Why? – Eskimo Snow :: Platte Des Monats

Glamourisierter lndiepop aus dem Bauch des Wohnzimmer-Hiphop.

Why? Macht jeden Satz kaputt. Nach dem Fragezeichen schreibt mein Computer einfach groß weiter. Ein Großbuchstabe als Stolperstein darf sein – wo andere klein denken, hat die Band mit dem satztechnisch verwirrenden Fragezeichen sich ein ungeniertes Think Big auf die Fahnen geschrieben. Nimm die ganz fetten Bassdrums, die moll-molligen Akkorde, die größten Chorsätze, lass das Piano so richtig perlen! Dass diese starke neue Popmusik aus dem durchaus kruden Wohnzimmerhiphop eines Nintendoverliebten Cincinnati-Boys erwachsen ist, der in seinem Singsang eine eigenartige Mischung aus Bekümmertheit und Witz zum Vorschein bringen konnte und so gar nicht fürs große Publikum zu taugen schien, ist doch eine schöne Wendung. Helden wie diese wollen wir. Yoni Wolf gehört zu den Gründern des links vom Hauptfeld beheimateten Labels Anticon, das Hiphop für Leute veröffentlichte, die Fliphop eigentlich nicht leiden können. Erspielt mit Tonbandmaschinen und Worten und Bddern, seit er den 4-Track-Recorder aus der Synagoge seines Rabbi-Vaters entdeckt hat. Erste Soloaufnahmen erschienen vor zehn Jahren, die Band Why? rief er spater mit Bruder Josiah und Doug McDiarmid ins Leben. Seit ALOPECIA (2008) sind auch Andrew Broder und Mark Enckson von den ähnlich expenmentierireudigen Fog mit von der Partie, Das neue Why?-Album ESKIMO SNOW ist seltsamerweise auch schon knapp zwei Jahre alt. Es wurde zur gleichen Zeit wie der Vorgänger in den Third Ear Studios in Minneapolis aufgenommen, später gemischt und nun hinterhergeschoben und ist dennoch das Coming-out eines großen Pop- und Rockverstehers, der Schritt für Schritt neue Dimensionen erobert. Wobei der Faktor Glam eine entscheidende Rolle spielt. Wolfs Gesang fährt in einer einzigen Echospur durch die Songs, er kann selbige auf der Stelle anhalten und wie einen Loop drehen lassen („Into The Shadows Of My Embrace“), die Band hält die Spannung über jede noch so kleine Seitenmelodie. Zimbeln und Vibraphon machen die Folkpassagcn schick, der Chor der Fragezeichen legt die Songs tiefer. Mark Nevers (Lambchop) war entscheidend an der Produktion beteiligt, ein Rest Nashville-Melancholie schimmert durch Stücke wie „Even The Good Wood Gone“ und „This Blackest Purse“ – ein Countrydrama in vollem Ornat. Aufatmen, das ist mal keine zehnmalkluge New-York-Kapelle aus der Animal-Collective-Klasse für „Creative Writing“ oder „Rhythmic Confusion“. “ / ivear the customary clothes ofmy time I Like Jesus dtd zcith no reason not to die.“ Das sind so die Zeilen, die der junge Dylan auch noch gerne geschrieben hätte. Yoni Wolf haut die wüste Poesie im Sekundentakt raus, es hat hier zahlreiche Sequenzen mit grandiosem Exegesepotenzial, gut gecroonte Zufallslyrik, LSD-Metaphern; weiß der Himmel, wo er das alles aufsammelt. Am Ende wird sich der Songwriter auf die Schulter klopfen, weil er zu gut weiß, was sich alles singen lässt, wenn man mit einer Stimme gesegnet ist, die jeden Popklassiker in eine Isolierdecke einpacken kann. Wolf schreibt aber auch schon so etwas wie Klassiker. „The Vowels Pt. 2“ auf ALOPKCIA hatte sich für höchste Aufgaben empfohlen: mit einem unwiderstehlichen Bass-Schellenkranz-Donner, einer Hookiinc, um die Paul McCartney ihn beneiden würde, einem Refrain, der ein paar Tausend Mal „Cheeree-ay, Cbeeree-ee, Cbeeree-i, Chceree-o“ runterbetet. Am Ende lässt Wolf das Stück 60 Sekunden auf einer Soundschleife auslaufen, die plötzlich von Beat und Chor gekillt wird. Beste Eröffnungszeile 2008: „I’m not a lady’s man I l’ma landminc.“

Heute ist man natürlich schlauer und hat das Talent des Cincinnati-Boys schon in seinen Frühwerken ausgemacht: Das Debüt OAKLANDAZULASYUiM aus dem Jahr 2003, spätestens ELEPHANT EYELASH zwei Jahre später demonstrierten die Unerschrockenheit, mit der Wolf an seinen Epiken und Kleinstnotizen arbeitete. Das Rezept für diese süffigen Sounds war schon vorhanden, dann tauchten Anklänge an Jay-Z und Eminem auf, Referenzen an Smog und Pavcmem, und manchmal kopiert der Nerd Wolf die Melodien aus seinen Albträumen direkt auf Tape. Zwischendurch findet er Zeit, mit Anticon-KoUegen und anderen Freigeistern die amerikanische Popgeschichte in Kleinstauflagen zu dekonstruieren. Dass sich da also eine gehörige Vorgeschichte auftut, die aus den verstaubten, vergessenen Ecken der US-Highschoolkultur in den breitbackigen Bush-Jahren erzählt, ist kaum mehr zu übersehen. Es gibt ein paar noch zu hebende Schätze von kuriosem archäologischem Wert, die auf einen Spitzenforscher im Fachbereich Roots warten. Greil Marcus, googeln Sie doch mal Objcct Beings, Apogee oder ReachingQuiet!