Diverse – Factory Records: Communications 1978-1992

Woher die „Electricity“ im Brit-Pop kommt. Oder das wichtigste UK-Post-Punk-Label (aller Zeiten). Noel Gallagher mag ja zu Leuten gehören, deren verbale Beiträge zur Pop-History wenig Essenzielles enthalten, aber wo er Recht hat, hat er Recht. Es spricht einiges dafür, dass es ohne die Bands des Factory Labels aus Manchester die späteren Britpophelden Oasis nie gegeben hätte (und nur beinharte Blur-Fans möchten Factory für diesen Einfluss verfluchen). Noel Gallaghers Interesse an Musik wurde durch eine aus seiner Nachbarschaft kommende Band namens Stockholm Monsters geweckt, die bei Factory veröffentlichte. „Über die Stockholm Monsters lernte man Joy Division und New Order kennen, von dort ging’s zu den Smiths und den (Stone) Roses und den (Happy) Mondays. Und dann hast du deine eigene Band gegründet.“ Danke für die kleine Ahnengalerie des Britpop, Noel! Der große, oft verstörende, ins Maschinelle drängende Soundtrack, der diese Geschichte musikalisch einfasst, ist jetzt auf vier CDs (63 Tracks) erschienen, er wird von einem 72-seitigen Booklet mitsamt Essay und Track-by-Track-Kommentaren eindrucksvoll abgerundet. COMMUNICATIONS 1978-92 beginnt mit Joy Divisions „Digital“ (der ersten Factory-Veröffentlichung 1978) und endet mit einem Remix der Happy Mondays (1992), den Label-Gründer Tony Wilson (1950-2007) als Liebeserklärung an die Band veröffentlichte – als Factory schon bankrott war.

Das Jahr 1978 – die Depression der Thatcher-Ära, der Kater am Morgen nach „No Future“. „Dance Dance Dance To The Radio“, ruft Factory Records 1978 in Manchester Tony Wilson (1950-2007) Joy Divison, New Order, Happy Mondays Jeder mit Factory verbundene „Release“ erhielt eine Nummer, die aus den Buchstaben FAC und einer Zahl bestand. Der Hacienda-Club in Manchester hatte die FAC 51. Die letzte Factory-Katalagnummer trug der Sarg von Labelgründer Tony Wilson: FAC 501. „24 Hour Party People“ (FAC 401) erzählt die Geschichte von Factory Records und Tony Wilson Ian Curtis immerfort in Joy Divisions „Transmission“. Das ist mehr ein Abgesang als eine Hymne auf die Popmusik. So ernst wie Joy Division war es Punk n ie. Das spü rten die Fans, wenn ihnen auch die Texte dieses charismatischen Manchester-Boys so verschlüsselt bleiben sollten wie den Mystikern der Bibelcode. Irgendwo an der Schwelle von Joy Division zu New Order wurde die Verzweiflung tanzbar. Factory wurde das Label, das den Post Punk auf den Dancefloor trieb: nachhörbar auf der Debüt-Single von Orchestral Manceuvres In The Dark, „Electricity“, den Genre-definierenden Veröffentlichungen von New Order („Temptation“, „Blue Monday“) und dem schwer nervösen Frickel-Funk von A Certain Ratio („Shack Up“). Wie Industnal Dancefloor sich auch noch anhören konnte, ist bei weniger bekannten Bands wie Crawling Chaos, Crispy Ambulance oder den Minny Pops zu erfahren. Ein nicht kleiner Teil der Factory-Geschichte ist auf dem Mischpult des Produzenten Martin Hannett (1948-1991) gewachsen, Hannett war der exzentrische Sound-Direktor, der den Gitarrenbands der auslaufenden Punk-Ära jenen elektronisch generierten Raum schenkte, eine virtuelle Maschinenhalle mit Sound-Loops, in der Gitarren und Synthesizer grundsätzlich gleichberechtigt spielten. Nach seinem Label-Ausstieg 1982, das kann man auf CD 3 und 4 hören, zieht Disco bei Factory ein (Marcel Kings „Reach For Love“ klingt wie Michael Jackson auf Party-Drogen). Der notorisch betäubte Shaun Ryder und seine Happy Mondays folgten dem notorischen Heroin-Konsumenten Hannett als Factory-Maskottchen: „Madehester“ sollte zum letzten gefährlichen Beben des Labels werden. Joy Division und (nach Ian Curtis 1 Freitod 1980) New Order bleiben auch nach Durchsicht dieser Labelschau die wichtigsten Factory-Bands, sie verkörpern am intensivsten den Willen, Popmusik als Spielfeld des Wandels zu begreifen.

Ein Programm, an dem die prägenden Figuren des Labels, neben Wilson und Hannett Joy-Division-Manager Rob Gretton (1953-1999) und der Grafiker Peter Saville, intuitiv von der ersten Minute an arbeiteten. Allein die Greatest Hits des Labels zu veröffentlichen, merkt Compiler Jon Savage (Autor der Kulturgeschichte „Teenage“) an, hätte bedeutet, eine New-Order-Happy-Mondays-Box zusammenzustellen. Alles in diese Box zu packen, was Factory je veröffentlicht hat, war andererseits unmöglich. Einges davon wäre auch „kaum hörbar“ gewesen. Dies bleibt auf eine Art eine der Qualitäten des Labels aus Manchester. Es ist auch ein Garant dafür, dass man nach dem dritten Hördurchlauf immer noch Entdeckungen tätigen kann in diesem mattsilbern verpackten Vierer.

www.factoryrecords.info