Warum wir uns im vergoldeten Zeitalter des Konzerts befinden
Wie sich Sabrina Carpenter, Donald Trump und Lady Gaga mit unterschiedlichem Erfolg vermarkten.
Drei Beobachtungen:
1. das vergoldete zeitalter des konzerts
Mit Musik viel Geld verdienen? Das geht, bedingt durch unser Streaming-und-Binging-Verhalten, fast nur noch durch Live-Shows. Also natürlich ist das Konzert wieder so richtig zurück. Zurücker als je zuvor! Allerdings nicht als Wald-und-Wiesen-Konzert aus Band, Bühne und Mikrofon – sondern als Spektakel. Seien es die zehn Adele-World-Konzerte, die in München auf- und abgebaut wurden, die Eras-Tour, die selbst zur erfolgreichsten Taylor-Swift-Ära an sich wurde, oder deren gay variant: Der Chappell-Roan-Pink-Pony-Club, zu dem in jeder Stadt ein anderer Dresscode gilt. Es sind Kostümpartys und Pride Safe Spaces! Sie würden lieber eine Klima-Gewissen-Revue besuchen? Dann empfiehlt sich die „Music Of The Spheres“ -Tour von Coldplay. Hier wandelt der kinetische Tanzboden jede Ihrer Bewegungen in Strom, und natürlich wird für Sie ein Baum gepflanzt.
Und was macht Sabrina Carpenter? Also die, die erst mit ihrem sechsten Album durchbrach, weil erst dort das Marketing stimmte? Die, die sich nun als nostalgische, es faustdick hinter den Ohren habende, humorige Hyper-Female inszeniert? Die präsentiert ihre „Short N’ Sweet“-Tour als TV-Show, mit Vorspann im Hanna-Barbera-Cartoon-Stil ganz wie ihn damals im Goldenen Zeitalter des Fernsehens die humorigen und es faustdick hinter den Ohren haben Hyper-Female-Titelfiguren hatten: „Bezaubernde Jeannie“ (1965-1970), „Bewitched – Verliebt in eine Hexe“ (1964-1972) und später bereits davon inspiriert „Die Nanny“ (1993 1999). Und was machen währenddessen die „TV“-Show-Intros? Mmh, keine Ahnung. Denn die werden ja, bedingt durch unser Streaming-und-Binging-Verhalten, geskippt.
2. das hydra-paradox
Das Kernproblem dieser Tage ist, dass wir viel zu viel Self-Marketing konsumieren. Wer etwas auf Social Media postet, kann das in bester Absicht tun, also wirklich nur etwas mitteilen wollen, was gerade pressiert, es ändert nichts daran, dass es qua Medium als Eigenwerbung gelesen wird. Kommentiert man auf Social Media einen Post, kann man noch so kritisch sein, man zahlt auf dieses Brand Building ein. „Cancel mich / I love it“, singt Shirin David durchaus offen und ehrlich, aber eben auch performativ in „Iconic“. Ein unterschwelliges Misstrauen gegen alles, was öffentlich gesagt wird, läuft aus wie schlechte Milch, resultiert im schlechten Ruf der herkömmlichen Medien.
Es ist das Misstrauen, das die Populisten (sic!) nutzen. Wenn alles seltsam mehrgestaltig ist, ist auch alles seltsam egal. Steht Melania Trump nun also wirklich für das Recht auf Abtreibung ein, oder veröffentlicht sie das nur, um die Präsidentschaftskampagne ihres Mannes um eine Facette zu bereichern: Also der Donald ist gegen Abtreibung und der mögliche Vice President erst recht – aber die First Lady nicht! Wählen Sie also alles. Eine Hydra! Ein schlangenähnliches Wesen mit mehreren Köpfen. Für jeden Kopf, den man uns abschlägt, wachsen zwei neue!
3. that’s entertainment
Stefani Germanotta war immer Lady Gaga. Eine Brand, die alles – auch Interviews – bewusst performativ absolvierte. Nun spielt sie, dezidiert als Schauspielerin, das „broken girl“ Harley Quinn in „Joker: Folie à Deux“ und nutzt diesen Umstand, um in Interviews so sehr Germanotta zu sein wie möglich. „Langweilig“, urteilt die Entertainment-Seite „Vulture“. Wie kann Gaga nur ernsthaft auf Interviewfragen zu HARLEQUIN antworten, jenem Revue-Album, das sie für Harley Quinn geschrieben hat? „Vulture“ erwartet also, dass ein Album, das als Merchandising zu einem fiktiven Charakter geschrieben wurde, mit einem übergeordneten fiktiven Charakter verkauft wird. Das wäre Gaga aber wohl eine Umdrehung Künstlichkeit zu viel.
Sie bietet Authentizität an: Der HARLEQUIN-Song „Happy Mistake“ sei also eine Reflexion über jeden Song, den sie je geschrieben habe. Denn sie habe doch immer das „broken girl“ gegeben. Sich immer hinter Make-up versteckt, denn die show must go on. Nun habe sie „zerbrochene Spiegel im Kopf“. Wenn man die nur wieder zusammenfügen könnte – dann, ja dann wäre sie happy …
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2024.