prominente Querdenker-Fraktion Deutschlands, mit Vertretern wie Michael Wendler und Attila Hildmann, von Clubhouse Gebrauch machen. Ähnlich wie bei Parler, wo Postings nicht auf Fakten gecheckt werden, und das zu einer rechten Trump-Blase verkommen ist, könnten sich dann populistische, postfaktische Meinungsführer auf Clubhouse austoben. Bis die Entwickler*innen der App eine Lösung finden, wie sie nicht zum Tummelplatz extremistischer Gesinnungen werden, bleibt die Möglichkeit bestehen, die Gespräche seiner Mitmenschen zu belauschen. Kopfhörer ab!