Little Simz
NO THANK YOU
Forever Living Originals / AWAL
Der Versuch, dem Durchbruch ein ebenso großartiges, aber lässigeres Rap-Werk folgen zu lassen, gelingt auf ganzer Linie.
Zwischen höflicher Ablehnung und einem „Fuck you“ liegen manchmal nur Nuancen, zumindest bei Little Simz. Wenn sie in „No Merci“ davon erzählt, lieber die Klappe zu halten, wenn sich andere aufspielen müssen („Whenever they chat shit, I just say nada“), spricht sie das freundliche „Nein, danke“ aus dem Songtitel anschließend aus wie „No mercy“: Keine Gnade!
Zu wem oder was die Londoner Rapperin hier so rabiat Nein sagt, verrät sie in „Angel“, dem Opener ihres neuen Albums NO THANK YOU: zum dreckigen Business, zur Musikindustrie, zu allen, die nun ein Stück abhaben wollen von der Genialität dieser Selfmade-Künstlerin mit dem bürgerlichen namen Simbiatu „Simbi“ Abisola Abiola Ajikawo, die 2021 nach Jahren im Geheimtipp-Limbus mit ihrem opulenten Album SOMETIMES I MIGHT BE INTROVERT ihren bis dato größten Erfolg feierte – nicht nur bei Kritiker*innen und der Jury des Mercury Prize, sondern tatsächlich auch bei den zahlungswilligen Fans.
NO THANK YOU ist ein Album, das sich allen Vereinnahmungsversuchen widersetzt
Ohne großes Vorfreudezinnober hat Simz NO THANK YOU, das berühmte schwere Album nach der Superplatte, kurz vor Jahresende auf den Markt geworfen. Das große Orchester, das ihren klassischen, technisch enorm versierten Boom-Bap-Rap auf SOMETIMES I MIGHT BE INTROVERT zum Riesenspektakel aufgeblasen hatte, spielt hier und da auch auf NO THANK YOU, doch den ganz großen Aufschlag verweigert Simz diesmal sehr bewusst allen, die sie nun als Maximalistin auf dem Zettel hatten.
Wenn man so will, verhält sich NO THANK YOU zu SOMETIMES I MIGHT BE INTROVERT ein wenig wie Kendrick Lamars schlankes DAMN. zum epochalen, in Jazz und Funk ausfransenden Vorgänger TO PIMP A BUTTERFLY: Es ist ein Album, das sich allen Vereinnahmungsversuchen widersetzt, souverän und in manchen Gesten ostentativ low key.
Simz’ unbedingten Willen, SOMETIMES I MIGHT BE INTROVERT etwas nicht minder Bedeutungsvolles, dafür aber lässiger Hingeworfenes folgen zu lassen, spürt man gleich beim zweiten Song „Gorilla“, einer unverschämt tollen Retronummer, in der Simz zu einem schlichten Akustikbassriff dem verstorbenen Rapper Mac Miller die Ehre erweist – und sich selbst gleich dazu.
Als Produzent hat sich Simz einmal mehr ihren Jugendfreund Inflo, der (mit großer Wahrscheinlichkeit) hinter dem Kollektiv Sault steckt, ins Haus geholt. Der darf nun ausspielen, was auch den Sound von Sault so unwiderstehlich macht: Songs wie „X“ klingen mit ihren Gospel- und Soul-Momenten – eingesungen von der R’n’B-Sängerin Cleo Sol, die (ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit) auch Sault ihre seidentuchfeine Stimme leiht – so warm und erhaben, als befinde man sich in einem Museum der Schwarzen Musikgeschichte.
Little Simz kämpft umwerfend um ihre Integrität
„How can I stand with the opps and not with the tribe?“, fragt Little Simz in „Angel“: Wie könne sie es verantworten, aufseiten der Unterdrücker und nicht ihrer Leute zu stehen? Was wie eine rhetorische Frage klingt, ist das gar nicht mal unkomplizierte Kernanliegen von NO THANK YOU: Little Simz, die Hochgelobte und Vielgeliebte, kämpft um nicht weniger als ihre Integrität. Kämpft darum, glaubhaft kämpferisch bleiben zu dürfen. Sagt gnadenlos „Nein“, um nicht irgendwann selbst gnadenlos zu werden. Und klingt dabei ganz nebenbei so umwerfend, dass man sich vor Freude ins Knie beißen will.
Little Simz‘ neues Album NO THANK YOU im Stream: