Fruitvale Station :: Regisseur: Ryan Coogler, USA 2013
Der Mensch hinter der Statistik: Das New Black Cinema hat immer noch einen Traum.
Es ist zwei Uhr morgens am 1. Januar 2009, als eine vermeintlich harmlose Situation an der U-Bahn-Station Fruitvale in einem Arbeiterviertel von Oakland eskaliert: Als der junge Polizeibeamte Johannes Mehserle seine Dienstwaffe zückt und dem 22-jährigen Oscar Grant Jr., der von einem anderen Polizisten mit einem Knie im Kreuz auf dem Boden gedrückt wird, in den Rücken schießt. Was genau zu dem Vorfall führte – ob es kaltblütige Absicht war, ob Mehserle aus Panik überreagierte oder, wie er später aussagte, seine Pistole mit seinem Elektroschocker verwechselte – das ist ungewiss, obwohl es mehrere Handyvideos gibt. Was man in diesen Filmen aber ganz sicher sieht, ist das Chaos der Situation, die Aufregung der Menschen, die Brisanz des außer Kontrolle geratenden Einsatzes.
Die authentischen Aufnahmen stehen am Anfang von Ryan Cooglers beeindruckendem wie beklemmendem Regiedebüt. Und sie lassen den Zuschauer nicht mehr los – den ganzen Film über, der am Ende unweigerlich wieder am Anfang ankommen und vom sinnlosen Tod eines Menschen erzählen wird. Weil man weiß, was kommen wird, was kommen muss, liegen sie wie ein bleierner Teppich über den Bildern der letzten Stunden im Leben des jungen Mannes. „Fruitvale Station“ ist ein Film über Amerikas nicht ganz einfaches Verhältnis zur Hautfarbe – erzählt aus der Sicht eines jungen schwarzen Filmemachers, im Jahr der amerikanischen Rassismusdebatte um den Freispruch des weißen Waffennarrs George Zimmerman, der 2012 in angeblicher Notwehr den schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin erschoss.
Aber Coogler überreizt die afroamerikanische Perspektive nicht: Sein Film ist über weite Strecken leicht, seine Haltung zum Stoff optimistisch. Er zeigt, dass Martin Luther Kings Traum vielleicht doch längst angekommen ist in der Gesellschaft, in der Schwarze sich nicht mehr bloß über ihre Hautfarbe definieren müssen. Denn wenn die U-Bahn aus San Francisco nicht an eben jener Fruitvale Station Halt machen würde, könnte der Film auch eine moderne Romantic Comedy sein über einen etwas haltlosen Hallodri, der sich entscheiden muss, ob er sich zu seiner Hispanic-Freundin bekennen oder weiter herumflirten will. Natürlich ergreift Coogler Partei für diesen Small-Time-Hustler, den Michael B. Jordan mit einem Höchstmaß an Entspannung spielt, aber er zeichnet nicht das Bild eines Heiligen, sondern das eines einfachen Mannes, der es nicht verdient hat an diesem Neujahrtag zu sterben. Ein wichtiger Film, gerade jetzt, wo Zimmerman auf Waffenshows Autogramme umjubelt verteilt.
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