Bayonetta :: Lost In Translation

Kaum zu glauben, was gerade geschehen ist: Soeben hat die Hauptdarstellerin des Spiels „Bayonetta“ einen Dämon aus der Unterwelt in eine herbeigehexte Guillotine geschubst. Während dessen erschießt sie, mit den in ihren Hacken eingebauten Pistolen weitere Angreifer. Sie dreht sich zum Dämonen, der enthauptet werden soll. Sie tritt zu, mehrere Male, bis sich der Kopf des Monsters direkt unter dem Fallbeil befindet. Der Soundtrack dazu: Eine J-Popversion von Smatras „Fly me to the Moon“. Titel des Songs jedoch „In other Words: I love you“. Bis zu dieser Spielszene sind genau 28 Minuten vergangen. 28 Minuten in denen manche Spieler verzweifeln. Verzweifeln, weil jeder der sich nicht wenigstens ein bisschen mit der japanischen Spaß-, Pop- und Videospielkultur auskennt, einem Sturm an unverständlichen Bilder und Informationen ausgesetzt wird. Und zu behaupten, die Story um eine wiederauferstandene Hexe, die mit aller Macht und Schuldigkeit Dämonen zum Platzen bringt, die Welt retten soll und dabei verzauberte Lollis lutscht, sei verständlich, ist einfach töricht. Trotzdem, „Bayonetta“ gilt als eines der besten Spiele des Jahres 2010. Dafür gibt es genau einen Grund: Dieser japanophile Alptraum macht den Spieler atemlos. Und das ist durchaus im physiologischen Sinne gemeint. Eine aberwitzige Sequenz folgt der nächsten. Im freien Fall Drachen töten, während man riesigen Brocken eines Gebäudes ausweichen muss, mit einem Motorrad senkrecht an einer ins All startenden Rakete entlangfahren. Zeit zur Reflektion bleibt keine, warum auch, wer hier versucht zu reflektieren hat eh verloren. „Bayonetta“ ist in seiner fast schon pornographischen Absurdität eine Liebeserklärung an eine Kultur, die im Okzident kaum verstanden wird – und in jeder Hinsicht eine schamlose Übertreibung. Die Kämpfe, die Figuren, die Brüste, die Musik, alles wirkt wie aus einem Guss, jedoch maßlos überzeichnet. Die Schönheit dieses Spiels muss gelernt werden und dafür braucht es Geduld. Wer es schafft sich der Bilderflut hinzugeben und nicht mehr nachzudenken, erlebt eine virtuelle Welt, die so einmalig ist wie die japanische Kultur selbst, wird Teil eines Spiels, dass in seiner spielerischen Perfektion unübertrefflich ist. Nach zwölf Stunden, schwer atmend, wird der ausdauernde Spieler den Controller sinken lassen, sich Schweißperlen von der Stirn wischen und mit einem Gefühl der Überforderung zurückgelassen. Und dann wird deutlich: Wenn Videospiele Emotionen verursachen, im Falle von „Bayonetta“ ist es entsetzliche Verwirrtheit, dann ist es ein gutes Spiel. Und das ist „Bayonetta“ auf jeden Fall. Auch wenn nach 12 Stunden immer noch nicht so richtig klar ist, worum es nun geht.