Rock am Ring 2015, der Samstag: Erotik, Randale und Krieg auf der Bühne
Nach dem Unwetter übernehmen am zweiten Tag des Festivals in Mendig die deutsch-sprachigen Acts die Bühnen. Der Samstag war geprägt von politischen Statements, subtiler Erotik und nackten Tatsachen.
Der zweite Tag bei „Rock am Ring“ entpuppte sich als der Tag der deutschsprachigen Bands – trotz des Headliners The Prodigy, amerikanischem Post-Punk-Rock von Interpol und Darbietungen von Slash oder Enter Shikari.
Politisches Engagement
Vor der „Crater Stage“ versammeln sich bereits am frühen Nachmittag viele Fans, um das Berliner Duo Zugezogen Maskulin zu begrüßen, die die Bühne räumen für ihre Kollegen aus dem Westen – Antilopen Gang. Die Hip-Hop-Truppe kann mit einer sehr kurzen Performance von nur 30 Minuten überzeugen – Anti-Rassismus-Parolen eingeschlossen, die das Publikum zum zustimmenden Jubeln bewegten. Zustimmung findet im Zuge der ehrenwerten Anti-Nazi-Bekundungen auch der wahrscheinlich bekannteste Song der Gang: „Beate Zschäpe hört U2“. Menschen mit rechtem Gedankengut haben ohnehin keinen Musikgeschmack, so die Meinung von Koljah, Panik Panzer und Danger Dan. Gegen den Song gab es Ende vergangenen Jahres eine Klage, die jedoch keine Wirkung zeigte.
Auch Feine Sahne Fischfilet aus dem malerischen Mecklenburg-Vorpommern protestieren mit Punk gegen Gruppierungen wie PEGIDA und ausländerfeindliche Gesinnungen und bieten nicht nur aus diesem Grund genug Möglichkeiten zum Mittanzen, Ausrasten und Applaudieren. Das leicht unkoordiniert wirkende Herumgehüpfe aller Mitglieder dieser Band erinnert nahezu an eine Zirkus-Truppe, jedoch trifft es den Nerv der Meute, die sich nach dem gestrigen Unwetter wieder über Sonnenschein freuen darf. „Komplett im Arsch“ verabschieden sich Feine Sahne Fischfilet von der „Rock am Ring“-Bühne.
Wiener Charme mit Bilderbuch
Eine Premiere feiern kurz darauf die Österreicher Bilderbuch auf eben dieser Bühne. Der frühe Abend, 18 Uhr, sollte eine gute Zeit für eine so gefeierte Band sein. Doch bis auf eine Traube von textsicheren Fans in der Mitte zeigen sich viele verständnislos und kopfschüttelnd über Maurice und seine Kollegen. Dabei legt vor allem er, Sänger und Showman, sich doch so schön ins Zeug. Mit Ausdruckstanz und einem unwiderstehlichen Wiener Akzent begrüßt er die Menge. „Damit wir alle fett werden wie die Amerikaner“, kündigt Maurice den Song „Softdrink“ an, „Und für die Liebe und guten, schmutzigen …“, fügt er schmunzelnd hinzu. Ein wenig Erotik schwingt immer mit bei Bilderbuch und spätestens bei „Maschin“ haben die Österreicher dann doch den Großteil im Publikum in ihren Bann gezogen. Möglicherweise ist diese Band schlichtweg schwere Kost für diejenigen, die auf die folgenden Acts warten – Trailerpark, Prinz Pi und K.I.Z.
Kraftklub stehlen The Prodigy die Show
Die Hauptbühne wird zeitgleich von einer etwas uninspirierten Darbietung von Interpol beherrscht und danach von einem hoch motivierten Slash mit Myles Kennedy & The Conspirators bespielt. Doch dann feiert erneut eine deutsche Band eine Premiere: Kraftklub spielen das erste Mal auf der Hauptbühne des Festivals „wenn die Sonne grad untergeht“, wie Sänger Felix anerkennend bemerkt. Die Jungs aus Chemnitz verstehen ihr Handwerk – den Drei-Akkorde-Rock auf eine Dauer von 90 Minuten auszurollen und damit alle bis in die hintersten Reihe des Geländes hüpfen zu lassen. Felix und seine Kollegen sparen diesmal an nichts: Es gibt Feuerwerk, Flammenwerfer, Konfetti und sogar das „Crowdsurf-Wettrennen“ von vier Bandmitgliedern, nachdem Kraftklub für die Zugabe auf einer Tribüne ins Publikum gefahren kommen. Nur Schlagzeuger Max muss auf der Bühne verbleiben.
Kraftklub legen eine Show hin, die einem Headliner-Slot gerecht wird. Dennoch grinst Felix ab und an wie ein kleiner Junge, der es nicht fassen kann, dass seine Band sich in vier Jahren von den kleinsten auf die größte Bühne gespielt hat. Letztendlich erfüllt er den Fans, die durchgehend „Ausziehen“ rufen, ihren Wunsch und entledigt sich für „Scheißindiedisko“ seines Shirts, aber nicht ohne den Aufruf an die Fans es ihm gleichzutun.
Doch nach Kraftklub könnte man fast vergessen, dass ja noch die Performance eines Headliners auf dem Programm steht: The Prodigy. Die Briten lassen ein wenig auf sich warten und bieten dann 90 Minuten puren Hass und Aggressivität. Es ist wie Krieg auf der Bühne. Das überträgt sich sogleich auf das Publikum, wird jedoch nicht in allen Fällen bis zum Schluss durchgehalten. „Where are my fighters/warriors/Prodigy/party people“, wird zwischen jedem Song von Keith Flint oder Maxim in die Rund gefragt und stachelt das alkoholisierte und euphorisierte Publikum zusätzlich an.
Deichkind – Bis ans Limit
Vollkommen unbeeindruckt von so viel Brutalität läuten auf der Nebenbühne Deichkind ihre Show ein. Ein plötzliches „Boom“ und los geht es. Die Performance von Deichkind mausert sich zum Event innerhalb der Veranstaltung. Die Bühnendeko ist beweglich, es werden Choreographien, Kostüme, eine Licht-Show geboten und natürlich insgesamt 22 Songs, bei denen es keine größeren Schwierigkeiten beim Mitsingen geben sollte. Sogar hinter dem dritten Wellenbrecher wird getanzt und mitgegrölt, obwohl teilweise schwer zu erkennen ist, welches Spektakel sich gerade auf der Bühne ereignet. Da wird zum Beispiel auf einem Fass geritten und gesprungen, Glitzer in die Luft gewirbelt und für das finale Stück „Krawall und Remmidemmi“ versammeln sich alle Beteiligten inklusive dem Maus-Cursor, der Hüpfburg und dem überdimensionalem Gehirn auf der Bühne zum großen Höhepunkt. So effektvoll wie sie begonnen hatten, beenden Deichkind ihren Auftritt und überlassen Marsimoto die Bühne, der bis tief in die Nacht die „Crater Stage“ in Grün hüllt.
Unsere Fotos vom Samstag bei Rock am Ring seht ihr in unserer Galerie: