Else Admire, der König der Denkspiralen
Hier die 27. Folge von Jan Müllers „Reflektor“-Kolumne, in der er erklärt, warum ein "Else Admire & The Breitengüssbach Dolls"-Konzert wie ein Gottesdienst ist.
Ich bin auf dem Weg zur „Kirche von Unten“ in Friedrichshain. Eigentlich folgerichtig, dass Else Admire mit seinen Breitengüssbach Dolls ausgerechnet dort auftritt. Denn ein Konzert mit seiner Musik ist einem Gottesdienst gleichzusetzen.
Zuerst wahrgenommen habe ich Else 1994 mit seinem beachtenswerten Single-Hit „Metzgereiverkäuferin“. Die Mischung aus Rock’n’Roll, Punk und Nachkriegsschlager hat er im Grunde bis heute beibehalten. Näher kennengelernt habe ich Else dann 1999 in München im Rahmen der Dreharbeiten seines Remakes des Films „Plan 9 From Outer Space“. Wir sind mit Tocotronic als Nebendarsteller engagiert. Ich bin beeindruckt, als er ein Erdbeben durch hektisches Wackeln der Videokamera inszeniert. Damit qualifizierte er sich als durchaus würdiger Nachfolger von Ed Wood, dem Regisseur des Originals. Leider konnte er seinen Film nie fertigstellen. Er hat sich durch dieses Vorhaben sogar erheblich verschuldet.
In den folgenden Jahren bin ich Else immer wieder begegnet. Meist, wenn wir mit Tocotronic in der Nähe seiner Heimat Bamberg spielten. Sein Auftritt bei unseren Auftritten ist immer der gleiche: Er drängelt sich (mit Lederjacke und Sonnenbrille bekleidet) kurz nach Beginn des Konzerts in eine der vorderen Reihen und platziert dort einige witzige bis ungehobelte Bemerkungen, um sich kurz darauf kopfschüttelnd wieder von der Bühne zu entfernen. Nach dem Konzert findet er rasch seinen Weg in den Backstageraum und spart keineswegs mit massiver Kritik an unserer musikalischen Darbietung. Zuvor hat er bereits diverse seiner eigenen Tonträger an unserem Merchandising-Stand platziert (meist mit Hinweisschildern wie „von Tocotronic dringlich empfohlen“ o.Ä. versehen). Teile meiner Band nervt dieses Else-Happening durchaus. Ich hingegen freue mich jedes Mal wieder, ihn zu sehen.
Verblüffende Denkspiralen sind bei Else Admire Normalität
Irgendwann entstand der Plan, mit Else und meiner Band Dirty Dishes eine Split-Single aufzunehmen. Während Admire einen Rock’n’Roll-Song beisteuerte, konzipierten wir frei nach Bertold Brecht den Song „Was spricht gegen Else Admire“. Else nahm unseren Beitrag als völlig selbstverständlich hin. Nachdem er mir das Layout für seine Seite des Beiblattes geschickt hatte, bat er mich, das darauf enthaltene Konzert-Foto ein wenig in die Breite zu ziehen. „Ja, warum denn das? Dann seht ihr doch dicker aus!“, fragte ich ihn am Telefon. „Ja, schon klar“, antwortete er, „aber die Bühne wirkt größer.“
Derart verblüffende Denkspiralen sind bei ihm Normalität. In den 90ern schickte er eine seiner Platten an Bill Clinton, White House, USA. Er verband das Präsent mit der Bitte an Clinton, nach dessen Amtszeit als Saxofonist in Elses Band einzusteigen. Immerhin erhielt er Antwort vom Weißen Haus. Aber zur Zusammenarbeit kam es nicht. Und über Elses 2015 veröffentlichtes Album HARD ROCK berichtete er mir: „Jan, das ist das letzte Album überhaupt, das mit Atomstrom aufgenommen worden ist. Und natürlich hört man das: Atomstrom klingt viel besser als anderer Strom. Mehr Power!“
Immer am Rande der Wirklichkeit oder an der Wirklichkeit vorbei
Diese Wahrnehmung der Welt, immer am Rande der Wirklichkeit oder an der Wirklichkeit vorbei, ist ein Konzept, das ihm ermöglicht hat, mit seiner Kunst nun schon seit über 30 Jahren durchzuhalten. Mehr noch: Er hat sich selbst zu seinem eigenen Kunstwerk gemacht. Rock and Roll heißt für den gelernten Metzger vor allem Liebe, Sex, Bier und ein nicht geringes Maß an Provokation. Sein künstlerisches Konzept hat ihm einiges abverlangt: Sein Körper ist von den Hinterlassenschaften von Prügeleien gezeichnet; die Nase schief, diverse Male gebrochen. Ich selbst habe es nicht nur einmal miterlebt, wie er sich selbst völlig unnötigerweise in gefährliche Situationen gebracht hat.
Dass manche Menschen seine Art von Inszenierung durchaus nicht immer angenehm finden, gehört auch zur Wahrheit dazu. Zwar hat Else schon in Jahren gemeinsam mit Frauen Musik gemacht, als viele männliche Kollegen in Proberaum und Bandbus noch lieber unter sich blieben. Dennoch: Ich werde hier in dieser frenetischen Kolumne ganz bestimmt nicht Elses plumpe Anmach-Sprüche rechtfertigen, die er als Teil seiner Gesamtdarbietung begreift. Ich hoffe, dass er sein Selbstinszenierungs-Konzept in diesem Punkt überdenken wird. Es wäre nicht nur gut für sein Gegenüber und zur Vermeidung weiterer Narben, sondern auch für seine Kunst.
Schließlich handeln fast alle seine Songs nur von der Liebe. Else ist ein Romantiker tiefsten Herzens. Auch an diesem Abend im Berlin schallt es von der Bühne: Love Love Love! Bis er dann plötzlich mit seiner Band diesen Wahnsinnshit vom kommenden Album anspielt: den Eisenfechter-Blues; einen brachialen Rock-Song aus der Arbeitswelt. Denn auch das ist eine Wahrheit: Leben kann Else von seiner Kunst selbstverständlich nicht, sondern er muss sich sein Geld als Bauarbeiter, Eisenfechter und neuerdings Kranführer verdienen. Keep on rockin’ in a free world, Else!
Zu Jan Müllers „Reflektor“-Podcast: www.steadyhq.com/de/reflektor/about
Jan Müller von Tocotronic trifft für seinen „Reflektor“-Podcast interessante Musiker*innen. Im Musikexpress und auf Musikexpress.de berichtet er von diesen Begegnungen. Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023.