Bryce Dessner von The National: „Musik ist eine wunderschöne Kraft, die verbindet“
Bryce Dessner ist Gitarrist bei The National und komponiert klassische Musik. Wir haben mit ihm über Corona, Musik als Protest und das neue Album der Band gesprochen.
Bryce Dessner steht mit beiden Beinen im Leben. Die Beine machen nur völlig unterschiedliche Dinge. Dessner ist einerseits seit 2003 Teil der Indie-Rockband The National. Er spielt dort an der Seite seines Zwillingsbruders Aaron Gitarre, Piano und Keyboard. Auf der anderen Seite komponiert der 46-Jährige klassische Musik und konnte sich einen Namen als Soundtrack-Experte machen. Dessner produzierte etwa den Score für das Netflix-Drama „The Two Popes“ und den Survival-Film „The Revenant“.
Ausschlaggebend für Dessner war immer die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen. Das gilt sowohl für seine Karriere als Gitarrist als auch für sein Schaffen als Komponist. Dessner spielte unter anderem mit Indie-Darling Sharon van Etten, Sufjan Stevens und Paul Simon. Als Produzent zeichnete er sich verantwortlich für Taylor Swifts Folk-Album „Evermore“ und auch in seiner Rolle als Komponist arbeitete er mit großen Namen. Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu, der 2014 für „Birdman“ den Oscar gewann, holte Dessner ein Jahr darauf für den „The Revenant-“Soundtrack ins Boot. MUSIKEXPRESS erreicht den immerzu beschäftigten Bryce Dessner auf seinem Telefon.
MUSIKEXPRESS: Du hast in einem Interview einmal gesagt, dass du Musik machst, um etwas zu lernen und dass du gerne herausgefordert wirst. Ist es schwierig nach 23 Jahren mit The National und denselben Bandmitgliedern immer noch herausgefordert zu werden?
Dessner: Aus irgendeinem Grund ist es gar nicht schwierig (lacht). Weil wir jedes Mal das Rad neu erfinden wollen – also wir versuchen neue Sounds zu finden, neue Arten zu arbeiten und neue Künstler*innen mit denen wir arbeiten können. Im Englischen gibt es dafür ein Wort „evergreen“, – also ein fruchtbarer Boden, der nie aufhört zu wachsen. Nach 23 Jahren sollte der Boden eigentlich schon alt sein, überraschenderweise ist er das aber nicht.
Du hast in deiner Karriere mit Künstler*innen wie Taylor Swift, Phillip Glass oder Sharon van Etten gearbeitet. Wie bist du mit ihnen in Kontakt gekommen?
Hm…auf unterschiedliche Art und Weise. Manche kommen zu uns, weil sie unsere Musik mögen, aber viel geht auch über gemeinsame Communities. Wir haben zum Beispiel eine Zeit in New York gelebt und Phillip Glass kenne ich aus New York, dort habe ich mit ihm in den späten 90ern und frühen Nuller-Jahren gemeinsam gespielt. Musik ist einfach eine wunderschöne Kraft, die verbindet. Du kannst sehr schnell, sehr nah an Leute kommen, wenn du die Leidenschaft zur Musik teilst.
Gibt es jemanden, mit dem du gerne in der Zukunft zusammenarbeiten würdest?
Um ehrlich zu sein, bin ich gerade sehr zufrieden, einfach nur mit der Band zu arbeiten. Wegen der Pandemie haben wir zwei Jahre lang keine Show spielen können, also ist es sehr erfrischend wieder auf der Bühne zu sein, vor allem mit unserem Drummer Bryan Devendorf. Für mich ist er der beste Drummer, den es gibt. Es ist großartig mit ihm zu spielen. Manchmal ist es einfach nett nach Hause zu kommen und mit deiner Familie Musik zu machen.
Du hast Corona erwähnt: Wie hat die Pandemie das Proben mit The National verändert?
Corona war eine schwierige Zeit. Aber vielleicht haben wir nach 20 Jahren auch eine Pause gebraucht. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, ob es die Band nach Corona noch geben wird. Wie für viele Bands war es wirtschaftlich keine einfache Situation, ich glaube wir mussten über 100 Shows absagen. Weil es so schwierig war, gemeinsam Musik zu machen, haben wir uns alle mit anderen Projekten beschäftigt. Trotzdem sind wir sehr dankbar, dass wir diese Zeit mit unseren Familien verbringen konnten. Wir haben alle kleine Kinder und es war schön, eine Pause von dem permanenten Reisen zu haben. Es hat die Band auf jeden Fall verändert, jetzt gibt es eine neue Energie.
Konntest du dich während Corona auch der Musik widmen oder hast du dich mit anderen Dingen beschäftigen müssen?
Die Band (The National) hat ein Album während der Pandemie aufgenommen. Wir haben es tatsächlich geschafft, es ist auch schon fast fertig.
Gibt es für das Album schon ein Release-Date?
Ich weiß nicht, wann das Album erscheinen wird, aber wir werden im Sommer die Songs schon live spielen. Das Album ist wirklich fast fertig, wir kümmern uns nur noch um Kleinigkeiten. Es wird entweder Ende dieses Jahres oder Anfang 2023 erscheinen.
Gibt es auch schon einen Albumtitel?
Ja, den gibt es schon. Ich darf ihn leider nicht sagen, sonst töten mich die anderen. Sorry.
In einem Interview mit deinem Bruder habt ihr einmal gesagt, dass ihr emotionale und bildreiche Musik macht. Wie entsteht bildreiche Musik ?
Für uns war immer klar: Wenn wir Musik machen, dann muss die Musik einen Herzschlag haben. Sie muss eine emotionale Verbindung aufbauen, noch bevor es einen Songtext gibt. Das trifft sowohl auf einen Song zu als auch auf klassische Musik. Ich glaube durch diese Emotionen entstehen Bilder in den Köpfen der Hörer. Wir hören oft, dass unsere Musik sehr visuell ist und für mich ist das ein Kompliment. Musik ist wie eine universelle Sprache, die keine Wörter und keine Bilder braucht. Sie kann selbst kommunizieren. Aber es ist immer interessant zu sehen, was die Fans anspricht und welche Emotionen Musik auslösen kann.
Du hast für den Netflix-Film „The Two Popes“ den Soundtrack gemacht und für „The Revenant“ auch. Wie funktioniert die Arbeit mit den Regisseuren? Wie viel Freiraum geben sie dir?
Die großartigen Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, sind sehr offen. Iñárritu – ich habe erst vor kurzem mit ihm für seinen neuen Film gearbeitet, der dieses Jahr herauskommen wird – ist wahrscheinlich einer der inspirierendsten Künstler. Ein guter Regisseur ist offen für Ideen und umgeben von talentierten Menschen. Das würde ich über Meirelles (Regisseur von „The Two Popes“, Anm. d. Red.) auch sagen. Er hat mich nicht angewiesen, was ich machen soll, sondern er hat mich erkunden lassen. Kontrollierend waren die weniger guten Regisseure, die nur wollten dass ich einen Sound reproduziere.
Um jetzt über aktuelle Konflikte zu sprechen: Du hast einmal gesagt, dass Musik ein Ort der Wohlfühlens und der Rettung ist. In Zeiten wie diesen – würdest du dieser Einstellung immer noch zustimmen?
Ich glaube Künstler*innen sollten ehrlich sein. Ehrlich mit sich selbst, aber auch ehrlich mit dem Publikum. Ich glaube, Kunst ist auch jetzt wichtig, nicht nur als Ort des Wohlfühlens, sondern auch als Ort, wo ehrliche Gefühle und Emotionen geteilt werden können. Das ist für mich der Unterschied zwischen Kunst und Marketing. Marketing hat immer einen Hintergedanken. Natürlich spielt Musik im Vergleich zu dem unfassbaren Leid, das Menschen erleiden, nur eine kleine Rolle, aber es kann Balsam für die Seele sein.
Ist Musik für dich immer politisch, auch wenn sie eben explizit nicht politisch ist?
Ich glaube, dass Kunst eine Art des Widerstands sein kann. Ich glaube, dass Diktaturen oder die Verweigerung von Frauenrechten, Kreativität unterdrücken. Das ist alles eine Form der Unterdrückung. Ich glaube, dass Kreativität genau gegen solche Form der Unterdrückung protestiert. Kunst machen ist für mich also eine Form des Aktivismus.
Gibt es Musik, die du selbst hörst wenn du dich von politischen Konflikten überwältigt fühlst? Oder machst du dann lieber selbst Musik?
Während der Pandemie habe ich lustigerweise viel japanische Ambient-Music aus den 80ern gehört. Dann natürlich auch klassische Musik, aktuellere Songs eher wenig, um ehrlich zu sein. Die hat mich irgendwie bedrückt, während Musik von Komponisten aus dem 12. Jahrhundert mich entspannt hat.
Weil du erwähnt hast, dass du wenig aktuelle Musik gehört hast – würdest du sagen, Musik ist für dich eine Form des Eskapismus?
Na ja, ich höre mir schon Musik von Freunden oder Künstler*innen, mit denen ich zusammenarbeite, an. Das ist immer interessant. Das neue Kendrick-Lamar-Album fand ich auch großartig, aber ich entdecke Musik am liebsten live. Das war aber lange nicht möglich, darum habe ich vor allem klassische Musik gehört.
Mittlerweile muss es aber wieder einfacher sein, Live-Musik zu hören.
Ja, heute waren in Oslo, wir spielen wieder Konzerte und sind gespannt, Bands wieder live sehen zu können. Musik gemeinsam mit Menschen zu erleben, ist sehr wichtig, finde ich.
Wie fühlt es sich an, wieder auf Tour zu sein?
Großartig. Nachdem wir drei Jahre nicht spielen konnten, waren wir das erste Mal in Spanien wieder auf der Bühne. Dabei war es lange nicht einmal klar, ob wir überhaupt auftreten dürfen. Die Wärme, die Liebe und die Energie auf der Bühne wieder zu spüre, das war einzigartig, obwohl wir schon so viele Auftritte hinter uns haben. Wir waren zuerst unsicher, weil wir für die Tour kein neues Album haben, aber es war toll, die alte Musik wieder zu entdecken. Wir spielen Songs, die 20 Jahre alt sind, Songs, die drei Jahre alt sind und Songs, die noch nie jemand gehört hat und sie fühlen sich alle neu an. Und die Reaktion des Publikums war etwas besonderes, es hat mich wirklich überrascht.
Habt ihr im Publikum gespürt, dass sich die Menschen sehr nach Konzerten gesehnt haben?
Ja, ich denke schon. Und Songs sind wie alte Freunde, viele Menschen durften ihre Freunde wegen der Pandemie ja nicht sehen, und bei den Auftritten können sie dann ihre alten Freunde wieder sehen. „Ach, da bist du ja“- es ist wie ein Wiedersehen mit jemanden, den man vermisst hat.
Wie hat es sich für dich auf der Bühne angefühlt? Hast du dich sofort wohl gefühlt oder warst du wegen der Pause noch verklemmt?
Weil wir schon so oft gemeinsam aufgetreten sind, gab es viele Routine auf der Bühne. Und diese Gewohnheiten zu vergessen, war, denke ich, sehr gesund für uns. Wir haben vieles wiederentdeckt und das war sehr schön.
Wie bereitet ihr euch auf eine Show vor?
Auch das haben wir verändert. Es gibt eine neue Energie in der Band, die sich weniger destruktiv anfühlt. Weniger Alkohol zum Beispiel. Wir gehen an Auftritte auf jeden Fall „gesünder“ heran. Vor der Show erkunden wir zum Beispiel gerne die Stadt. Da schauen wir uns Museen an oder finden nette Restaurants. Ich glaub vor einem Auftritt muss man mit dem Veranstaltungsort eine Art Verbindung finden. Die Konzerthallen sind immer gleich, aber das Publikum nicht.
Ich habe gelesen, dass du ein großer Fan der Stadt Cork bist. Gibt es noch andere Städte, in die du dich auf Tour verliebt hast?
Es gab so viele Städte, in denen wir spielen durften…Brasilien, Japan und Mexiko waren als Länder faszinierend kennenzulernen. Auch in Berlin, Hamburg und Wien war es toll. Einer unser ersten Shows war in Innsbruck, dort konnten wir die Berge erkunden und wandern gehen. Auch viele, kleine Städte in Deutschland wie Heidelberg oder Freiberg waren wirklich schön. Die hätten wir sonst niemals kennengelernt. Wenn es um das Publikum geht sind auf jeden Fall die irischen Fans am verrücktesten. Dasselbe gilt auch für Portugal und Kroatien. Konzerte dort sind einfach der Wahnsinn- du kommst auf die Bühne und die Fans singen lauter als du.
Du hast angesprochen, dass du erst vor kurzem mit Iñárritu gearbeitet hast. Gibt es noch etwas, woran du gerade arbeitest?
Die zwei größten Projekte sind auf jeden Fall das neue „National“-Album und der Soundtrack für Iñárritu. Ich arbeite aber auch immer wieder mit meinem Bruder, der viele Alben produziert.
The National auf Tour – präsentiert von MUSIKEXPRESS
- 13. Juni 2022 Hamburg Stadtpark – THE NATIONAL + Special Guest Courtney Barnett
- 15. Juni 2022 Berlin Zitadelle – THE NATIONAL + Special Guest Jehnny Beth
- 16. Juni 2022 Gelsenkirchen Amphitheater – THE NATIONAL + Special Guest Courtney Barnett