Georgia im Interview: „Ich liebe einen richtig guten, simplen Popsong“
Georgia im Gespräch über Euphorie und Popsongs als heilende Ansätze im triggernden Alltag.
Georgia will mehr Raum einnehmen. Sich mit ihrem dritten Album so richtig was trauen, Arme ausstrecken und so alles Maß nehmen, als könnte sie sich auf diese Art jedes Stück Welt einfach für sich greifen.
48 Stunden am Stück wach sein, raven mit Haarsträhnen, die im Gesicht kleben bleiben, weil man schon so lange tanzt, dass der Schweiß selbst Gesicht und Kniekehlen erreicht. Salzig schmeckende Euphorie – genau Georgia Rose Harriet Barnes’ Ding. Doch die 33-Jährige muss inzwischen zugeben, so ganz ließ sich dieser Club-Eskapismus nicht durchziehen. Zumindest brachte die Corona-Pandemie einen amtlichen Bruch in ihrem erprobten Umgang mit dem täglichen Leben mit sich. Und mit sich allein gelassen, drückten sich alte, ungeliebte Verhaltensweisen wieder in den Vordergrund. Und die Dauer-Selbstoptimierungsbeschallung im Internet allein half eher weniger, um sich selbst irgendwie gut zu fühlen. Im Gespräch bekennt die Londonerin ziemlich ehrlich: „Während Covid und in den Lockdown-Phasen sind bei mir wieder frühere Sucht-Verhaltensmuster zurückgekehrt. Diese versuche ich immer noch zu verstehen und einzuordnen. Das Schreiben neuer Songs hat mir dabei geholfen. Ich bin ein unfassbarer Sucht-Mensch. Und es ist schon komisch, aber viele Menschen verstehen Sucht gar nicht richtig. Du wirst so schnell als Junkie abgestempelt, dabei geht es viel weiter als bis zu diesem Wort, das nur ein geringer Teil der Definition ist.“
Georgia mag nicht, wenn einseitig über Abhängigkeiten gesprochen wird und schränkt sich aber dann auch beim Erklären ihrer selbst ein. Immer wieder unterbricht sie sich mitten im Satz, justiert den vor sich stehenden Laptop, über den wir miteinander sprechen, neu. Der innere Kampf, den sie mit sich dabei ausmacht, ist deutlich sichtbar. Sie zeigt ihre Probleme mit dem Adressieren ihres Suchtthemas.
„Social Media hat mir in der Vergangenheit überhaupt nicht geholfen“, erklärt sie und schiebt einen Rant darüber hinterher, dass es eine Unverschämtheit sei, dass Musiker:innen in der heutigen Zeit quasi nichts anderes übrig bliebe, als das TikTok-Game mitzuspielen. Doch welche Sucht sie konkret beschäftigt, darum windet sie sich im Interview herum. Den von ihr auf SEEKING THRILLS (im Januar 2020 erschienen) so feuerwerkartig auf den Punkt gebrachten Eskapismus hält sie eben immer noch fest in einer Hand. „Ich möchte momentan vor allem Kontinuität und nur ein klein wenig Veränderung für mich“, sagt sie. Doch so minimal ist der Wandel seit der Vorgängerplatte von vor drei Jahren nun aber auch wieder nicht. Georgia hat nämlich Rosalías Album MOTOMAMI (2022) gehört und ist noch immer hellauf begeistert: „Ich habe die Platte gehört und da war es um mich geschehen. So viel Raum! Das wollte ich auch.“ Nachdem die Musikerin immer wieder ihre Songs für sich isoliert und in ihren eigenen vier Wänden produzierte, fühlte sich das zu eng gedacht an. Mehr Platz sollte her. Und dieser nicht nur räumlich, sondern eben auch in musikalischer Form. Ihre Lieder sollten nach mehr und mehr und mehr klingen.
„Ein richtig guter Popsong ist simpel, hat aber auch Luft zum Atmen in sich“
Um nach ordentlich Luft zu greifen, ließ sie eine zweite Person in ihre sonstige One-Woman-Show. US-Komponist Rostam Batmanglij, kurz Rostam (der schon Haim, Carly Rae Jepsen und Clairo produzierte und bei Vampire Weekend mitspielt), hatte ihr online geschrieben, um vor allem ihre Stimme zu feiern. Sie nutzte den Handshake per Mail und reiste schließlich zu ihm nach Los Angeles. Die Wärme des Ortes, die Distanz zum stickigen London, „wo zu viele Menschen überall aufeinander kleben“, half ihr für den Moment aus den Alltagstriggern heraus. Dehnte ihre gute Laune und öffnete Räume in ihren Dance-Songs. Die erste Single „It’s Euphoric“ war binnen der ersten gemeinsamen 24 Stunden geschrieben. In einem ähnlich angenehm-fiebrigen Zustand wie sie es zuvor aus durchtanzten Clubnächten kannte. Sie wollte mehr, Suchtmensch, der sie nun mal ist. „Ich liebe auch einfach einen richtig guten, simplen Popsong“, und wir einigen uns darauf, dass damit ein wirklich zeitloser Track gemeint ist. Einer, der nicht sagen braucht, was gerade um einen herum passiert, und der auf keine (TikTok-)Trends schauen muss. Gleich zehn verschiedene Ansätze fächert Georgia auf ihrer dritten Platte EUPHORIC dazu auf und weiß, wie viel sie in den erst oberflächlich leichtfüßig bouncenden Electro-Pop-Songs eben in zweiter Schicht doch von sich persönlich zeigt. Sie erzählt von Ängsten, von Schmerz, der sich so stark anfühlt, und dann wieder von dem Wunsch nach dauerhafter Zweisamkeit. Gleichzeitig will sie klargestellt wissen: „Ich sehe meine Musik nicht als Therapie-Ersatz“. Das Song-Schreiben sei eine Stütze für sie, jedoch wäre das eben niemals genug, um persönliche Dilemma wirklich in den Griff zu kriegen.
Georgia ist eine aufregende Künstlerin. Sie lässt so viele Seiten von sich aufblitzen, in den Dialog treten und aufeinanderprallen und dann ballert sie so Ibiza-geeignete Booty-Shake-Tracks heraus, die Bock auf Day Drinking, – natürlich mit genügend Sonnencreme im Gesicht –, machen. Wie gut sie das Changieren zwischen Simplizität und komplexen Versatzstücken versteht, unterstreicht auch ihre Vita. Wenn die Engländerin nicht gerade an Solo-Sachen werkelt, ist sie mit dem Produzieren von Stücken für Mura Masa, Gorillaz, Dodie, Shygirl oder auch Shania Twain beschäftigt. Immer auf der Suche nach dem Sweet Spot zwischen Handwerk-Abrufen und darin auch eine Idee von Magie mit einbringen. Der Austausch mit Rostam half ihr dabei: „Ich wollte von ihm lernen und so mein Verständnis von Musik erweitern. Und mein Wunsch an ihn war immer: Lass’ uns da mehr Platz in die Songs bringen!“ Tatsächlich bewegt sie jetzt auch ihre Arme so, dass der Laptop vor ihr erneut ordentlich ins Wanken gerät, weil sie ihn allein mit ihren Beinen versucht zu stabilisieren.
Die Euphorie ist wieder da und sie macht beim Zuhören mächtig Laune. Selbst als wir über das uns beide sehr einnehmende Thema dieser Tage zu sprechen kommen, findet sie eine positive Herangehensweise. Denn als wir uns zum Interview via Zoom treffen, ist Tina Turner gerade erst im Alter von 83 Jahren gestorben und wir bestätigen uns, kaum noch andere Artikel als die rund um die Karriere der Queen of Rock’n’Roll zu lesen. „Meine Mutter sah sie noch live im Hammersmith Apollo in London, das muss der Wahnsinn gewesen sein“, schwärmt sie und betont, wie gerne sie auch mal Turner live erlebt hätte. „Als ich das erste Mal ihre Stimme hörte, war ich so baff. Und dann hat sie auch noch dermaßen viel für Frauen in der Musik verändert“, schiebt Georgia hinterher. „So eine Geschichte wie ihre wirst du so schnell nicht noch mal hören. Sie war die Tochter einer Baumwollpflücker-Familie aus Tennessee. Das ist doch unglaublich, oder? Und dann hat sie irgendwann zwei Shows pro Nacht in Las Vegas gespielt. Das ist eine wirklich heftige Arbeitsweise. Aber das würde es jetzt nicht mehr geben. Die Musikbranche ist jetzt eine ganz andere.“
Womit sie aber auch meint, dass zu Tina Turners Zeiten auch noch nicht so über Künstler:innen und mentale Gesundheit gesprochen wurde, wie es heute der Fall ist. Ihr würde der Wandel im Musikbusiness also schon auch zusagen. Und so ein beständiges Abrackern wolle sie für sich auch nicht. Ein bisschen im Club tanzen und die Zeit dabei vergessen will sich Georgia eben doch noch bewahren: „Ich will mein Leben nicht verschwenden. Und das heißt eben auch, dass ich nicht immer nur arbeiten möchte, weißt du?“
Georgias Album EUPHORIC erschien am 28. Juli – hört hier rein: