Interview

Noga Erez im Interview: „Der Dummkopf, das bin ich!“


Noga Erez über Erkenntnisse in der Therapie, radikalen Humanismus & das Lustigmachen über sich selbst.

Eigentlich wollte Noga Erez ein Album über die Liebe schreiben. Schließlich hatte sich ihre Liebes- und Kreativpartnerschaft mit Ori Rousso wieder eingerenkt. Dann aber kam der Electro-Pop’n’Rap-Künstlerin aus Tel Aviv die Welt in die Quere. Ihre Methode, mit all dem umzugehen: Sublimation. Willkommen in der Welt von THE VANDALIST, in der jeder Spruch auf Kosten der Künstlerin geht.

Sie kennen Noga Erez? Dann gegen Sie acht. Denn es kann sein, dass Sie schneller als Sie denken in einem Ihrer Songs auftauchen. Da ist zum Beispiel ein Typ namens „Danny“, Noga Erez hat seinen Vornamen geändert, wiedererkennen dürfte er sich dennoch. Danny war ihr Therapeut, als sich die Musikerin aus Tel Aviv in psychologische Behandlung begab. Der Grund dafür waren existenzielle Probleme in ihrer Beziehung mit Ori Rousso, die beiden sind seit zehn Jahren ein Paar, seit neun Jahren arbeiten sie auch künstlerisch zusammen. In einer solchen Beziehungskiste sind bestimmte Probleme von Beginn an angelegt: Wann hört die Arbeit auf, wann beginnt das normale Paarleben? Wer ist wann was? Über welche anderen Themen als Musik sollte man sprechen? Was ist mit Kindern? Und wie viel Zeit für privates Leben bleibt, nach dem Erfolg, den Noga Erez 2021 mit ihrem zweiten Album KIDS hatte, der sie und ihre Musik zwischen Pop, Electro, HipHop und Neo-R’n’B zu einem Major-Label führte?

Der gierige Therapeut

„Wir haben unsere Beziehung lange gut hinbekommen, wie wir fanden. Aber ab einem bestimmten Punkt wurde die Sache …“ Noga Erez unterbricht sich, weil sie das Reizwort nicht aussprechen mag, tut es dann aber dann doch: „toxisch!“ Also trafen die beiden die Entscheidung, sich Rat zu holen. Keine Paartherapie. Jeder einzeln. Und Noga Erez bei dem Mann, den sie im Song „Danny“ nennt. Nicht, dass er ein schlechter Therapeut gewesen wäre. „Das war schon okay. Es war nur so, dass ich auf seinem Sofa saß und ihm meine Geschichten erzählt habe.“ Sie rollt mit den Augen. „Wirklich verrückte Geschichten, unfassbares Zeugs, sehr privat, sehr intim.“ Sie redete, er hörte zu. „Es fühlte sich für mich an, als würde ich ihm mit jedem Satz, den ich sagte, einen Schatz überreichen. Etwas sehr Wertvolles.“ Als die abgemachte Sitzungszeit abgelaufen war, schrieb „Danny“ noch eine kurze Notiz in seine Psychologenkladde, um danach mir nichts, dir nichts über Abrechnungsformalitäten zu sprechen. „Klar, das gehört zu seinem Job“, sagt Noga Erez. „Aber in diesem Moment dachte ich mir: Eigentlich müsste er mich bezahlen, dafür, dass ich ihm meine Storys geliefert habe.“ Als sie mit Ori über diese Erfahrung sprach, meinte er, er habe bei seinen Therapeuten ein ähnliches Gefühl gehabt. Also entwickelten die beiden den Track „Danny“ im Vintage-Soul-Sound, zu finden auf Erez‘ dritten Album THE VANDALIST: „Danny, you’re just in it for the money / Bring me back my story / You stole me, my pain bougth you this ride.“ Was Noga Erez wichtig ist: Dies ist kein Rache-Song. „Es geht auch eigentlich gar nicht um diesen ,Danny‘“, sagt sie. „Es geht eher um Ori und mich. Darum, dass wir in Therapie gehen, uns dort verbal entblößen, dann aber nicht darüber nachdenken, wie uns das helfen könnte, sondern über die Ungerechtigkeit im Verhältnis zwischen Therapeut und Patient nachdenken.“ Man kann sich diese Szene sehr gut bei „Curb Your Enthusiasm“ vorstellen, der Serie von Larry David, die in Deutschland unter dem Namen „Lass es, Larry“ läuft und in der sich der „Seinfeld“-Co-Erfinder selbst spielt: Als einen schwer reichen Mann mit Luxusproblemen, superkurzem Geduldsfaden und kritischer Haltung allem Menschlichen gegenüber. Was Larry Davids Comedy so lustig macht: Am Ende macht er sich immer über selbst lustig. Und so ist das bei Noga Erez auch: „Der Dummkopf, das bin ich!“

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Das Leid mit der Woke-Kultur

So auch im bissig-coolen Electro-Rap-Track „PC People“, auf dem ersten Blick eine Abrechnung mit übertriebener Political Correctness, aber wie so oft bei Noga Erez: Die Sache ist komplizierter. „Die Idee war es, einen Song zu produzieren, der auf Policital Correctness scheißt“, sagt sie. Also schrieben sie und Ori Rousso einige Parts, die sehr weit gingen. Zu weit, wie die beiden irgendwann entschieden. Weshalb sie diese Zeilen wieder löschten. „Wir verwenden also die Selbstzensur in einem Song, der die Selbstzensur und die Zensur, die uns die Gesellschaft auferlegt, kritisiert.“ Das ist weniger Paradox, als man denkt, denn zu den „PC People“ gehört Noga Erez eben auch selbst: „Ich bin Teil der Woke-Kultur, mein Denken und Reden ist von ihr geprägt. Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, sehr oft innezuhalten und kreative Prozesse zu stoppen, bevor ich einen Gedanken oder eine Idee zu Ende geführt habe. Als ich darüber reflektierte, kam mir die Erkenntnis: ‚Wow, das ist verrückt, weil ich doch eigentlich sehr für Individualität und Vielfalt eintrete.‘“

Man merkt im Interview, wie sehr ihre Gedanken bei diesem Thema kreisen, wie sie versucht, ein Problem zu lösen, das gar nicht lösbar ist. „Ich denke, dass die ursprüngliche Absicht von Political Correctness sehr gut ist. Durch das Internet ist es in dieser Gesellschaft möglich, sehr schnell zu posten und zu kommentieren. Daher muss es eine Art Filter geben, platziert zwischen dem, was man denkt, und dem, was man sagt oder schreibt.“ Einerseits. Andererseits: „Ich habe das Gefühl, dass dieses Ausmaß an Filterung uns in gewisser Weise alle gleich macht. Der Filter steht uns dabei im Wege, vielfältig zu sein. Vielfältig nicht im Sinne von Anzeigen in Fashionmagazinen. Sondern intellektuell und spirituell.“ Was also ist Political Correctness denn nun, eine intellektuelle und spirituelle Bremse – oder eine Notwendigkeit, um Menschen zu schützen? Es ist zum Verrückt werden, sagt Noga Erez. „Wenn ich mich in solchen Gedanken verliere und mich darüber ärgere, bin ich jemand, der mit der Faust auf die Wand haut oder eine Dose auf der Straße wegkickt, nicht ohne sie vorher zu zertreten.“ Noga Erez, THE VANDALIST – der Titel des Albums kommt nicht von ungefähr. Das Gute ist: Als Künstlerin kann sie die Dosen liegenlassen. Sie hat ja die Musik. „Einen Song über diesen Ärger zu schreiben, ist der beste Weg. Es ist eine Art kathartischer Moment, bietet die Chance, Ärger in kreative Kraft und schließlich in Kunst zu verwandeln.“

In der Therapie hat sie für diesen Prozess einen klug klingenden Fachbegriff an die Hand bekommen: Sublimation, ein „Abwehrmechanismus, der es ermöglicht, dass primitive, sozial nicht akzeptierte Arten der Befriedigung von Bedürfnissen in sozial akzeptable umgewandelt und somit neutralisiert werden“, wie es im „Lexikon der Psychologie“ definiert wird. „Künstlerisch tätig zu sein, gibt mir einen wahnsinnig großen Sublimations-Vorteil gegenüber anderen Menschen“, sagt Noga Erez. „Ich entwickle diese Figuren in meinen Songs, generiere mich als THE VANDALIST, also als eine Art böse Superheldin, der alles egal ist. Oder im Track „Dumb“ als Oberschlaue, die alle anderen der Dummheit bezich­tigt. Diese Sublimation findet aber ausschließlich im geschlossenen Raum des Kunstwerks statt.“ Hier liege der große Unterschied zu Menschen, die ihre Sublimation in den sozialen Netzwerken stattfinden lassen. „Sie posten und kommentieren im Glauben, dabei eine andere Persönlichkeit zu sein. Aber sie sind es selbst. Social Media ist keine artifizielle Welt, sondern Teil der Wirklichkeit. Ich befürchte, dass immer weniger Menschen das wirklich klar ist.“

Die Erfindung von Noga Stein

Wie weit Noga Erez das Spiel mit der Sublimation getrieben hat, zeigt der HipHop-Track „NOGASTEIN“, in dem sich die Künstlerin als monströse Rapperin erfindet, „coming alive, just to kill you“. Das Stück entstand am Rande eines Trips nach Los Angeles: Noga Erez hatte sich dafür entschieden, für ein paar Songs mit Justin Raisen zusammenzuarbeiten, einem der hottesten Produzenten dieser Tage, bekannt durch seine Arbeit mit ­Charli XCX, Lizzo, Drake, Yves Tumor oder Sky ­ Ferreira; zuletzt arbeitete er mit Kim Gordon an deren Soloalbum THE COLLECTIVE. Kaum im Studio angekommen, verletzte Noga Erez eine eiserne Regel des Smalltalks: „no politics!“ „Es dauerte keine Viertelstunde, da stritten wir uns fürchterlich. Justin hatte bei vielen Themen komplett gegenteilige Ansichten wie ich. Es ging um Dinge wie Abtreibung, um Waffenbesitz, er brachte mich zur Weißglut, wir schrien uns an.“ Kurz dachte sie daran, direkt wieder zum Flughafen zu fahren.

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„Ich hätte es gemacht, wäre meine sofortige Abreise nicht aus logistischen oder finanziellen Aspekten eine Vollkatastrophe gewesen.“ So aber riss sie sich zusammen. Die beiden unternahmen einen neuen Anlauf, einigten sich auf Musik, die sie beide lieben (Radiohead und HipHop), machten sich an die Arbeit. „Es blieb dabei, dass Justin mit allem, was er sagte oder verlangte, mit meinen Vorstellungen kollidierte. Jetzt aber ließ mich das nicht mehr wütend werden. Im Gegenteil, es trieb mich an und brachte mich dazu, die Figur der ‚Noga Stein‘ zu erfinden, eine Frankenstein-Version meines Selbst.“ Im Track geht „Noga Stein“ zum Frontalangriff über, alle, wirklich alle bekommen was ab, nichts und niemand wird verschont. Am Ende steht diese monströse Figur dann ziemlich allein da. Auch dieser Witz geht auf ihre eigene Kosten. Dumm gelaufen. Und so gewollt. „Der Track geht weiter als jeder andere. Ohne die Erfahrung mit Justin hätte ich ihn mir nicht zugetraut. Was zeigt, dass es wichtig ist, außerhalb der eigenen Blase zu kommunizieren. Nicht einfach abzuhauen, sondern sich den anderen Ansichten zu stellen und daraus etwas zu machen.“ Was man dafür benötigt, sei radikaler Humanismus. „Es ist einfach, zu behaupten, die Menschen seien das Übel dieser Welt – und sie deshalb nicht zu mögen. Ich aber liebe die Leute. Ich liebe nicht zwingend das, was sie denken, sagen, schreiben oder tun. Aber ich liebe es, zu erkennen, dass viele ein gutes Herz haben.“ Woran man diese vielen erkennt? „Frag sie, was sie von Radiohead und HipHop halten.“