Konzertbericht

Lauryn Hill & ein Fugee live in Berlin: Zwei Stunden viben mit dem Stimmwunder


Trotz Verspätung à la Madonna: Wenn Ms. Lauryn Hill da ist, liefert sie. Plus: Sie rollt das ‚R‘ einfach besser als Capital Bra.

Ein Abend, der mit Ansage auf Nostalgie setzt. Schon der Titel der Tournee, „The Celebration Continues Tour“ macht klar, in welche Richtung die Setlist am Mittwochabend (30. Oktober) in der Berliner Uber Arena gehen wird. Umso besser passt es, dass auf dem übergroßen Screen hinter der Bühne immer wieder das Publikum gezeigt wird, das sich schon mal beim DJ-Set warm tanzt für die Frau, die in der Hauptstadt auch das inzwischen 26. Jubiläum ihres Debüts (und einzigen Solowerkes) THE MISEDUCATION OF LAURYN HILL feiern will. Doch bis es dazu kommt, dauert es.

Ihr Sohn YG Marley, der sie als Supportact auf der Konzertreihe begleiten soll, ist doch nirgends zu sehen. Und DJ Reborn beginnt ihr Programm um die Zeit, die eigentlich für Hill als Stage Time angekündigt war. Ihre Ansage aber: Ms. Lauryn Hill wäre da, würde auch gleich auftreten, man solle also keinen gegenteiligen „Scheiß auf Twitter“ schreiben. Ihr Anheizen, ein Stoß vor den Kopf. Ein Wunder, dass die auf dem Screen gezeigten Besucher:innen noch so butterweich gen Front der Mehrzweckhalle lächeln können.

Um 22 Uhr – die 13-köpfige Band hat sich längst vor den fünf XL-Urlaubsressortschirmen in Stellung gebracht – betritt die 49-Jährige dann die Bühne. Behandschuht greift sich Lauryn Hill das Mikro und bringt mit „Everything is everything“ direkt die Vergangenheit ins Jetzt. Ihre Stimme ist da, klingt wohlig-tief und angeraspelt, intensiv und voller Soul. Die Archivaufnahmen, die immer wieder die Crowd-Aufnahmen im Background ablösen, braucht es gar nicht, um zu bannen.

Lauryn Hill live
Lauryn Hill live

Im Laufe des Konzerts wird deutlich: Hill ist am besten, wenn sie sich ganz auf sich konzentrieren kann. Es braucht gar nicht ihren Side-Kick – einen Mitmusiker, der ihr beständig „Hey“, „Yo“ oder auch ihren eigenen Namen entgegenrappt und wie auf Haribo die Stage maßnimmt. Wenn sie „To Zion“ intoniert geht das selbst in der Riesenhallenhölle nah. Zion, der im Gegensatz zu YG Marley durch Anwesenheit glänzt, gesellt sich im Anschluss aber zu ihr, versucht durch geschlossene Augen die gleiche Intensität wie seine Mutter abzuliefern. Qualitative Welten sind dennoch dazwischen. Ihr Anzuglook passt hier: Sie ist der Boss, sie dirigiert, sie sorgt für Jubelanstieg und sie rollt das ‚R‘ eh besser als es ein Capital Bra je könnte.

Wie ein echter Boss-Move aussieht, macht sie während der insgesamt zweistündigen Show auch vor: Immer wieder nimmt sich Hill Pausen, zieht sich aus dem Spotlight zurück und überlässt anderen die Zwischentöne. Ein Anderer: Wyclef Jean, der eine Fugee, den sie als ihren „Freund“ ankündigt (während der andere Fugee, Pras Michél, sie aktuell wegen angeblicher Misskalkulation und Geldzurückhalten verklagt), und der sich mit ihr „Fu-Gee-La“, „Ready Or Not“ oder auch „Killing Me Softly With His Song“ vom 1996er Fugee-Album THE SCORE neu aufmischt.

Jean hat genügend Zeit, um „No Woman No Cry“ oder auch „Maria Maria“ zu covern und damit sich umso mehr Ms. Lauryn Hill zurückzuwünschen, die so wenig geben muss, um einen maximalen Effekt zu erzielen. Sie mastert nicht nur die Tracks, von denen „Ex-Factor“ ein weiteres Wahnsinnshighlight darstellt, sie braucht auch nicht viele Worte, um einzunehmen. Wenn sie denn mal losstrahlt, dann kickt das anders. Raum und Zeit ist da auch schon wieder irgendwie egal. Um Mitternacht fußlahm und mit schweren Armen (Mit dem Handy filmen! Feuerzeug hochhalten! In Ekstase klatschen!) aus dem Venue stolpern und nicht mehr wissen, welcher Tag (Nacht?) ist, geschweige denn welche Zeitverortung angebracht wäre, scheint da das einzig logisch.

Hella Wittenberg