Ich bin voller Hass – und das liebe ich von Joachim Gaertner

Jedesmal wenn einem Kind der Leistungswahngesellschaft die Sicherung durchbrennt und es sich per Massaker in ein individualistisches Pendant zum Ost-Selbstmordattentäter verwandelt, eine Ikone der Totalverweigerung, kommen die gleichen Sprüche und Forderungen: Waffen wegsperren, Killerspiele verbieten, mehr Psychobetreuung für die Patienten der Humankapitalschaf fungsanstalten. Das ist so sinnvoll, als wollte man das Torkeln untersagen, um dem Komasaufen Einhalt zu gebieten. Nach drei Monaten ist alles vergessen, bis zum nächsten „Amoklauf“. Da liegt der Hund begraben, undjoachim Gaertnerversucht ihn zu exhumieren, indem er die dokumentarische Hinterlassenschaft der Columbine-Attentäter Dylan Klebold und Eric Harris zum Roman verdichtet. Ansätze zur Lösung oder Prävention ergeben sich daraus nicht, außer der makabren Erkenntnis, dass die zwei ihrer sozialen Umgebung ähnlicher waren, als man glaubt, und ihre Taten als Kriegserklärung zu lesen sind an eine Klassengesellschaft, die den Einzelnen entwürdigt und zugleich zur Selbstüberbietung anpeitscht, die ihn ausbeuten, die Zurechtmachung zur Ausbeutung aber seiner „freien Entscheidung“ überlassen möchte. Dass das Buch ein paar Tage nach Winnenden erscheint, ist Zufall. Dass der Verlag Stunden nach den tödlichen Schüssen eine Werbemail in die Welt sendet, hat hingegen einen Geruch, der irgendwie an das Thema erinnert.

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