Blur

The Magic Whip

Warner 24.04.2015

Große Kunst der Great Briten: Blur beweisen mit mühelosem Art Pop, warum man nur ihnen ein solches Sensations-Comeback zugetraut hat.

„You can be with me, if you want to be, you can be with me …“ Mit diesen, fast weinend vorgetragenen, Zeilen endete im Mai 2003 die Geschichte der Platten aufnehmenden Gruppe Blur. Noch ein letztes Mal war hier die Gitarre Graham Coxons zu hören: „Battery In Your Leg“, eines der originellsten wie zersetzendsten Liebeslieder der Nullerjahre, war der Abschluss eines Albums, das ansonsten frei von Coxon war. Der Gitarrist hatte sich während der Aufnahmen zu THINK TANK von der Band getrennt, da er seine Noise-Rock-Fantasien nicht mehr ausleben konnte. Albarn heuerte Fatboy Slim als Co-Produzenten an, setzte nach dem Welterfolg der Gorillaz auf Drum und Bass. Da konnte er noch so sehr flehen, Coxon wollte nicht mehr bei ihm sein.

Zwölf Jahre später und auf ihrem ersten gemeinsamen Album seit 1999 musste Albarn seinem wiedergekehrten Freund also größeren Platz einräumen. Tatsächlich geriet THE MAGIC WHIP nach dem Grunge-infizierten BLUR zu dem Coxon-Album der Band. Zusammen mit Stammproduzent Stephen Street überarbeitete er Demos, die das seit 2009 wieder tourende Quartett während eines Stopps in Hongkong im Mai 2013 aufgenommen hatte. Er riss die Songs mit zigfach manipulierten Licks auf, nähte sie mit sanften Akkordfolgen wieder zu. Das achte Album von Blur frickelt, brummt, erschreckt, groovt permanent, versöhnt, bringt zum Lachen. In der Summe ergibt das: Pop. Zwar nicht im Singalong-Sinne eines „Parklife“ oder eines „ Country House“, aber wer die 2000er-Single „Music Is My Radar“ als Hit begreifen konnte, der wird hier seine helle Freude haben und selig zu anormalen Riffrockern wie „I Broadcast“ tanzen. Genau dieser steht in Tradition mit dem einen schrägen Kracher, wie es ihn auf jedem Blur-Album gibt, siehe „Advert“, „Bank Holiday“, „ Globe Alone“,  „Chinese Bombs“, „B.L.U.R.E.M.I.“ etc. Eine exzentrische Spinnerei vielleicht, die aber symptomatisch dafür steht, was an dieser Platte so viel Spaß macht: Dass Blur sich ihres Erbes bewusst sind. Und bestmöglich damit umgehen.

Denn sind die Songs auch noch so reich an Sounds, deren Ursprung im Verborgenen bleibt, die Refrains ziehen sofort ein ins Gedächtnis. Das voll belalalaladene „Ong Ong“ ist gar so ausgelassen wie das besoffene Quatsch-Outro von „Parklife“, „Lot 105“, ein sommerlicher Singalong, der so überraschend verschwindet, wie er gekommen ist. Doch naiv ist nichts an dieser Platte – sie ist von vorne bis hinten durchdacht, hat das Beste aus den Erfahrungen mit den Interims­projekten gezogen – und macht diese quasi unnötig: „New World Towers“ ist wie der offensichtlichste Hit auf dem kommenden Gorillaz-Album, „Pyongyang“ wie die nächs­te Single von The Good, The Bad & The Queen. „Ice Cream Man“ hätte Albarns EVERYDAY ROBOTS aus seiner etwas ermüdenden Weinerlichkeit retten können.

THE MAGIC WHIP ist genau das nicht, was es leicht hätte sein können: weder pflichtschuldiger Abschluss einer Historie, die Blur nur zu viert hätten abschließen können, noch Alibi, auch im siebten Jahr seit Reunion mit ihrer Oldierevue um die Welt zu reisen. Sie ist eine an sich vollkommen gerechtfertigte Platte – und mehr. Die mühelose Umsetzung einer kühnen Vision, frei von Erwartungsdruck. Gleichsam Best-of des Bisherigen und Blick in eine strahlende Zukunft. Coxon verwischt über seinen Gitarrenhals die Grenzen. Eine zeitlos wirkende Platte, deren Zeit gekommen ist und nur jetzt kommen konnte. Hören wir hier die Platte des Jahres?