Róisín Murphy
HIT PARADE
Ninja Tune/Rough Trade (VÖ: 8.9.)
With a little help of Koze macht die Moloko-Göttin Sommerirlaub-Disco für den Herbst.
Man würde schon gerne mal mit Róisín Murphy im Taxi über die goldene Partyinsel Ibiza fahren. Man würde zu wenig Platz im Auto haben, weil ihre fulminante und extravagante Garderobe die Hälfte des Sitzes einnehmen würde, man würde ein bisschen Champagner auf dem Weg zu einer After-Party in irgendeiner hässlichen Privatvilla hopsnehmen und dabei natürlich ihr neues Album HIT PARADE hören. Das hat die Moloko-Göttin (teilweise wohnhaft auf der Party-Insel) mit dem Hamburger DJ und Produzenten Koze (Dauergast auf eben jener) aufgenommen. Und das ist mehr als ein idealer Einheizer geworden.
AmazonDas Album schraubt sich so housig rein, irrt durch psychedelisierte Soul-Samples und entlädt sich im Bassgewitter bei „Can’t Replicate“. Da hat man schon das Fenster aufgerissen und den Kopf in den Fahrtwind gehalten. Vielleicht ein bisschen mitgesungen. Das sechste Solo Album von Murphy ist aber auch ein interessantes und zeitgemäßes Dance-Pop-Album. Mit geheimnisvollen Ansprachen, mit Varianten in den Songs, mit liebevoll ausgesuchten Samples, das den Proll-Elektro-Vorurteilen, die Ibiza so aushalten muss, überhaupt nicht entspricht.
Murphy sagt, sie habe diesem Album ihre Geheimnisse verraten
Das mag auch daran liegen, dass die beiden über Jahre daran gearbeitet haben, und zwar an unterschiedlichen Orten. Murphy sagt, dass habe eine intimere Herangehensweise beim Songwriting ermöglicht. Sie habe diesem Album ihre Geheimnisse verraten, das deswegen so freudig geworden sei, weil sie nie glücklicher war. Und Koze wurde so bei der Arbeit nicht gestört. Bei ihm kann man zwar nie ganz sagen, wie glücklich er ist, aber man hört beeindruckend stark heraus, dass Koze an HIT PARADE beteiligt gewesen ist. Und zwar als zweiter Musiker, nicht nur als auftragausführender Dienstleister.
Unüberhörbar ist Kozes Vorliebe für irgendwie merkwürdig entrückte Sounds, der Verweigerung von zu viel Harmonie. Diese dringende Verspultheit kann zwar zuweilen etwas anstrengend werden, aber sie zeugt eben von einer künstlerischen Sprache, die so deutlich und eigen ist und fragil wirkt, wie bei kaum einem Produzenten elektronischer Musik sonst, und die eine Sperrigkeit erzeugt, wann immer es kitschig zu werden droht. Was eben dazu führt, dass die Musik nicht club-dumm wirkt, wie elektronische Alben ja schnell wirken.
Sie bewegt sich eben immer weiter in Richtung Club
Und zu dieser Entrücktheit passt eben auch, dass Róisín Murphy weiterhin keine der Hymnen singt, die vor über 20 Jahren für Moloko entstanden sind. Kein „Sing It Back“, kein „The Time Is Now“, die ja als schlechte Edits auf allen überteuerten Festivals gespielt werden. Sie singt einfach seit Jahren keine Hammer-Hooks mehr, schreibt keine Schmetterlings-Pop-Melodien. Ob sie es nicht kann oder nicht will, man weiß es nicht. Sie bewegt sich eben immer weiter in Richtung Club.
Und das ist doch auch in Ordnung. Dabei entstehen ja gute Songs. Auf HIT PARADE gibt es sogar Momente, in denen wieder diese wohligen Harmonien entstehen. Wie sie in „Fader“ verschiedene Lagen an Samples und Gesangsspuren zu großen Popmomenten verbindet, das führt zu Champus-Euphorie. Und wenn sich in „Free Will“ ihre Stimme freischwimmt, fühlt man sich auch gleich viel leichter. Die einzige Frage, die sich stellt, ist nur: Warum wird dieses Sommeralbum erst im September veröffentlicht? Vielleicht weil der Sommer in Ibiza etwas länger dauert.