Jockstrap
I<3UQTINVU
Rough Trade/Beggars/Indigo (VÖ: 3.11.)
Noise- und Voice-Bambule, Verfremdung, Montage und Remix – das Londoner Duo meldet sich mitten aus einem Lernprozess.
Huibuh, ein Remix-Album schlägt hier ganz vorne im Haus auf. Hatten wir das denn überhaupt schon einmal in den letzten zehn Jahren? Die Monatsbesten in der aktueller denn je betitelten Rubrik „Nie wieder Krieg“ stammten gefühlt aus 27 verschiedenen Stilrichtungen und deren Kombinationen, aus Umwidmungen, Aktualisierungen, in die immer mal wieder auch Neubearbeitungen oder Dub Versions von einzelnen Tracks eingingen, aber ein komplettes Remix-Album?
AmazonOder habt ihr, liebe Kolleg:innen, am Ende gar kein Remix-Album gehört? Die neun Stücke, die Taylor Skye, der mit der Black-Country-New-Road-Violinistin und Background-Sängerin Georgia Ellery das Duo Jockstrap bildet, auf diesem Album vom Stapel lässt, sind eine Feier der Irritation. Oberflächenbetrachtung. Der Ziffern-, Zeichen- und Buchstabenmix im Titel des Albums ließ ja nun so einiges erwarten, eine Kollektion abstrakter Klangcollagen etwa, eine Sammlung von Songs, die einem Geheimcode verpflichtet sind oder schlicht ein nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfeltes Opus aus Samples und Zitaten.
Alles nicht so ganz falsch: I<3UQTINVU ist eine komplett neu abgemischte Version ihres für den Mercury Prize nominierten Debütalbums I LOVE YOU JENNIFER B – und eine Abkürzung für „I Love You Cutie, I Envy You“. Wir nennen das Objekt der Begierde jetzt der Einfachheit halber Remix-Album, erst einmal.
Eine unerschrockene, zwar nicht immer zwingende, aber durchweg Ohren öffnende Montagearbeit
Für das 2022er Debüt hatte Skye bereits einen Kollisionsparcours aufgebaut, in dem er sich mit Partnerin Ellery in Ausweichmanövern übte. Wie konnte eine hübsche Folkmelodie in einem schmutzigen Dubsteptrack bis zum Ende überleben, ohne ihren ursprünglichen Erzählraum zu räumen? Eigentlich war das jetzt als Klangsteinbruch zum Einsatz kommende Album I LOVE YOU JENNIFER B ja schon so etwas wie ein Artpop-Remix gewesen mit verwirrenden Stimmen und Effekten, Pop- und House-Elementen, in dem die Referenzmusiken aus der Vergangenheit schon ambitioniert aufeinandertreffen durften.
Was die Sache diesmal spannend macht: Keiner der neuen Tracks verweist im Titel auf das dazugehörige Original, das Spektrum reicht von „Sexy“, „Good Girl“, „I Touch“, „I Feel“ bis zu „Sexy 2“. „Red Eye“ (featuring Ian Starr), ein bollerndes Stück Noise- und Voice-Bambule, könnte sich auf den Titelsong „Jennifer B“ beziehen, aber auch auf den Track „Debra“, so genau ist das auch nach mehreren Hörgängen schwer auszumachen. „All Roads Lead To London“ (featuring Coby Sey & Ersatz) sollte gleich aus verfremdeten Versatzstücken mehrerer Songs gebaut sein, Warnung, diese Hau-drauf-Beats tun im Bauch weh.
Bei „I Touch“ kann man dann doch Beats und Gesang von „Glasgow“ heraushören, einem vergleichsweise konventionellen Gitarrenpopsong vom 2022er Album. Ist aber alles auch nicht entscheidend, wir gehen Ende 2023 mit Jockstrap auf einen wuseligen Elektro-Trash-Gamboy Trip, der auch ohne das Original funktioniert: als unerschrockene, zwar nicht immer zwingende, aber durchweg Ohren öffnende Montagearbeit, ein Gruß an die Glasgower Wonky-Schule inklusive. Vielleicht sollten wir dieses Album am Ende doch einen Demix nennen, so etwas wie eine Dekonstruktion eines handelsüblichen Remixes mit den Mitteln von ganz normaler Elektronik. Taylor Skye hat es einstweilen so formuliert: „Es ging nur um den Klang… es ist ein Experiment, ich lerne noch.“