Der kleine Prince :: Backkatalog: Palace (Brothers/Music/Songs)
Das Frühwerk des aktuell als Bonnie "Prince" Billy bekannten Künstlers kommt einer Neubestimmung von Country und Folk in der rockmusikalischen Einöde der 1990er gleich.
Die Zeiten, da kaum eine Unterhaltung ohne das Wort „seltsam“ in Zusammenhang mit Will Oldham auskommen konnte, reichen 15 Jahre und mehr zurück. Wahrscheinlich musste das in den hoffnungslos langweiligen 1990er-Jahren so sein, weil Oldham all das infrage stellte, was hoffnungslos langweilige Folk und Country Music damals verkörperten. Auf der Suche nach deren Ursprüngen ließ er seinen Geist frei schweifen und die Instrumente in den richtigen Momenten schweigen. Man wird bei Oldham an die wilden Kerle und schratigen Typen auf Harry Smiths berühmter Anthology Of American Folk Music erinnert, man kann ferne Echos der Yodel-Boys von den Mountains hören und die Gebete der Blues-Howler vor dem Herrn.
Es ist ein dunkler, reduzierter, oft langsamer Folk, den der Sänger und Songwriter aus Louisville, Kentucky für eine Gemeinde von Indie-Rock-Fans entdeckte, die noch nicht wusste, wie sehr sich ihre Plattenregale mit dem Erscheinen der Palace- Alben verändern würden. Oldhams Stimme konnte wie die eines 100-Jährigen klingen und erzählte doch vom Jetzt – mit einem kuriosen Murmeln, einem verhuschten Rufen, einem holperigen Jammern, einem Nisteln aus dem Kopf heraus. Die ersten vier Platten unter den Bandnamen Palace Brothers, Palace Music und Palace Songs legten den Grundstein für diese Neubestimmung mit Blick auf die Roots, sie brachen mit den vermufften Folk- und aufgedunsenen Folkrock-Konzepten der 70er und 80er und öffneten die Tore für eine Musik, deren Wurmfortsätze bis in die Freak-Folk-Szene der letzten Jahre und die heute gar nicht mehr so „seltsamen“ Platten der Beardo-Bands reichen. Oldhams aktuelles Label Domino hat nun das Palace-Frühwerk wiederveröffentlicht, ergänzt um die 1997 erschienene fabelhafte Zusammenstellung Lost Blues And Other Songs *****, auf der vor allem frühe Singles („Ohio River Boat Song“) und B-Seiten versammelt sind.
Als Will Oldham 1993 There Is No One That Will Take Care Of You ***** veröffentlichte, war die Zeit noch nicht reif für Veränderung. Bands wie Uncle Tupelo und die (voriges Jahr wieder ins Leben gerufenen) Jayhawks definierten das Verhältnis von Alt-Rock und Country in holzschnittartigen, grobkörnigen Aufnahmen. Die Palace Brothers entwickelten von Anbeginn an eine fragilere, gebrochenere Art von Country und Folk. Will Oldhams Worte purzelten wie Krümel alten Gebäcks aus der Kehle, als wollte er uns noch eine Vorstellung von dem schlechten Geschmack auf den Weg geben, den Verzweiflung und Verletztheit hinterlassen können. Hin und wieder spielte er schon seinen schwarzen Humor aus, der den Hörer auf den Teppich zurückholen sollte. Obacht, hier kehrt niemand sein Innerstes autobiografisch nach außen, der Künstler surfte vielmehr voller Empathie durch die Welt der Alleingelassenen. Das Album klang wie der Live-Mitschnitt einer ziemlich betrübten Hillbilly-Mischpoke, die jeden Sonntag draußen auf der Veranda probte, und nicht wie das Debüt eines 22-jährigen Sängers und Songwriters.
Days In The Wake **** (1994), ist das erste „Soloalbum“ Oldhams, die Songs hat er bis auf ein paar Background-Vocals alleine aufgezeichnet, seine Stimme scheint aus dem Hinterzimmer auf die Bühne zu wandern, so kommen die zarten Melodien irgendwie verspätet in den Liedern an. Will Oldham zelebriert das „Grand Dark Feeling Of Emptiness“ (späterer Songtitel auf Ease Down The Road mit minimalen Mitteln (Gitarre und Gesang), bekennt sich zwischendurch aber auch zum leichtherzigen, hübschen Lied. „Jeder Will-Oldham-Song klingt bekannt und auch wieder fremd, alt und auch wieder neu, ausformuliert und gebrochen, komplett und unvollendet.“ Eine schon für die ersten Platten treffende Beschreibung, die von Sean O’Hagan stammt, der für die Arrangements auf dem kommenden Mini-Album Hope **** (1994) verantwortlich war und den Oldham-Sound um ein Piano erweiterte.
Viva Last Blues ***** (1995) ist das erste von vielen Oldham-Meisterwerken. Über die Strecke von zehn Songs demonstrierte die Band Palace, dass ihr Verständnis von Country und Folk auch in einem losen Rock-Kontext funktionierte, ohne im Entferntesten an den Country-Rock der Altvorderen zu erinnern. Slowcore, Sadcore, Country, Rock oder Folk Noir – was das hier eigentlich war, musste niemand mehr interessieren. Es war Palace Music. Oldham spielte sich mit großartigen Songs von den Konventionen frei und gab dem staunenden Publikum gleich ein paar Kostproben seiner idiosynkratischen Bilderwelt mit auf den Weg: „If I could fuck a mountain, oh lord I would fuck a mountain“ („The Mountain Low“). Viva Last Blues war das Album, auf dem der Sänger mit der verlorenen Stimme sich seiner selbst vergewisserte, mit all der Kraft seiner Lungen und den verzerrten Gitarren im Klassiker „Work Hard/Play Hard“. Im nächsten Song gelingt ihm die Ballade, die in einer besseren Welt in Fußballstadien abgesungen würde, „New Partner“ mit der hymnisch dahingejaulten Zeile „You were always on my mind“. Steve Albini an den Reglern balancierte diesen Drahtseilakt zwischen Country und Punk wunderbar aus. Die Band mit Bruder Ned, Bryan Rich, Jason Loewenstein (Sebadoh) und Liam Hayes (Plush) verpasste Will Oldham das elektrische Futteral für seine frisch gestärkten Expeditionen – auf eine kraftvolle Art laid back, rau, melancholisch. Ein Vorgeschmack auf den Künstler, der bald Bonnie „Prince“ Billy heißen sollte.
Später wurde Will Oldham durch die Johnny-Cash-Aufnahme seines Songs „I See A Darkness“ geadelt, deutete an, dass er live Neil Young an die Wand spielen könnte, wenn er wollte, und verweigerte Wim Wenders zwei bereits veröffentlichte Songs für einen Soundtrack, weil er diese nicht noch einmal verkaufen wollte. Aber das sind andere Geschichten und niemand wird heute im Zusammenhang mit Will Oldham noch einmal behaupten, dass irgendetwas „seltsam“ wäre. Will Oldham ist nicht weniger als das Maß aller Dinge in der etwas anderen Folk- und Countrymusik.
Name Will Oldham
Veröffentlichte unter folgenden Namen
Palace, Palace Music, Palace Songs, Palace Brothers, Bonnie „Prince“ Billy, Bonny Billy, The Anomoanon
Genre Folk, Country, Singer/Songwriter
Aktiv von 1987 bis heute
Bewundert(e) Merle Haggard, Lou Reed, Phil Ochs, Mickey Newbury, The Fall, R. Kelly
Wurde/wird bewundert von Johnny Cash, Björk, Iron & Wine, Scout Niblett, Jeffrey Lewis
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