Travis

THE MAN WHO

Concord/Universal (VÖ: 26.7.)

Weichgewaschener Schotten-Rock: Neuauf­lage zum 25. Jubiläum des Albums.

An Ruhm waren Travis nie interessiert. Das belegten die Glasgower konsequent in um Anonymität bemühten Albumtiteln wie THE INVISIBLE BAND, THE BOY WITH NO NAME, ODE TO J. SMITH (ein J. Smith ist hierzulande mit Herrn Otto Normalverbraucher zu vergleichen) oder mit absolute Aussagelosigkeit anstrebenden Namen wie 12 MEMORIES oder zuletzt 10 SONGS. Ausgerechnet diese Band sollte Ende der Neunzigerjahre Weltruhm erfahren. Der breitbeinige Britpop hatte sich wundgelaufen, sich an seinem eigenen Größenwahn verhoben. Doch einmal installiert, blieb die Gitarre wieder fest im Mainstream verankert. Nur war nach den großen Stadion-Smashs jetzt wieder Lagerfeuergeklampfe angesagt – und die als intimes Event geplante Afterhour nach den Unmengen gerauchter Cigarettes und den Ozeanladungen an Alcohol platzte bald aus allen Nähten.

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Als Scharnier funktioniert hier der Opener „Writing To Reach You“, für den Sänger und Songwriter Fran Healy einfach die Akkorde aus Oasis’ „Wonderwall“ übernahm, dabei mit dem Diebstahl offensiv umging und frech sang: „What’s a wonderwall anyway?“ (Randnotiz: einen ähnlichen Move machte die EAV 1987, als sie im an Drafi Deutschers größtem Hit angelehnten „An der Copacabana“ sangen: „Marmor, Stein und Eisen schmilzt, a-wenn du deinen Body buildst“). Mit seinen introspektiven Singalongs wie „Driftwood“ und allen voran natürlich der Hymne verregneter Festivalnachmittage, „Why Does It Always Rain On Me?“ traf ­ Healy die Nerven der Massen und ermöglichte in der Folge die Aufstiege von Gruppen wie Coldplay, Snow Patrol und Keane.

Der breitbeinige Britpop hatte sich wundgelaufen, sich an seinem eigenen Größenwahn verhoben

Dass er aber nicht nur streicheln, sondern auch zupacken und aufrütteln kann, zeigte er mit „Turn“, einem emotionalen Wirbelsturm von einem Song, der seinesgleichen sucht und zumindest im weiteren Werk von Travis nicht findet. Ausgerechnet der verhuschte Healy wurde dazu dank seines unverhofften Dauerplatzes im Rampenlicht zur Stilikone. Kürzlich erzählte er in einem Interview, wie er zur Jahrtausendwende vor einer „Toys ‚R‘ Us“-Filiale auf einen schwer mit Einkaufstüten bepackten David Beckham traf, der von Healys blondiertem Fake-Iro so beeindruckt war, dass er ihn kurzerhand adaptierte und zu seinem Markenzeichen machte.

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Nach Jahren mit Zauselbart spaziert Healy aktuell übrigens sauber rasiert und mit orange-gefärbter Stachelfrisur wie ein alterndes Pokémon durch eine Welt, die sich THE MAN WHO 3,5 Millionenmal in die Regale gestellt hat. Nun dürften noch ein paar Exemplare dazukommen. Denn der Bestseller erschien anlässlich des 25. Jahrestags seines Erscheinens Ende Juni erneut auf CD, eine LP-Veröffentlichung erfolgt Mitte Oktober.

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